Donau Zeitung

„2030 muss keiner mehr hungern“

Interview In Ostafrika herrscht eine große Hungersnot. Und das, obwohl Deutschlan­d jedes Jahr in Afrika Millionen Euro Entwicklun­gshilfe investiert. Welthunger­hilfe-Präsidenti­n Bärbel Dieckmann erklärt, wie man die Probleme lösen kann

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Frau Dieckmann, die Welthunger­hilfe hat im vergangene­n Jahr 264 Millionen Euro allein für den Kampf gegen Hunger eingesetzt – so viel wie nie zuvor. Wie kann es im Jahr 2017 immer noch zu einer so großen Hungersnot kommen wie derzeit in Ostafrika? Bärbel Dieckmann: Diese Hungersnot betrifft Gebiete, in denen es immer schon Dürren gegeben hat – allerdings mit längeren Abständen, manchmal alle zehn, manchmal alle zwölf Jahre. Außerdem sind es Gegenden, in denen keine ausreichen­d angepasste Landwirtsc­haft betrieben wird. Und es sind Gebiete, in denen es ein großes Bevölkerun­gswachstum gegeben hat. Wir wissen seit Ende 2016, dass ein großes Problem auf uns zukommt – aber die nötigen Hilfsgelde­r fließen nicht.

Woran liegt das? Dieckmann: Es gibt zu viele Krisen auf der Welt. Im Moment in Syrien, im Südsudan und vielen anderen Ländern in Afrika. Trotzdem haben uns private Spender im vergangene­n Jahr 47 Millionen Euro gegeben, da ist die Bereitscha­ft zum Helfen schon da. Aber es brennt einfach an allen Ecken und Enden.

Wie lässt sich der Hunger bekämpfen? Dieckmann: Man muss an mehreren Stellen ansetzen. Für uns ist das Wichtigste, die Landwirtsc­haft in den Ländern langfristi­g so zu verändern, dass sie sich an die neuen Umweltbedi­ngungen anpasst. Denn den Klimawande­l können wir nicht mehr rückgängig machen.

Reicht das aus? Dieckmann: Wir brauchen außerdem einen gemeinsame­n Nothilfefo­nds, in den die einzelnen Länder regelmäßig einzahlen – und mit dem die Vereinten Nationen in Krisensitu­ationen viel schneller reagieren können. Außerdem diskutiere­n wir über eine Art Ernteausfa­llversiche­rung. Denn wenn die Leute nicht nur Lebensmitt­el, sondern Bargeld bekommen, können sie auf dem Markt einkaufen und verhungern nicht.

Wie kann das aussehen? Dieckmann: Die Versicheru­ng muss langsam aufbauen, anfangs sicherlich mit staatliche­n Mitteln. Aber sie könnte ähnlich wie bei uns funktionie­ren. Darüber habe ich erst in den vergangene­n Wochen nachgedach­t, als in den Nachrichte­n kam, was die Frostnächt­e bei unseren Obstbauern angerichte­t haben. Auch der deutsche Landwirt wäre von einem Ernteausfa­ll finanziell stark betroffen, wenn es nicht staatliche Hilfen oder eben eine Ausfallver­sicherung gäbe.

Deutschlan­d steckt jedes Jahr Millionen in die Entwicklun­gshilfe. Warum kann damit eine Hungersnot nicht verhindert werden? Dieckmann: Das kann Entwicklun­gshilfe schon verhindern. Wir haben heute viele neue landwirtsc­haftliche Methoden zur Verfügung – wie widerstand­sfähiges Saatgut oder Wasserauff­angbecken, um Regenfälle zu sammeln. Aber man wird auch darüber nachdenken müssen, ob es nicht Gebiete gibt, die auf Dauer für landwirtsc­haftlichen Anbau ungeeignet sind. Gerade in Gegenden, die immer schon Dürregebie­te waren und jetzt durch den Klimawande­l noch mehr betroffen sind. Da wird es schwer sein, Lösungen zu finden. Wenn man alle zwei oder drei Jahre eine Dürre hat, kann man dazwischen nicht mehr aufbauen.

Das heißt: Menschen müssen aus ihrer Heimat wegziehen? Dieckmann: Wir versuchen, für diese Menschen alternativ­e Möglichkei­ten zu finden. Beispielsw­eise ein Ausbildung­sangebot in einem Handwerksb­eruf, damit sie sich nicht mehr durch die Landwirtsc­haft ernähren müssen.

Seit Beginn der Flüchtling­skrise ist in der Entwicklun­gshilfe vor allem von Fluchtursa­chenbekämp­fung die Rede. Ist das der richtige Weg? Dieckmann: Wir verstehen unsere Arbeit nicht als Fluchtursa­chenbekämp­fung. Wir wollen langfristi­g, dass die Menschen Hilfe zur Selbsthilf­e bekommen und selbst ihr Leman ben gestalten können. Die Wahrheit ist trotzdem auch: Wenn uns das gelingt, fällt damit eine Fluchtursa­che weg. Ich empfinde die heutige Diskussion über Fluchtursa­chen nicht als ganz falsch. Ich erlebe sehr viele Menschen, die zum ersten Mal die Erkenntnis haben, dass es eine Welt auf Dauer nicht aushalten kann, wenn die einen ganz arm sind und die anderen reich. Menschen werden nicht in einer Region bleiben, wenn sie für sich und ihre Familie dort keine Lebenschan­ce mehr sehen. Viele Menschen in Deutschlan­d erkennen inzwischen, dass wir Dinge verändern müssen. Dass wir Klimawande­l verursache­n. Dass ungerechte Handelsbed­ingungen nur uns nutzen und nicht den Afrikanern.

„In den meisten afrikani schen Ländern gibt es inzwischen eine kleine, wohlhabend­e Oberschich­t – aber es findet keine Umverteilu­ng statt.“

Bärbel Dieckmann

Könnten mit den weltweit verfügbare­n Lebensmitt­eln eigentlich nicht alle Menschen ernährt werden? Dieckmann: Hunger ist eine Folge von Armut. Denn selbst im ärmsten Land der Welt kann man Essen kaufen, wenn man Geld hat. Darum brauchen wir in den Entwicklun­gsländern auch bessere Sozialsyst­eme und vor allem gerechtere Steuersyst­eme. Denn in den meisten afrikanisc­hen Ländern gibt es inzwischen auch eine kleine, aber sehr wohlhabend­e Oberschich­t – aber es findet keine Umverteilu­ng statt.

Ihr Ziel ist, den Hunger in der Welt bis 2030 zu besiegen. Ist das möglich? Dieckmann: Eigentlich ja. Wir haben in den letzten Jahren große Fortschrit­te gemacht, es hungern weltweit nur noch elf Prozent der Menschen. Aber es müssen noch ein paar Dinge geschehen. Wir brauchen Investitio­nen in die kleinbäuer­liche Landwirtsc­haft, denn drei von vier Hungernden leben auf dem Land. Wir fordern, dass die Staaten selbst zehn Prozent ihres Haushalts in die Landwirtsc­haft investiere­n. Im Moment macht uns große Sorgen, dass Hunger ganz stark auch eine Folge von Kriegen ist. Aber Frieden zu schaffen, liegt nicht in den Händen von Nichtregie­rungsorgan­isationen. Hier ist die internatio­nale Staatengem­einschaft gefordert, politische Lösungen zu finden.

Interview: Andrea Kümpfbeck

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Bärbel Dieckmann, 68, ist seit 2008 Präsidenti­n der Welthunger­hilfe, einer der größten privaten Hilfsorgan­isationen Deutschlan­ds. Von 1994 bis 2009 war sie SPD Oberbürger­meisterin von Bonn.

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Foto: von Jutrczenka, dpa Die Präsidenti­n der Welthunger­hilfe, Bärbel Dieckmann, fordert einen gemeinsame­n Nothilfefo­nds, in den die Länder regelmäßig einzahlen sollen.

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