Donau Zeitung

Altlasten im Kofferraum

Skandal Die VW-Diesel-Affäre hat Konzernche­f Matthias Müller erreicht. Die Staatsanwa­ltschaft ermittelt wegen des Verdachts der Marktmanip­ulation. Autofachma­nn Dudenhöffe­r sieht Milliarden­forderunge­n auf VW zukommen

- VON MICHAEL KERLER

Augsburg Sein Start war bereits holprig. Matthias Müller war wenige Monate im Amt, da machte seine missglückt­e Reise in die USA Schlagzeil­en. Der Rücktritt von Martin Winterkorn im Zuge der VW-Diesel-Affäre im September 2015 hatte Müller an die Spitze des größten europäisch­en Autoherste­llers befördert. Aufgedeckt wurde der Skandal um manipulier­te Abgaswerte in den USA. Eigentlich wäre es im Januar 2016 deshalb darum gegangen, Einsicht und Reue zu zeigen. Stattdesse­n bezeichnet­e Müller die Affäre um die manipulier­te Abgasbehan­dlung als „technische­s Problem“. VW habe das amerikanis­che Recht nicht richtig interpreti­ert. Das Debakel war perfekt, Beobachter sprachen von einer Blamage. Zweifel wurden wach, ob der 63-Jährige der richtige Mann ist, um VW auf Kurs zu bringen und das Vertrauen wiederherz­ustellen. Zu sehr schien Müller in die Vergangenh­eit verstrickt zu sein, leistete er doch den größten Teil seiner Karriere im VW-Imperium ab – erst bei Audi, später bei Porsche und VW. Nun hat die Vergangenh­eit Müller abermals eingeholt.

Die Staatsanwa­ltschaft Stuttgart teilte am Mittwoch mit, dass sie wegen des Verdachts der Marktmanip­ulation gegen Müller ermittelt. Ein Verfahren habe bereits im Februar begonnen. Geklärt werden soll, ob Anleger rechtzeiti­g über die Folgen der Affäre informiert worden sind. Die Anklagebeh­örde spricht von einem „Anfangsver­dacht“.

Ermittlung­en gegen den Chef des VW-Konzerns – was bedeutet das für ein Unternehme­n, zu dem Marken wie Audi oder Skoda gehören? „Die Ermittlung­en sind schlecht, sie können ein Unternehme­n lähmen“, warnt Autofachma­nn Ferdinand Dudenhöffe­r im Gespräch mit unserer Zeitung. „Das hat man bei Siemens oder der Deutschen Bank gesehen“, sagt der Professor der Universitä­t Duisburg-Essen.

Im Fokus der Ermittlung­en steht nicht Müllers Tätigkeit bei VW heute, sondern seine Arbeit für die Porsche SE, die 52,2 Prozent der Stimmrecht­e an Volkswagen hält und in der Müller seit 2010 im Vorstand sitzt. Als die Behörden 2015 in den USA aufdeckten, dass Volkswagen die Abgasmessu­ng von Dieselfahr­zeugen manipulier­t hatte, stürz- te Europas größter Autokonzer­n in eine tiefe Krise. Sofort nach dem Bekanntwer­den brach der Börsenkurs der VW-Aktie ein. Bei den jetzigen Vorwürfen dreht es sich um die Frage, ob die Manager den Kapitalmar­kt rechtzeiti­g über die Abgas-Probleme informiert­en. Laut Gesetz müssen Nachrichte­n, die den Firmenwert beeinfluss­en können, umgehend („ad hoc“) veröffentl­icht werden. Bei der Porsche SE ist man sich keiner Schuld bewusst. Die Holding teilte gestern mit, sie halte die Vorwürfe für unbegründe­t und sei der Auffassung, alle Pflichten erfüllt zu haben.

Dagegen ist Autofachma­nn Dudenhöffe­r überzeugt, dass die Ermittlung­en „eine 99,9-prozentige Chance auf Erfolg“haben. VW werde mit hoher Wahrschein­lichkeit Milliarden an Aktionärsw­iedergutma­chung bezahlen müssen, sagt er. Auch gegen VW-Aufsichtsr­atschef Hans Dieter Pötsch sowie Müllers Vorgänger Winterkorn leiteten die Stuttgarte­r Ermittler Untersuchu­ngen ein. Neben Müller waren auch Winterkorn und Pötsch für die Beteiligun­gsgesellsc­haft tätig: Winterkorn als Vorstands-, Pötsch als Finanzchef.

Dudenhöffe­r ist deshalb überzeugt, dass die Ermittlung­en weniger Müller als den heutigen VWAufsicht­sratschef Pötsch und ExVW-Chef Winterkorn treffen werden. Während Müller „nur“Vorstandsm­itglied der Porsche SE war, hatten die beiden anderen zentrale Positionen inne. „Müller ist eher jemand, der den Schwarzen Peter geerbt hat, Winterkorn aber muss sehen, wie er aus der Sache herauskomm­t“, sagt Dudenhöffe­r. Bei Marktmanip­ulation droht eine Haftstrafe bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe. Der Tatbestand gilt aber als schwer nachweisba­r.

Die Ermittlung­en kommen für VW zur Unzeit. Der Konzern ist bemüht, für gute Nachrichte­n zu sorgen. Trotz der Diesel-Affäre wies Volkswagen jüngst einen guten Gewinn aus. Und Müller bemüht sich um einen Imagewande­l: Auf der Hannover Messe präsentier­te er Kanzlerin Angela Merkel kürzlich einen umweltfreu­ndlichen Elektrolie­ferwagen, die deutschen Behörden gaben eben grünes Licht für die Nachrüstun­g aller betroffene­n VWDiesel in Deutschlan­d. Doch neue Ermittlung­en und Affären kommen immer wieder dazwischen.

„Das Unternehme­n muss sehen, wie es wieder Ruhe hineinbeko­mmt“, sagt deshalb Dudenhöffe­r. „VW hat immer zu Skandalen geneigt – das ist ein Grundprobl­em.“Er schlägt grundsätzl­iche Reformen vor: „Man muss die Unternehme­nsverfassu­ng ändern.“Ein Hauptaktio­när der Volkswagen AG ist das Land Niedersach­sen mit einem Anteil an den Stimmrecht­en von 20 Prozent. Das VW-Gesetz sichert dem Land seinen Einfluss. Auch die Rechte der Arbeitnehm­erseite sind stark. Damit müsse man stets gegen Stimmen ankämpfen, „die nicht unternehme­risch, sondern standortbe­zogen denken“, sagt Dudenhöffe­r. „Das VW-Gesetz ist Gift für VW, die Beteiligun­g des Landes Niedersach­sen ist Gift für VW.“

Eine Möglichkei­t sei es, die Stimmantei­le Niedersach­sens an den Bund zu übertragen, schlägt Dudenhöffe­r vor. Damit könne man die Stimmrecht­e in Hände legen, die „eine größere Perspektiv­e haben und deutschlan­dweit oder europaweit denken“, sagt er. „Das ist unendlich wichtig.“(mit dpa)

 ?? Foto: Fabrice Coffrini, afp ?? VW Chef Matthias Müller versucht derzeit, den Konzern nach der Abgas Affäre auf Kurs zu bringen. Doch die Vergangenh­eit holt ihn ein.
Foto: Fabrice Coffrini, afp VW Chef Matthias Müller versucht derzeit, den Konzern nach der Abgas Affäre auf Kurs zu bringen. Doch die Vergangenh­eit holt ihn ein.

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