Raus in die Natur – aber mit Rücksicht
Tiere Jetzt ist die Aufzuchtzeit für viele Arten. Warum es für die eine sensible Phase ist
Landkreis Rehe und Hasen, die ganze Vogelwelt, überhaupt alles, was in Wald und Wiesen kreucht und fleucht, zieht seinen Nachwuchs auf. Die Zeit reicht in der Regel von April bis Juni, doch nach dem vergangenen unerwarteten Wintereinbruch ist jetzt der eigentliche Höhepunkt. Dabei gilt vor allem eines: Die Natur regelt vieles von alleine. Duckt sich ein Rehkitz versteckt in der Wiese, sollte es auf keinen Fall angefasst werden, sagt Helmut Jaumann, Chef der Kreisjägervereinigung im Landkreis Dillingen. Auch wenn es im ersten Moment so aussehe, als seien Kitze oder junge Häschen mutterseelenallein und verlassen, dürfe man sich davon nicht täuschen lassen. „Sie werden gefüttert und von den Eltern liebevoll betreut“, sagt Jaumann. Deshalb sollte, wer bei einem Streifzug in der Natur beispielsweise ein Kitz entdeckt, möglichst sofort den Platz verlassen, damit die Tiere eine Chance hätten, von den Eltern weiter betreut zu werden.
Wichtig ist in der Aufzuchtzeit in Wald und Wiese laut Jaumann daneben vor allem, dass man auf den Wegen bleibt, um die Tiere nicht unnötig zu stören. Und für Hundebesitzer vor allen Dingen, ihren Hund an die Leine zu nehmen, damit es nicht zu unschönen Jagdszenen kommt. „Auch wenn der Hund sonst noch so gut folgt, ist es jetzt besonders angebracht, ihn anzuleinen“, sagt Jaumann. Denn wittert ein Hund ein Jungtier, folge er oft seinem angeborenen Jagdinstinkt.
Auch für die Vogelwelt, die derzeit teilweise noch mit dem Brutgeschäft beschäftigt sei, ist es laut Jaumann von Vorteil, wenn der Wanderer auf den Wegen bleibt und nicht durchs Unterholz streift. Denn sonst kann es passieren, dass die Eltern aufgescheucht werden und die Eier, wenn sie zu lange fort sind, auskühlen. Wenn die kleinen Piepmätze dann ausgeflogen sind, sollten Spaziergänger und auch Gartenbesitzer nicht der Illusion erliegen, dass Jungvögel, die auf dem Boden sitzen, Hilfe des Menschen brauchen. „Sie werden, bis sie richtig fliegen und sich selbst versorgen können, von den Eltern gefüttert und können sich auch mit ihnen verständigen.“Auch hier plädiert Jaumann dafür, die Natur sich selbst zu überlassen. „Ich weiß, dass es die meisten Menschen nicht böse meinen und glauben, sie würden die Tiere dadurch retten. Aber man sollte sie einfach nicht mit nach Hause nehmen.“
Das empfiehlt auch das Landratsamt. Es rät dazu, vermeintlich aus dem Nest gefallene Jungvögel nicht sofort aufzunehmen, sondern zunächst nur aufmerksam zu beobachten. Hintergrund sei, dass die nahezu flüggen Jungtiere zahlreicher Vogelarten das Nest bereits vor der vollständigen Ausbildung des Gefieders verlassen. Die Tiere folgen dazu ihrem Instinkt, sich zu verteilen, damit nicht die gesamte Brut von Raubwild entdeckt wird. Sogenannte Bettelrufe der anscheinenden „Waisen“an die Eltern erfolgen zum Teil deshalb nur habituell, ohne echte Notsignale zu sein. Die Elterntiere nehmen sich der Jungen an, wenn keine Gefahr für sie selbst – konkret insbesondere durch die menschliche Nähe – zu drohen scheint. „Mutmaßlich verwaiste Vögel sollten daher sogar nur aus einer Verdeckung heraus beobachtet werden“, rät Andreas Foldenauer vom Landratsamt.
Erst nach etwa drei Stunden ohne Näherung eines Elterntieres könne darauf geschlossen werden, dass es sich um einen verwaisten Jungvogel handelt. Sofern er tatsächlich in Gefahr sei – beispielsweise sitzend an einer stark befahrenen Straße –, empfehle es sich, ihn auf einen Ast an einer sicheren Stelle in der Nähe des Fundorts umzusetzen. Wenn der junge Vogel gar noch nackt ist, sollte er möglichst vorsichtig ins Nest zurückgesetzt werden. „Weil sich Vögel nicht am anhaftenden Geruch des Menschen stören, besteht dabei grundsätzlich keine Sorge, dass er von den Elterntieren nicht wieder angenommen wird.“
Auch wenn die Aufnahme gut gemeint sei: Naturschutzrechtlich dürfen lediglich verletzte oder kranke Jungvögel und diese allenfalls vorübergehend aufgenommen werden. Selbst bei bester Pflege durch den Menschen bestehe nämlich allein schon wegen des dadurch bedingten Stresses für die Tiere eine deutlich geringere Überlebenschance als in freier Wildbahn. Verletzte Jungvögel seien folglich zunächst schonend beim Tierarzt zur Behandlung und anschließend in eine anerkannte Auffangstation zu bringen, welche die Tiere mit dem Ziel der Wiederauswilderung tiergerecht versorgt. Ein ähnliches Vorgehen rät Foldenauer auch bei Kitzen und anderen jungen Säugern. „Ebenso wie die Jungvögel haben nicht jedes Kitz und jeder Junghase menschliche Hilfe nötig, sondern lediglich verletzte oder kranke Tiere.“Auch hier gelte es, zunächst verdeckt und aus einer gewissen Entfernung zu beobachten, ob beispielsweise das Kitz lange und ergebnislos nach dem Muttertier fiept. Erst wenn feststehe, dass das Tier tatsächlich verwaist ist und sich in Gefahr befindet, könne das Jungtier mitgenommen werden. Dann gelte es, sich rasch mit einem Tierarzt und gegebenenfalls einer Aufzuchtstation in Verbindung zu setzen.
„Auch wenn der Hund sonst noch so gut folgt, ist es jetzt besonders angebracht, ihn anzuleinen.“
Helmut Jaumann