Eine Linse für die Linse
Medizin Dr. Rüdiger Schmid ist Augenchirurg bei den Augenallianz-Zentren Dillingen. Dort gibt es ein neues Verfahren, das unter anderem die Alterssichtigkeit korrigiert
In diesen Tagen wird in Deutschland ein neues Linsensystem in der Augenchirurgie eingeführt. Dr. Rüdiger Schmid ist als Augenchirurg bei den Augenallianz-Zentren Dillingen(Donau) beschäftigt und führt zusammen mit Dr. Wolfgang Lenz die Spezialpraxis „accuratis“für Augenlaser und Premiumlinsen in Ulm. Können Sie uns kurz erklären, um was es bei dem neuen Verfahren geht? Schmid: Es handelt sich bei der „Presbyopic Implantable Phakic Contact Lens“(IPCL) um die erste „multifokale“, ins Auge einsetzbare „Kontaktlinse“in Deutschland. Eine „multifokale“Linse ermöglicht ein Sehen in die Ferne und in die Nähe. Die Alterssichtigkeit lässt sich nun mit dieser hauchdünnen Zusatzlinse aus medizinischem Kunststoff korrigieren, die vor die körpereigene Linse gesetzt wird, ohne dass diese entfernt werden muss. Es gibt ähnliche Linsen bereits (Visian ICL), allerdings nur zur Korrektur von Kurzsichtigkeit, Weitsichtigkeit und Hornhautverkrümmung beim jungen Menschen. Einem alterssichtigen Menschen hilft dies nicht: Hier muss bislang die eigene Linse gegen eine „multifokale Kunstlinse“getauscht werden (also eine Art „Gleitsichtbrille ins Auge“). Mit der IPCL lässt sich nun endlich auch die Alterssichtigkeit korrigieren, zusätzlich zu allen Arten von Fehlsichtigkeit. Aber die körpereigene Linse bleibt erhalten. Weiterer Vorteil: Der Eingriff ist reversibel. Die Gleitsichtbrille kann so überflüssig werden.
Für wen ist diese Methode geeignet? Schmid: Für alle alterssichtigen Menschen, die noch keinen grauen Star haben. Besonders profitieren diejenigen, die zusätzlich kurz- oder weitsichtig sind. Konnten Sie diese Art der Operation schon durchführen? Wenn ja, an wem, und wie geht es dem Patienten? Schmid: Im April konnte ich die ersten beiden IPCLs in Deutschland einsetzen. Der 50-jährige Patient kam direkt in den ersten Tagen schon sehr gut zurecht und konnte eine volle Sehschärfe für die Ferne und 80 Prozent für die Nähe erreichen. Der Seheindruck war sehr gut. Es gab keine Befindlichkeitsstörungen, der Patient war happy.
Was sind mögliche Begleiterscheinungen oder Risiken? Schmid: Was den Seheindruck angeht: Bei allen multifokalen Linsen kann es prinzipiell Kontrastunschärfen und nächtliches Streulicht geben. In der Regel sind diese Phänomene leicht ausgeprägt und von vorübergehender Natur. Dennoch muss dies gegen den Vorteil der Brillenunabhängigkeit abgewogen werden. Wichtig bei der IPCL: Dieser Eingriff ist reversibel. Die Risiken der Operation sind definitiv abhän- gig von den Fertigkeiten des Operateurs und gelten allgemein als in der Summe nicht höher als beim Kontaktlinsentragen. Chirurgische Probleme könnten in der Regel auch behoben werden.
Gibt es Erfahrungen in anderen Ländern? Wie sieht es mit Langzeitstudien aus? Schmid: Die 2017 nun in Deutschland neu eingeführte IPCL wurde seit 2013 in Europa und insbesondere im asiatischen Raum bislang nahezu 30000-mal eingesetzt. Langzeitstudien gibt es mit der ähnlichen „ICL“, die Fehlsichtigkeiten, jedoch nicht die Alterssichtigkeit korrigieren kann. Die ICL wird seit 1993 eingesetzt.
Von welchen Kosten sprechen wir? Übernehmen die Kassen etwas? Schmid: Die Kosten belaufen sich auf circa 2500 bis 2700 Euro pro Auge. Ebenso wie bei Brillen oder Kontaktlinsen beteiligen sich die gesetzlichen Krankenkassen nicht an dieser Operation. Der Eingriff ist allerdings voll steuerlich geltend zu machen. Wenn man sich die kumulierten Kosten für Kontaktlinsen oder Brillen einmal hochrechnet, merkt man: Die Operationskosten sind üblicherweise schnell wieder drin – zusätzlich zum neu gewonnenen Lebensgefühl. Private Kassen geben in der Regel einen Zuschuss zur OP.
Nach wie vor haben viele Menschen Angst vor Eingriffen am Auge. Ist das auch Ihr Eindruck? Schmid: Das ist sicherlich der Hauptgrund dafür, dass nicht jeder Fehlsichtige sich die Augen korrigieren lässt. Denn – seien wir ehrlich – wer würde es vorziehen, auf eine Brille oder Kontaktlinsen angewiesen zu sein? Natürlich wäre jeder lieber brillenfrei. Aber die Angst, sich an den Augen, dem wertvollsten Sinnesorgan, operieren zu lassen, ist meist enorm. Das ist das tiefe Unwohlsein gegenüber dem Kontrollverlust, wie etwa beim Fliegen. Man muss sich rational klarmachen: Diffuse Angst ist erlaubt, konkret gibt es bei einem seriösen, kompetenten Operateur definitiv keinen Grund hierfür.
Gibt es Sehschwächen, die Sie nicht beheben oder mindestens verbessern können? Schmid: Es gibt für fast alle Augen und für fast alle Sehschwächen eine Korrekturmöglichkeit. Hier wählen wir sorgfältig aus, was im individuellen Fall die beste Variante ist. Allerdings können wir Augen, die wegen Schielen schlecht sehen, nicht verbessern. Ebenso gibt es natürlich bestimmte wirklich krankhafte Veränderungen der Augen, die nicht auf eine volle Sehschärfe zu operieren gehen. Von Simone Bronnhuber