Fragen nach dem Alter nerven ihn
Bundesliga Julian Nagelsmann hat Hoffenheim zu einem Champions-League-Teilnehmer geformt. Am Samstag kommt der FCA. Eine andere Herausforderung folgt nächste Saison
Augsburg Sogar der FC Bayern soll sich mit ihm beschäftigen. Innerhalb eines Jahres ist Julian Nagelsmann zu einem der begehrtesten Bundesligatrainer aufgestiegen, ihm wird eine Zukunft bei Top-Klubs zugetraut. Wie Nagelsmann diesen Status erreichte? Zunächst einmal hat er mit der härtesten Währung bezahlt: mit Erfolg. Allein, dass er die TSG Hoffenheim im vergangenen Jahr vor der Zweitklassigkeit bewahrte, beeindruckte. Nun setzt er den rasanten Aufstieg fort, vor dem Heimspiel gegen den FC Augsburg ist der Qualifikationsplatz zur Champions League sicher.
In der Bundesliga gibt es keinen Klub, dessen sportlicher Erfolg derart eng mit dem Trainer in Verbindung gebracht wird. Hoffenheim hat vor der Saison keine Ausnahmekönner für seinen Kader verpflichtet, hat mit Kevin Volland (Leverkusen) sogar einen wertvollen Profi abgegeben. Nagelsmann gelingt jedoch, was Jürgen Klinsmann einst beim FC Bayern nur vollmundig ankündigte: Er macht seine Spieler besser, vielleicht sogar jeden Tag. Ohne Nagelsmann hätte der FC Bayern wohl nie Sebastian Rudy und Niklas Süle verpflichtet.
Womöglich wird Taktik im modernen Fußball bisweilen überhöht. Allerdings kann eine kluge Taktik den Abstand zu vermeintlich besseren Mannschaften verringern. Nagelsmann fordert und fördert. Er entwickelt eigene Übungen, baut darin Zusätze ein, die die Spieler zum intensiven Mitdenken zwingen. Stürmer Sandro Wagner beschreibt, Nagelsmann arbeite mit einem „Baukastensystem“, zerlege das Spiel in Passagen, lasse diese üben und setzte sie dann wieder zusammen. Verteidiger Benjamin Hübner gestand einmal, dass er mehrere Wochen gebraucht habe, ehe er Abläufe begriffen hatte.
Die Spieler benötigen dieses Rüstzeug. Während einer Partie verordnet Nagelsmann seinen Akteuren mitunter verschiedene Formationen. Er reagiert unmittelbar auf Entwicklungen, greift ein. Ritterschlag war für ihn das Kräftemessen mit dem FC Bayern. In der Hinrunde trotzte die TSG den Münch- ein 1:1 ab, in der Rückrunde siegte sie 1:0. Die Mannschaft spielt nicht nur erfolgreich, sie spielt auch schön.
Nagelsmann ist in Landsberg geboren und im nahe gelegenen Issing aufgewachsen. Trotz des Erfolgs ist er bescheiden geblieben, wirkt geerdet. Er ist sich aber auch bewusst, dass er etwas besser kann als andere. „Ich habe ein Talent: Das ist Fußball. Andere haben andere Talente“, sagt er selbstbewusst. Seine Bedeutung würde er niemals über die der Spieler heben.
Dass die Profis auf dem Rasen mehr Geld als der Trainer verdienen, ist seiner Meinung nach gerechtfertigt. Schließlich müsse der Spieler die Leistung auf dem Platz zeigen. Fußball bezeichnet Nagelsmann als „players game“. Mit 29 Jahren ist er jüngster Trainer der Bundesligageschichte, damit auch jüngster „Trainer des Jahres“. Mitte März zeichnete ihn der Deutsche Fußball-Bund aus. Nichts nervt Nagelsmann aber inzwischen mehr als Fragen nach seinem Alter. Zudem wirkt er nicht wie ein Trainernovize von Ende 20. Über Fußball spricht er bestimmt, weil er weiß, was er kann.
Verletzungen zerstörten früh eine Profikarriere, fortan beobachtete er beim FC Augsburg für den damaligen Jugendtrainer Thomas Tuchel Spiele. Danach wurde Nagelsmann in Hoffenheim Cheftrainer der U17, mit der U19 holte er 2014 die deutnern sche Meisterschaft. Nagelsmann dient als Trainer-Prototyp, er nutzt moderne Medien, sieht sich aber nicht als Laptoptrainer. Neben Taktik und Trainingsarbeit widmet er sich intensiv der Menschenführung und geht auf Bedürfnisse seiner Spieler ein. Stürmer Wagner etwa gewährt er familiäre Freiheiten, weil dieser mit Leistung zurückzahlt.
Spannend wird sein, wie Nagelsmann Krisen bewältigt. Erfolg in der Bundesliga, zugleich aber auch im Europapokal, das wird ihn fordern. Gelangt das Team an Grenzen, fällt dies letztlich auf Nagelsmann zurück. Andererseits: Schafft der 29-Jährige diesen Spagat, könnte er tatsächlich ein Kandidat für den FC Bayern werden.