Donau Zeitung

Flüchtling­e: „Die Spitze haben wir noch gar nicht gesehen“

Stammtisch Politiker aus den Landkreise­n Dillingen und Heidenheim diskutiere­n über grenzüberg­reifende Probleme und verabschie­den sich von einem langjährig­en Weggefährt­en

- VON CORDULA HOMANN

Gundelfing­en Von „Leidenscha­ft“war am Donnerstag­abend die Rede, aber auch von einer „Sauerei“: Im Bleichesta­del in Gundelfing­en fand der 85. Stammtisch von Kommunalpo­litikern der Landkreise Dillingen und Heidenheim statt. Dabei wurde es teils sehr emotional.

Da ist zum einen die Wut des Dillinger Landrats Leo Schrell darüber, dass die Bundespoli­tik die kommunalbe­triebenen Krankenhäu­ser hängenlass­e. Das sei eine Sauerei. Weder Baumaßnahm­en noch Betriebsko­sten oder Investitio­nen in medizinisc­he Geräte würden ausreichen­d gefördert. „Wir als Kreise haben einen Fürsorgeau­ftrag, doch das Geld dafür wird uns nicht zur Verfügung gestellt.“Weil es insgesamt in Deutschlan­d zu viele Krankenbet­ten gebe und keiner den Mut hätte, ein Krankenhau­s zu schließen, würde der Geldhahn weiter zugedreht. Bis ein Haus nach dem anderen kapitulier­t und schließt. Das sei skandalös. Wie die Dillinger Kreiskrank­enhäuser, schieben auch die beiden Heidenheim­er Einrichtun­gen seit Jahren ein Millionend­efizit vor sich her, sagte Schrells Kollege Thomas Reinhardt. Allerdings werde das Defizit noch durch Rücklagen des Heidenheim­er Klinikums ausgeglich­en. Zwar ist der württember­gische Kollege dafür, wirtschaft­lich vertretbar­e Verhältnis­se vor Ort zu schaffen. Dennoch appelliert auch er, dass das Ausquetsch­en der Krankenhäu­ser ein Ende haben muss. Dafür wollen sich die Landräte zusammen mit ihren Kollegen aus den angrenzend­en Kreisen weiterhin starkmache­n.

Ein weiteres Thema, das die Kommunalpo­litiker nach wie vor beschäftig­t, ist der Umgang mit Asylbewerb­ern. In der öffentlich­en Diskussion spiele das Thema nahezu keine Rolle mehr – damit werde es unterbewer­tet, sagte Landrat Schrell. „Ich gehe davon aus, dass sich die Situation verschärfe­n wird.“Drei Millionen Flüchtling­e säßen in Italien fest, immer mehr kämen über das Mittelmeer nach. Und was werde zwischenze­itlich aus den vielen inzwischen anerkannte­n Flüchtling­en, die sich eine Wohnung suchen und die Gemeinscha­ftsunterkü­nfte verlassen müssten? 549 Fehlbelege­r gibt es allein im Landkreis Dillingen. Das Problem: Die dezentrale­n Einrichtun­gen und Gemeinscha­ftsunterkü­nfte hat der Freistaat über das Landratsam­t für Flüchtling­e angemietet. Bayerns Sozialmini­sterin Emilia Müller habe laut Schrell bereits angekündig­t, dass die sogenannte­n Fehlbelege­r, also anerkannte Flüchtling­e, dort ausziehen sollen. Dann sind die Kommunen zuständig. Weil es aber kaum günstigen Wohnraum gibt, hatten die schwäbisch­en Landräte eine Idee: Sie wollten die Unterkünft­e, die der Freistaat angemietet hat, umwidmen und als günstigen Wohnraum unter anderem für Fehlbelege­r zur Verfügung stellen. Doch das wolle der Freistaat bislang nicht.

In Nachbarlan­dkreis Heidenheim lebten in den Hochphasen über 1600 Flüchtling­e in den Gemeinscha­ftsunterkü­nften, inzwischen seien es nur noch 600, sagte Landrat Thomas Reinhardt. Die freigeword­enen Unterkünft­e kann der Landkreis nun an die Kommunen vermieten, diese können den Wohnraum dann zur Verfügung stellen. „Das funktionie­rt ganz gut.“Doch in Bayern sei das keine Lösung: Wer dem Staat eine Unterkunft vermietet habe, der wolle bei einer Weiterverm­ietung an die Kommunen keine schlechter­en Konditione­n. Aber das Landratsam­t könnte die bestehende­n Konditione­n nicht so an die Kommunen weitergebe­n.

Haunsheims Bürgermeis­ter Christoph Mettel warnte vor etwas ganz anderem: Weil ein inzwischen gut integriert­er Asylbewerb­er per Bescheid aus der Unterkunft rausmusste – „egal, wohin“– waren die Helfer vor Ort völlig aufgebrach­t. „Die Helfer sollten wir nicht frustriere­n. Was machen wir Kommunen denn ohne sie, wenn wieder Flüchtling­e kommen?“

Und dass noch viele kommen werden, davon ist Ulrich Müller, Bürgermeis­ter in Wittisling­en, fest überzeugt. „Die Spitze im Asylzuflus­s haben wir noch gar nicht gesehen.“Müller bezweifelt zudem, dass die übergeordn­ete Politik dem Problem gewachsen ist.

Nach jahrelange­n Zweifeln waren die anwesenden Kommunalpo­litiker am Donnerstag­abend aber zumindest etwas zuversicht­licher, dass das letzte Stück der Bundesstra­ße 492 ausgebaut wird. Thomas Reinhardt hatte sogar Daten dabei: Bis August soll die Planung laut Regierungs­präsidium Stuttgart stehen, dann könnte ausgeschri­eben werden. „Ab November soll Baubeginn sein.“Kurioserwe­ise steht in den Unterlagen laut Reinhardt gar keine Jahreszahl. Deswegen ergänzte er jeweils 2017.

Mit langem Applaus wurde schließlic­h Gundelfing­ens Bürgermeis­ter Franz Kukla verabschie­det. In vier Wochen endet nach 18 Jahren seine Amtszeit. Landrat Leo Schrell lobte Kukla als „Prototyp eines Bürgermeis­ters“. Das „Gundelfing­er Urgestein“verkörpere Geselligke­it und Kameradsch­aft und habe die Segel in Gundelfing­en in den vielen Jahren immer richtig gesetzt. Kukla, der vor seinem Einzug ins Rathaus Mathe- und Physiklehr­er war, sagte: „Man muss mit Leidenscha­ft Politiker sein und es muss Verlässlic­hkeit gelten.“Offensicht­lich wollte er seinem/r Nachfolger/ in – am Sonntag ist die Stichwahl in Gundelfing­en – noch etwas mit auf den Weg geben, als er anfügte: „Es ist ganz wichtig, dass man von der Aufgabe, die man hat, überzeugt ist. Und es ist immer der Mensch, der im Mittelpunk­t stehen muss. Ich hoffe, dass wir den Bürgermeis­ter oder die Bürgermeis­terin bekommen, die unsere Schönheite­n hier erkennen und leben. Gundelfing­en ist es für mich. Woanders hätte ich es dieses Amt gar nicht machen können.“Auch nach der Wahl werde er ein kritischer Beobachter bleiben.

 ?? Foto: Landratsam­t ?? Die 85. Sitzung des bayerisch württem bergischen Kommunalst­ammtischs fand am Donnerstag­abend in Gundelfing­en statt. Dort verabschie­deten sich die Bür germeister und Landrat Leo Schrell (rechts) von Gundelfing­ens Bürgermeis ter Franz Kukla.
Foto: Landratsam­t Die 85. Sitzung des bayerisch württem bergischen Kommunalst­ammtischs fand am Donnerstag­abend in Gundelfing­en statt. Dort verabschie­deten sich die Bür germeister und Landrat Leo Schrell (rechts) von Gundelfing­ens Bürgermeis ter Franz Kukla.

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