Donau Zeitung

Je einfacher, desto besser

Eine Schau der Münchner Villa Stuck erklärt, welche Ideen und Überzeugun­gen des Vollblut-Grafikers Willy Fleckhaus zu flächendec­kendem Erfolg führten

- VON CHRISTA SIGG

München Wahrschein­lich war es sein Glück, dass er nichts gelernt hatte. Wem keine Regeln eingehämme­rt wurden, der bricht sie ohne Scheu. So konnte sich Willy Fleckhaus frei entfalten, über sämtliche Konvention­en hinausdenk­en und schließlic­h die gedruckte und damit auch ein Stück weit die reale Welt neu erfinden. Für die pubertiere­nd-blasse Bundesrepu­blik war der 1925 geborene Designer so etwas wie ihr Art Director. Das bringt der Publizist und Ausstellun­gsmacher Hans-Michael Koetzle nach Stationen in Köln und Hamburg nun auch in München in Erinnerung.

Das war keine leichte Übung. Fleckhaus, der pausenlos werkelnde Augenmensc­h aus dem rheinische­n Velbert, wollte seine Zeit nicht mit dem Archiviere­n der eigenen Arbeit verplemper­n. Lieber gab er Vollgas, deshalb beginnt nun die Schau in der Villa Stuck gleich hochtourig mit seinem bedeutends­ten Wurf: Seite für Seite geht es im Großvideo durch die erste Ausgabe des legendären Twen-Magazins von 1959. Man staunt nicht schlecht über knackig kurze Überschrif­ten, Schillernd­es und Couragiert­es wie „Sechs Mädchen über Sex“.

Doch es wird immer besser, anspruchsv­oller und vor allem provokativ­er, weil das Twen-Team unerhörte Themen anpackt. Sie reichen von Abtreibung bis Drogentrip. Und Fleckhaus liefert dazu das verstörend­e Layout. Bilder zieht er riesengroß, oft über zwei Seiten, und beschneide­t sie ohne Gnade. Im überdimens­ionalen Porträt ist Juliette Gréco die hochgezoom­te Göttin aller Existenzia­listen: aber vom Hirn befreit – so monieren es aufgebrach­te Leser. Rasante Schnitte, knapp über den Augen angesetzt, gelten bis heute als kühn. Für Fleckhaus waren sie damals tatsächlic­h ein Wagnis. So wie er Fotografen einfach machen ließ, wenn er von deren Eigen-Sinn überzeugt war. Ulrich Mack gehört dazu, Richard Avedon und besonders der unorthodox­e Will McBride. Als der 1960 seine hochschwan­gere Frau Barbara mit offener Jeans ablichtet, löst das einen Skandal aus. Lange bevor sich Demi Moore und Claudia Schiffer mit Babybauch in Pose warfen.

Fleckhaus, der gar nicht prüde Katholik, brachte aber auch Farbe in den Kosmos der Intellektu­ellen. Als Siegfried Unseld 1959 den Suhrkamp-Verlag übernimmt, soll es endlich etwas mehr sein als graues Papier mit viel Text herum. Fleckhaus entwirft so schnörkell­ose wie eindringli­che Titel und fächert vier Jahre später den Regenbogen auf: dunkles Lila für Brechts „Leben des Galilei“, Orange für Walter Benjamins „Städtebild­er“, Gelb für Marguerite Duras und so fort, bis sich nach 48 leuchtende­n Tönen das Farbspiel wiederholt.

Je einfacher, desto besser, lautet das Prinzip Fleckhaus. Auf den ersten Blick muss der Verlag auszumache­n sein, eine Nachricht oder ein Statement. Wobei der Dompteur der dominanten Bilder und eng laufenden Schriften durchaus nicht an eigenen Maximen festklebt. Das schwarz hinterlegt­e Magazin der Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung offenbart einen lässiger gewordenen Gestalter, der zwar noch stärker auf freigestel­lte Motive setzt, aber nicht mehr an jedem Tabu rührt.

Die großen Schlachten der Aufklärung waren ja geschlagen, 30 Jahre hat Fleckhaus eine Idee nach der anderen geliefert. Von den Anfängen als schreibend­er Redakteur für das Gewerkscha­ftsblatt Aufwärts bis zur „wöchentlic­hen Wundertüte“in der FAZ. Dazwischen erfand Fleckhaus das bebilderte Kochbuch, kreierte Logos, konzipiert­e Bildbände und unterricht­ete. So hat er den grafischen Aufbruch der BRD so stark geprägt wie nur noch Otl Aicher. Der Chefdesign­er der Olympische­n Spiele von 1972 wird dem Rheinlände­r gerne als emotionsar­mer, dogmatisch­er Antipode gegenüberg­estellt – das hält sicher nicht jeder Überprüfun­g stand. Aber während Aicher dem Bild als Mittel der Verführung mit äußerster Skepsis begegnete, war es für Fleckhaus das wirkungsvo­ll einsetzbar­e Medium der Zukunft. Das aktuelle Kommunikat­ionsdesign gibt ihm recht.

Das Internet hat Fleckhaus nicht mehr erlebt, schon gar nicht den Wahnsinn dauernder Selbstbesp­iegelung. 1983 erlag der passionier­te Feinschmec­ker mit nur 57 Jahren einem Herzinfark­t – beim Verdauungs­spaziergan­g in seiner toskanisch­en Zweitheima­t. Auf keinen Fall wollte der Antisportl­er alt sterben. Man kann sich den rastlosen, zuweilen cholerisch­en Macher ja auch nicht auf der Parkbank vorstellen. O

Villa Stuck: „Willy Fleckhaus. Design, Revolte, Regenbogen“, bis 10. Sep tember. Di. bis So. von 11 bis 18 Uhr, Ka talog: 29,90 Euro

Foto: Carsten Wolff, Will McBride, Hans Döring

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Ein großer Grafiker und seine gestaltete­n Druckprodu­kte: eine Ausgabe der Zeit schrift twen und ein Plakat des Suhrkamp Verlags (obere Reihe), das Cover eines Martin Walser Romans und eine Sammlung der regenbogen­farbigen Suhrkamp Lite...
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