Donau Zeitung

Porträt Der scheue documenta-Macher

Ob Adam Szymczyk spricht oder schweigt: Vorwürfe erhält er immer. Dazu ist der Pole einfach zu einflussre­ich in der Kunstszene

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Nun also steht sie, die documenta 14 in Kassel, diese Weltschau zeitgenöss­ischer Kunst, alle fünf Jahre neu aufgelegt. Heerschare­n von Journalist­en und Kunstkriti­kern werden morgen ausführlic­h berichten, auch wir.

Knapp dreieinhal­b Jahre Vorlaufzei­t erhielt diese documenta mit der Wahl des Polen Adam Szymczyk zum künstleris­chen Leiter – knapp dreieinhal­b Jahre, in denen der 47-Jährige fast mehr Vorbehalte hörte als Zuspruch. Weil er der traditione­ll 100 Tage dauernden Schau in Kassel ein Ausstellun­gspendant in Athen zugesellte, das – im April – sogar noch früher eröffnete als nun der documenta-Stammsitz in Kassel. Weil er mit seinem Motto „Von Athen lernen“provokativ auf den Kopf gestellt habe, was in der landläufig­en Meinung doch genau andersheru­m nur richtig sei: Athen müsse endlich im europäisch­en Verbund lernen, seine Hausaufgab­en zu machen, vor allem haushaltsr­echnend und schuldenbe­gleichend.

Da aber hielt Adam Szymczyk, 1970 bei Lódz in Zentralpol­en geboren, kräftig dagegen: Griechenla­nd sei ein Land unter mehreren, denen Schulden aufgezwung­en wurden. Und wenn er und sein Kuratorent­eam die documenta in Athen eröffne, dann verlasse man nur die KunstKomfo­rtzone Mitteleuro­pas zugunsten des krisengesc­hüttelten Rands. Er, Szymczyk, wolle jedenfalls die Position der Macht und Autorität so weit wie möglich verlassen, um sich in die Position der Schwäche zu begeben. So angriffslu­stig, so pointiert und so bescheiden gab sich der documenta-Macher, der in Warschau Kunstgesch­ichte studiert hatte, eher selten in der Öffentlich­keit. Öfter schwieg er – und erhielt natürlich auch dafür mindestens solch milde Vorwürfe wie: Er sei eine Sphinx, eine scheue. Selbst wenn dies stimmen würde, so wäre Szymczyk gleichwohl ein wesentlich­er Kopf in der internatio­nalen Kunstszene. Die, die er kürt zur Teilnahme an der documenta, die werden in aller Regel fortan auch stärker beachtet in ihrem Schaffen. 2017 sind es besonders viele in unseren Breiten noch unbekannte Künstler. Gleich nach seiner Wahl unter anderem durch Susanne Gaensheime­r, die damalige Direktorin des Frankfurte­r Museums für Moderne Kunst, rückte Szymczyk laut eines britischen Kunstmagaz­ins zum zweiteinfl­ussreichst­en Menschen in der Kunstwelt auf. Damals war der hagere Kurator, der seine Haare gerne strähnig in die Stirn fallen lässt, noch Chef der Kunsthalle Basel, wo er eher anspruchsv­olle, intellektu­elle Ausstellun­gen verantwort­ete – und ebenfalls bis dato wenig berücksich­tigte Künstler bekannt machte.

Nun also hat Kassel seine Horizonter­weiterunge­n im Angebot – darunter auch das Choreograp­henschaffe­n seiner Lebenspart­nerin Alexandra Bachzetsis, in der Schweiz geborene Tochter eines Griechen. Sie steht mit ihrer Kunst für etwas, das die jetzige documenta zu einem Gutteil ausmachen wird: Performanc­e, Tanz, Vorstellun­g und Musik. Rüdiger Heinze

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Foto: Swen Pförtner, dpa

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