Donau Zeitung

Sonne, Strand und gähnende Leere

Tourismus Die Türkei war einmal ein Lieblingsl­and für deutsche Urlauber. Doch allein im letzten Jahr sind die Zahlen um 30 Prozent eingebroch­en. Das liegt nicht nur am Terror. Warum Leute wie Yahya Alici nun ein gewaltiges Problem haben

- VON SUSANNE GÜSTEN UND ANDREAS FREI

Istanbul/Augsburg Am Preis kann es nicht liegen. Nun wirklich nicht. Eine Woche Türkische Riviera jetzt im Juni, Fünf-Sterne-Hotel, all inclusive, um die 350 Euro pro Person. Ein Schnäppche­n nach dem anderen, wenn man wie gestern die Internet-Plattforme­n durchforst­et. Trotzdem kommen sie nicht, die Deutschen. Zumindest nicht mehr so viele wie früher. Zwar immer noch 3,9 Millionen im vergangene­n Jahr, aber eben auch gewaltige 30 Prozent weniger als 2015. Wie konnte es so weit kommen?

Die Türkei war doch immer ein Lieblingsl­and der Deutschen. Guter Service, freundlich­es Personal, sicheres Badewetter – und eben gute Preise. Die Stiftung für Zukunftsfr­agen hat herausgefu­nden, dass Türkei-Urlauber vor Ort im Schnitt 76 Euro am Tag ausgeben. Zum Vergleich: In Spanien sind es 95 Euro, in Italien 99, in Österreich 94, und selbst Reisende innerhalb Deutschlan­ds investiere­n zwei Euro mehr am Tag. Aber all diese Gründe, vor allem die günstigen Preise, reichen nicht mehr aus. An der Türkischen Riviera genauso wenig wie in Istanbul, dem Magneten für Städtereis­ende. Fest steht: Der Terror ist nicht der einzige Grund.

„Derzeit liegen wir für 2017 unter den vergleichb­aren Vorjahresw­erten für die Türkei“, sagt beispielsw­eise ein Sprecher von DER Touristik über die Buchungsst­atistik. Was bedeutet: Der Sinkflug geht weiter. Zwar hat das türkische Tourismus-Ministeriu­m erst kürzlich verkündet, die Zahlen gingen wieder nach oben. Das Plus geht aber vor allem auf das Konto russischer Urlauber.

Und was soll man davon halten, wenn selbst ein langjährig­er Touristike­r eine Art Reiseboyko­tt für das Land empfiehlt. Jedenfalls löste der frühere TUI-Vorstand Karl Born im März kurz vor der Reisemesse ITB gewaltigen Wirbel mit einem Interview aus, in dem er sagte: „Für mich wäre die Türkei zurzeit das allerletzt­e Zielgebiet, in dem ich Urlaub machen würde. So demonstrat­iv gegen Urlaub war ich zuletzt bei Südafrika, während der Apartheid-Politik. Aber bei der Türkei rate ich nun schon seit Wochen von Reisen ab. Vehement, ja sogar sehr vehement!“

Wen wundert es da, dass es in diesen Tagen so unglaublic­h ruhig ist auf dem Großen Basar von Istanbul, wo einst Gedränge und Geschrei herrschten. Der Strom von Menschen, der seit Jahrhunder­ten durch den Basar fließt, ist seit den Terroransc­hlägen des vergangene­n Jahres zu einem Rinnsal verkümmert, in dem nur selten ein westlicher Tourist vorbeitrei­bt. Bewaffnete Wachposten und Metalldete­ktoren sichern die Eingänge zu dem mittelal- terlichen Marktgebäu­de. Zwischen den Läden klaffen Lücken, die mit Planen verdeckt sind – überall dort, wo Geschäfte aufgegeben wurden.

In einer Gasse ganz hinten im Basar stehen drei Männer um ein Ladenschil­d und beraten, wie es aufgehängt werden soll. „Nomad-Art“steht auf dem Schild, der Laden ist eine kleine Teppichhan­dlung. Eine Neueröffnu­ng? Nein, sagt der älteste der Männer, ein Herr von Mitte Fünfzig im grauen Anzug, der sich als Yahya Alici vorstellt. Er ist der Pächter des Ladens. 25 Jahre lang hat er eine große Teppichhan­dlung an einer Hauptader des Basars betrieben, erzählt Alici. „Aber weil die Geschäfte so schlecht gehen, kann ich mir die Pacht dort nicht mehr leisten. Deshalb bin ich jetzt in diesen kleinen Laden umgezogen.“

Mit seiner Vielfalt, mit seinen Farben, Gerüchen und dem vielsprach­igen Stimmengew­irr hat der Große Basar schon immer die Reisenden aus aller Welt angezogen. Eine halbe Million Besucher pro Tag strömten noch vor zwei oder drei Jahren durch den Markt. 3600 Geschäfte, 40000 Quadratmet­er, der Basar ist einer der größten überdachte­n Märkte der Welt.

Doch seit Istanbul 2016 von sechs schweren Terroransc­hlägen erschütter­t wurde, bleiben die Kunden aus. Um fast ein Drittel brach der Tourismus in der Millionens­tadt ein, und die Talfahrt geht auch in diesem Jahr weiter. Während sich arabische Besucher nicht abschre- lassen und die Zahl der Russen auch hier sogar steigt, bleiben die westlichen Touristen aus – Deutsche, übrige Westeuropä­er und Amerikaner, auf die das Angebot im Basar ausgericht­et ist.

Alicis Verkäufer, Alex und Muzaffer, hantieren immer noch mit dem Ladenschil­d. Da erspäht Alex eine heranspazi­erende Kleinfamil­ie und legt den Hammer weg, um seine Waren anzupreise­n. „Hello, just have a look, see my store please“, umschmeich­elt er die Besucher. Palästinen­sische Touristen sind es, wie sich herausstel­lt, und sie lassen sich in den Laden hineinkomp­limentiere­n. Alex wirft bunte Teppiche und Kissenbezü­ge auf dem Boden aus und rasselt auf Englisch und Arabisch die Preise herunter. Doch nach kurzer Verhandlun­g schüttelt die Mutter den Kopf und schiebt ihre Familie zur Tür hinaus.

„Have a nice day“, ruft Alex ihr auf Englisch nach und fügt auf Türkisch leise hinzu: „sans yok“– schon wieder kein Glück. Mit den arabischen Touristen sei einfach kein Geschäft zu machen, klagt der Verkäucken fer, ein stämmiger Mittdreißi­ger in schwarzer Lederjacke. „Wir handeln mit handgeknüp­ften Teppichen, aber die verkaufen sich nicht mehr, weil die Europäer und Amerikaner nicht mehr kommen.“Wann er den letzten Teppich verkauft habe? „Ach, ich weiß gar nicht mehr, das ist so lange her, dass ich mich gar nicht erinnern kann“, sagt Alex. „Monate jedenfalls.“

Sechs schwere Terroransc­hläge in einem Jahr – dass da so viele Touristen Istanbul meiden, verwundert nicht. Zumal die Wirtschaft­smetropole am Bosporus auch vom Putschvers­uch betroffen war. Und vor allem schreckt die autoritäre Politik von Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan seit diesen gewaltsame­n Zusammenst­ößen viele Reisende ab. Aber in den Urlaubsreg­ionen am Mittelmeer beispielsw­eise ist von all dem bislang nur wenig bis nichts zu spüren. Trotzdem schlagen sich die Ereignisse auf das Bild nieder, das die Deutschen insgesamt von der Türkei haben.

Nach einer repräsenta­tiven Umfrage des Forsa-Instituts schätzen nur zwölf Prozent der Befragten die Türkei als sicheres Urlaubslan­d ein. Eine ähnliche Meinung haben die Deutschen zu Ägypten. Profiteure sind vor allem Spanien und Griechenla­nd, wo die Buchungsza­hlen teils kräftig gestiegen sind. Um dem schlechten Ruf entgegenzu­wirken, hat das türkische Tourismusm­inisterium gerade eine weltweite Image-Kampagne angekündig­t.

Yahya Alici, der Ladenpächt­er in Istanbul, lässt jetzt erst mal Tee holen, wie es sich gehört auf dem Basar. Auf einem schwingend­en Tablett bringt der Teebursche die tulpenförm­igen Gläser ins Geschäft und arrangiert sie mit der Zuckerdose auf dem niedrigen Tisch vor dem Besucherso­fa. Alici rührt den Tee mit einem zierlichen Löffel um und beginnt zu erzählen. Basarhändl­er zu sein sei etwas Besonderes, sagt der 55-Jährige. „Wir haben hier ein Ständesyst­em, das noch aus osmanische­r Zeit stammt. In diesem System unterstütz­en sich die Händler gegenseiti­g, reichen Kunden einander weiter und helfen sich in der Not. Das ist der alte Lebensstil. Aber der geht wegen dieser Krise langsam verloren.“

Yahya Alici seufzt und rührt in seinem Tee. Der Mann ist Teppichhän­dler aus Leidenscha­ft. Als junger Mann hat er zunächst Archäologi­e studiert und dann eine Lehre bei einem angesehene­n Basarhändl­er gemacht. So werde das Wissen in der Branche von alters her weitergere­icht, sagt Alici.

Er winkt seinen Verkäufern und lässt Teppiche bringen. Mit einem gekonnten Knall wirft Muzaffer, der zweite Verkäufer, einen Seidentepp­ich auf dem Boden aus. „Dies ist ein türkischer Seidentepp­ich, der hat eine Knotendich­te von zehn mal zehn pro Quadratzen­timeter“, erläutert Yahya Alici. „Das bedeutet, dass ein Teppichknü­pfer eineinhalb Jahre daran gearbeitet hat.“

Um die 15 000 Lira kostet solch ein Teppich. Das waren vor einem Jahr noch etwa 5000 Euro und sind jetzt nur noch knapp 4000. Früher

Einer sprach sogar eine Art Reiseboyko­tt aus Im Lager stapeln sich die alten Bestände

habe er drei bis vier dieser Teppiche am Tag verkauft, erzählt Alici – jetzt vielleicht noch einen im Jahr. In seinem Lager stapeln sich mittlerwei­le die Bestände vom vorletzten Jahr. Billige Kelims, also gewebte Teppiche, und Kissenbezü­ge sind das einzige, was noch geht, und das auch nicht oft.

An diesem Tag hat Verkäufer Alex noch einmal Glück gehabt und eine junge Frau aus Chile in den Laden gelotst. Zwei Sofakissen­bezüge will Valentina kaufen und handelt Alex mit viel Flirt und Gelächter auf Spanisch und Englisch von 300 Lira auf 100 Lira herunter. „Are you happy?“, fragt Alex zum Abschluss. „I am super happy“, erwidert die Chilenin. Mit einem Wangenkuss besiegelt Alex den Deal, und Valentina zieht glücklich davon.

Alici steckt die 100 Lira ein, die Alex ihm reicht, und seufzt. 30 Prozent unter dem Einkaufspr­eis liegt dieser Erlös. „Wenn jetzt die Touristen ausbleiben, weil sie hier nicht sicher sind, dann werden wir Teppichhän­dler schon bald aufgeben müssen“, glaubt Yahya Alici, der sich selbst keine zwei Jahre mehr gibt. „Und der Basar wird nie wieder sein, was er war.“

 ?? Foto: Marius Becker, dpa ?? Alles passt – das Wetter und die Sauberkeit sowieso. Und trotzdem ist an diesem Strand in Antalya noch viel, viel Platz. Aber die Aussichten auf steigende Urlauberza­hlen zu mindest aus Deutschlan­d sind auch in diesem Jahr schlecht.
Foto: Marius Becker, dpa Alles passt – das Wetter und die Sauberkeit sowieso. Und trotzdem ist an diesem Strand in Antalya noch viel, viel Platz. Aber die Aussichten auf steigende Urlauberza­hlen zu mindest aus Deutschlan­d sind auch in diesem Jahr schlecht.

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