Donau Zeitung

Rote flirten mit Rechtsauße­n

Österreich Warum der sozialdemo­kratische Kanzler Christian Kern kaum verhohlen mit einer Koalition mit der rechtspopu­listischen FPÖ liebäugelt

- VON MARIELE SCHULZE BERNDT

Wien „Niemals mit der FPÖ“, hieß es seit 1986 in der österreich­ischen Sozialdemo­kratie, zumindest auf Bundeseben­e. Doch der pragmatisc­he Noch-Kanzler Christian Kern, SPÖ, ist drauf und dran, dieses Dogma zu kippen. Nachdem die ÖVP vorzeitig Neuwahlen für den 15. Oktober ausgerufen hat, bleiben ihm nur die Freiheitli­chen, um künftig eine Mehrheit zustande zu bringen.

Österreich ist ein konservati­ves Land, besonders in der Provinz ist die SPÖ schwach. Im Parlament reichten die Stimmen links der Mitte zuletzt 1979 für einen Kanzler Kreisky. Seitdem konnte die SPÖ nur mit ÖVP oder FPÖ regieren. Kern hat versproche­n, vor der Wahl Farbe zu bekennen. Doch die Entscheidu­ng ist komplizier­t: Denn eine Öffnung der Partei zu den Rechtspopu­listen passt nicht zu der Strategie, die viele Wahlkämpfe­r für die richtige halten. In Wien hat Bürgermeis­ter Michael Häupl 2015 nur deshalb die Wahl gewonnen, weil er sich klar gegen die Freiheitli­chen abgegrenzt hat und dem Duell mit FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache nicht ausgewiche­n ist.

Ohne die fast Zwei-MillionenS­tadt Wien hat die SPÖ keine Chance, an der Regierung zu bleiben. Er habe „ideologisc­h nach wie vor null Verständni­s für eine Koalition mit den Blauen“, beteuert SPÖ-Urgestein Häupl, der nach den Nationalra­tswahlen abtreten will. Auch sein möglicher Nachfolger Wohnbausta­dtrat Michael Ludwig ist neuerdings Häupls Meinung: „Von derzeit allen politische­n Parteien hat derzeit die FPÖ die geringste inhaltlich­e Schnittmen­ge mit der SPÖ.“Im Burgenland sind die Sozialdemo­kraten dagegen überzeugt von ihrer seit zwei Jahren amtierende­n rot-blauen Koalition mit der FPÖ. Die Rechtspopu­listen verfolgen den Streit in der SPÖ mit Unbehagen. Schließlic­h will FPÖ-Chef HeinzChris­tian Strache selbst um den ersten Platz kämpfen und Bundeskanz­ler werden, anstatt von vornherein zum Mehrheitsb­eschaffer degradiert zu werden.

Wie die SPÖ ihr Dilemma lösen wird, soll sich schon in der nächsten Vorstandss­itzung am 14. Juni entscheide­n. Mehrere Landeschef­s haben zusätzlich eine Urabstimmu­ng unter allen Parteimitg­liedern über mögliche Koalitione­n gefordert. Der Tiroler Bezirk Innsbruck Land will schon in der nächsten Woche seine 800 Mitglieder dazu befragen. Das lehnt Kern ab. Er will, eine Urabstimmu­ng bestenfall­s nach der Wahl. Vorher soll seiner Ansicht nach nur ein inhaltlich­er Kriterienk­atalog gelten, der zeitgerech­t veröffentl­icht werden soll.

Im Vergleich zum ÖVP-Kandidaten Sebastian Kurz, der sich im Falle des Wahlsieges von seiner Partei sogar die alleinige Entscheidu­ng über Koalition und Koalitions­verhandlun­gen ausbedunge­n hat, steckt Kern in einer Zwangsjack­e. Lehnt er – wie sein Vorgänger Werner Faymann – die Koalition mit der FPÖ ab, macht er sich weiter von der Volksparte­i erpressbar. Ändert er die Strategie und erklärt sich bereit zur Koalition mit der FPÖ, verliert er das Argument, die SPÖ sei die einzige Bastion im Kampf gegen die Rechten.

Bei Amtsantrit­t hat Kern angekündig­t, die früheren SPÖ-Wähler zurückzuho­len, die zur FPÖ abgewander­t seien. Kurz und die ÖVP haben ihm dazu keine Zeit gelassen. Darum versucht er jetzt, dem Vorbild Bruno Kreiskys zu folgen und selbstbewu­sst eine Koalition mit der FPÖ anzuführen. Im Herbst hat ein Radio-Streitgesp­räch von Kern und Strache in freundscha­ftlichem Ton einen Vorgeschma­ck gegeben, wie Rot-Blau funktionie­ren könnte.

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Christian Kern

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