Attacke in der Postfiliale
Prozess Eine 55-Jährige warf mit einem Kugelschreiberhalter nach einer Angestellten. Mit schweren Folgen für beide. Grund war ein nicht richtig verpacktes Paket
Dillingen Es ist der Vormittag des 23. Dezember. Heiligabend naht mit großen Schritten. Es herrscht allgemeine Hektik. Auch in einer Postfiliale im Landkreis Dillingen. Noch vor den Feiertagen will eine 55-Jährige das Paket eines Bioversands als ungeöffnete Retoure zurückschicken. Doch das Paket ist mit einer Kordel verschnürt. Und das, erklärt ihr die Mitarbeiterin am Schalter, entspricht nicht den Vorschriften. Die Kordel müsse entfernt, das Paket zugeklebt werden.
Die Kundin weiß, dass der Bioversand keine Kleber auf seinen Paketen möchte, weil sie wieder verwendet werden sollen. Trotzdem habe sie nach einem Stückchen Klebeband gefragt. Nur ein Zentimeter, sagt sie, hätte gereicht. Die Mitarbeiterin aber ist der Meinung, dass das komplette Paket hätte zugeklebt werden müssen. Und weist sie darauf hin, dass es im Laden auch Paketband zu kaufen gibt. Doch die Kundin hat kein Geld dabei. Und will auch nicht wieder nach Hause zurückfahren. „Dann hätte ich mich auch noch einmal neu anstellen müssen.“Als die Mitarbeiterin am Postschalter sie dann auch noch ignoriert habe, um eine andere Kundin zu bedienen, eskaliert die Situation. Völlig unvermittelt nimmt sich die 55-Jährige einen Kugelschreiberhalter vom Schalter, wirft ihn nach der 57-Jährigen hinter dem Schalter und brauste dann mit ihrem Auto davon. Deshalb stand sie nun wegen gefährlicher Körperverletzung vor dem Amtsgericht in Dillingen.
Wo die Mitarbeiterin mit dem Stiftehalter getroffen wurde, darüber gehen die Meinungen allerdings auseinander. Während die Angeklagte gegenüber Richterin Beate Bernard beteuert, dass es die Brust gewesen ist, erklärt das Opfer, sie sei am Hals getroffen worden. „Dann habe ich auf einmal keine Luft mehr gekriegt. Der Hals ist mir angeschwollen. Ich wusste nicht mehr, wie ich atmen kann. Ich habe richtig Angst gehabt und gedacht, es ist vorbei“, schildert die mitgenommene Frau der Richterin mit tränenerstickter Stimme. Auch Kunden, die an diesem Vormittag mit im Laden waren, berichten von der extremen Atemnot der 57-Jährigen, die schließlich mit dem Krankenwagen ins Dillinger Krankenhaus gebracht wurde.
Dort konnte sie, nachdem eine Prellung am Hals diagnostiziert wurde, wenig später wieder gehen. Viel schwerer wogen allerdings die seelischen Folgen der unvermittelten Attacke. Seit dem Vorfall leidet die 57-Jährige unter starken Angst- zuständen, ist in psychologischer Behandlung und traute sich lange Zeit nicht mehr unter Menschen. Auch die Aussage im Prozess ist eine augenscheinliche Tortur für die Frau.
Trotzdem überlegt die Angeklagte, die ohne Verteidiger zum Prozess erschienen ist, zwischenzeitlich, die Frau vereidigen zu lassen, damit sie die Wahrheit sagt. Denn die 55-Jährige bezweifelt, dass die Angestellte überhaupt am Hals getroffen wurde und dass es eine Verletzung gegeben hat. Eine Vereidigung, das hat Richterin Beate Bernard in ihrer kompletten Karriere noch nicht erlebt. Und in letzter Konsequenz kommt es dazu auch nicht. Genauso wenig wie zu einer Entschuldigung. „Es ist mir schon klar, dass ich in dem Moment eine Grenze überschritten habe“, sagt die Angeklagte vor Gericht lediglich. Allerdings habe sie sich zu dem Zeitpunkt selbst in einem psychischen Ausnahmezustand befunden, war wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung krankgeschrieben. Dazu sei gekommen, dass man sich „echt nicht sympathisch“gewesen sei. „Es gibt immer Probleme mit ihr, und dann hat sie da auch noch schadenfroh gegrinst und mich ignoriert“, so die Angeklagte.
Auch das Opfer sagt, es habe immer mal wieder Probleme mit ihrer späteren Angreiferin gegeben, und erzählt von einem Vorfall mit ihrer Chefin. Der soll die 55-Jährige eine Schere hinterhergeworfen haben. Die Inhaberin der Postfiliale bestätigt das in ihrer Zeugenaussage. Stein des Anstoßes, erzählt sie, seien damals Briefmarken gewesen, die die Frau auf ein Paket geklebt habe. Doch darauf dürften nur Paketmarken. Sie habe der Kundin angeboten, die Marken mit der Schere zu entfernen. Und diese Schere sei wenig später über den Tresen in ihre Richtung geflogen. „Sie war eigentlich fast immer wütend, wenn sie bei der Post war.“So habe sie ihr schließlich ein Hausverbot ausgesprochen. Nach dem Vorfall mit dem Stifthalter will die Chefin nun sogar ein Kontaktverbot durchsetzen.
Richterin Beate Bernard verurteilte die 55-Jährige schließlich wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten auf Bewährung. Daneben muss sie 80 Sozialstunden ableisten. Die Angeklagte habe mit einem „gefährlichen Werkzeug“aus nächster Nähe geworfen. Das sei aufgrund der folgenden Atemnot auch eine „lebensgefährdende Behandlung“gewesen. „Sie haben einfach eine Frau angegriffen, die nur ihre Arbeit tut und die Vorschriften befolgt“, sagte Bernard.