„Grüßt einander mit dem heiligen Kuss!“
Das christliche Wort Heute von Marcos Grundler, Theologe und Religionslehrer in Dillingen und Lauingen
Wann haben Sie, liebe Leser, Ihren letzten Brief geschrieben? Ich denke dabei nicht an die letzte E-Mail, die letzte WhatsApp-Nachricht oder sonst irgendeine moderne Form zwischenmenschlicher Kommunikation…
Mein letzter handschriftlicher Brief ist schon so lange her, dass ich mich schon gar nicht mehr daran erinnern kann… Umso schöner ist es, wenn wir zurzeit mit der leidenschaftlichen Briefkorrespondenz des Apostels Paulus konfrontiert werden. Diese Briefe waren zwar stets auf eine Gemeinde und deren Bedürfnisse und Herausforderungen zugeschnitten. Sie enthielten jedoch so tief greifende und richtungsweisende Gedanken und Handlungsimpulse, dass sie für die darauffolgenden Generationen bewahrt und überliefert worden sind, bis auf den heutigen Tag.
In der heutigen Lesung wendet sich Paulus an die Gemeinde in Korinth, für die er brennt und um die er sich wie ein guter Hirte kümmert und sorgt. Interessant ist dabei neben dem eigentlichen Briefinhalt eine Bemerkung, die er am Schluss des Briefes macht. Da heißt es: Grüßt einander mit dem heiligen Kuss! Es grüßen euch alle Heiligen“(2 Kor 13, 12). Spätestens hierbleiben Sie, lieber Leser, und mit Ihnen der eine oder andere vielleicht verwundert stehen und fragen sich: Wen meint wohl Paulus, wenn er von den „Heiligen“redet? Etwa die Christen in Rom und Jerusalem? Und wenn ja: Ist er jetzt vollends abgehoben?
Um es gleich vorwegzunehmen: Gemeint sind in der Tat die Brüder und Schwestern in Christus und nicht, wie man geneigt ist zu vermuten, die Heiligen „im Himmel“. Zwei Fragen drängen sich also auf: 1. Wie kommt Paulus auf die Idee, sich und die anderen Mitchristen als Heilige zu bezeichnen, und 2., welche Bedeutung kann das für mich und mein konkretes Leben haben? Zwei Fragen, denen ich kurz und knapp mit Ihnen, lieber Leser, nachgehen will. Auf die erste Frage sei verwiesen mit dem Erscheinen Jesu selbst, der unser menschliches und oft allzu menschliches Dasein mit seiner Fleischwerdung geheiligt und ihm eine neue Würde und Perspektive verliehen hat.
Wir selbst sind, so Paulus, seit der Taufe der geheimnisvolle mystische Leib Christi, und jeder Einzelne ist ein Glied an ihm (vgl. 1 Kor 12, 12 ff.) Von dem also, was Jesus für uns getan und was er uns verheißen und geschenkt hat (vgl. die Gaben des Heiligen Geistes an Pfingsten, das wir letzten Sonntag gefeiert haben), dürfen wir uns als Geheiligte bezeichnen, die in der Welt Gottes Gegenwart und Wirken mit ihrem Leben bezeugen dürfen und sollen. Und hier stehen wir schon vor der Beantwortung der zweiten Frage: Wie soll diese Heiligkeit, die uns als Gabe und Aufgabe zugleich geschenkt ist, sich konkret umsetzen und wirksam werden? Ein Schlagwort, das Joseph Kentenich (1885-1968), der Gründer des internationalen Schönstattwerks, hierfür gern gebraucht hat, war der Begriff der „Werktagsheiligkeit“. Damit soll zum Ausdruck kommen, dass das Leben mit Gott keine Sonntagsoder Feiertagsangelegenheit sein soll, sondern Tag für Tag gelebt und gestaltet werden will.
Wenn ich es schaffe, fünf Minuten am Tag - am Morgen, wenn die Seele noch frei ist von allen Eindrücken und Anforderungen, oder am Abend, wenn es gilt, zur Ruhe zu kommen, auszuatmen - mich bewusst in Gottes Gegenwart zu stellen und mit ihm ins Gespräch zu kommen über alles, was ansteht oder mich beschäftigt, dann ist schon viel erreicht. Ihre Nachbarn, Kollegen, Freunde oder der Partner - sie alle werden mit der Zeit spüren, dass Sie an eine Quelle angebunden sind, die Sie nicht aus sich selbst heraus „haben“oder „machen“, sondern aus der Sie sich täglich neu beschenken lassen.
Vielleicht gelingt es Ihnen sogar, die übliche Logik des Gebens und Nehmens, der Vergeltung und des Egoismus zu überwinden: Ich bitte Gott einfach darum, dass er mich zu einem Menschen macht, in dessen Gegenwart man froh und frei wird, den man um Vergebung bitten kann und der einem das Vergangene nicht nachträgt. Auch das, Sie merken es schon, können Sie nicht machen, sondern sich nur schenken lassen. - „Grüßt einander mit dem heiligen Kuss! Es grüßen euch alle Heiligen.“
Das ist keine unrealistische Utopie, die Paulus seinen damaligen Lesern und auch uns zuruft! Lassen wir uns vielmehr von diesem besonderen Briefschluss dazu anspornen, unser Leben als geheiligt zu betrachten und nach gelebter Heiligkeit zu streben – bei allem Unvermögen und Begrenztsein! Lassen Sie uns gemeinsam alles dafür tun, dass die Menschen den Glauben an das Gute und an Gottes Wirken in der Welt und in ihrem Leben nicht verlieren! Überall sollen Sie seine Spuren erkennen, nicht zuletzt in unserem eigenen Denken, Lieben und Handeln.
Dass Ihnen und mir das immer mehr gelingt, das wünsche ich uns!
Ihr Marcos Grundler, Theologe und Religionslehrer in Dillingen/Lauingen