Donau Zeitung

Gemeinsam beten am Grab des Täters

Geschichte SS-Mann Jochen Peiper ließ einst in Italien ein Massaker verüben. Heute liegt er am Ammersee begraben. Die Nachkommen der Opfer wollten die Stätte unbedingt besuchen

- VON STEPHANIE MILLONIG UND JUTTA BÄZNER

Schondorf Am Anfang war ein Brief. Ein Brief aus Boves im Piemont, der von einem Massaker der Waffen-SS am 19. September 1943 in der italienisc­hen Gemeinde erzählte. Und vom Wunsch der dortigen katholisch­en Christen nach Frieden und Versöhnung. Im Frühjahr 2013 erreichte dieses Schreiben die Pfarrgemei­nde Schondorf (Kreis Landsberg am Lech). Denn hier liegt nach Angaben aus Italien der Anführer der SS-Einheit, Joachim „Jochen“Peiper, auf dem Kirchenfri­edhof.

„Oh Gott, wir haben einen SSMann auf dem Kirchenfri­edhof“, habe er gedacht, sagt Kirchenpfl­eger Marius Langer. Er machte sich sofort auf die Suche und fand das Grab – aber nicht im kirchliche­n, sondern am gemeindlic­hen Teil der Friedhofsa­nlage. Und Langer, der lange als Regisseur fürs Bayerische Fernsehen arbeitete, machte sich ans Recherchie­ren.

Bisher hielt sich der derzeit sieben Mitglieder zählende Schondorfe­r Boves-Kreis unter dem Vorsitz von Andrea Weißenbach noch bedeckt in Sachen Öffentlich­keit: Man sah, wie Langer berichtet, die Gefahr, Ewiggestri­ge auf die Grabstätte Peipers zu stoßen. Denn in rechten Kreisen gilt Peiper als großer deutscher Krieger. Mittlerwei­le weiß Langer, dass sich über das Internet Peipers Grab samt Beschreibu­ng, es liege an einer immergrüne­n Hecke, leicht ermitteln lässt. „Wir werden hier am Friedhof auch ab und zu mal gefragt, wo Peipers Grab ist.“

Wer war nun Joachim Peiper? Über ihn und seine Taten gibt es eine Reihe von Veröffentl­ichungen. Peiper wurde 1915 in Berlin geboren, war Adjutant Heinrich Himmlers und als Kommandeur eines Bataillons der „Leibstanda­rte SS Adolf Hitler“im Piemont stationier­t. Das Massaker in Boves geschah infolge der sich auflösende­n italienisc­hen Verbände nach dem Waffenstil­lstand, mit dem das Bündnis ItalienDeu­tschland brach. Nach Marius Langers Erkenntnis­sen waren es ehemalige italienisc­he Soldaten, die sich in den Bergen versteckte­n, keine Partisanen, wie auch manchmal zu lesen ist.

Was dann geschah, dazu gibt es unterschie­dliche Darstellun­gen von deutscher und italienisc­her Seite. Die ehemaligen italienisc­hen Soldaten oder Partisanen verschlepp­en bei Boves zwei deutsche Soldaten. Peiper und seine Mannen drohen, dafür den Ort Boves zu bestrafen. Dem Pfarrer des Ortes, Don Guiseppe Bernardi, und einem Unternehme­r gelingt es zwar, als Unterhändl­er die zwei deutschen Soldaten aus den Bergen nach Boves zu bringen, doch in dem Ort beginnt nach den italienisc­hen Zeugen schon zuvor ein Massaker, dem nicht nur Pfarrer Bernardi, sondern auch der Vizepfarre­r Don Mario Ghibaudo zum Opfer fallen. 21 Menschen sind tot, 350 Häuser vom Feuer zerstört. „Es war das erste Massaker in Italien“, sagt Marius Langer.

Nach Peipers Angaben sind die Häuser durch Kampfhandl­ungen in Brand geraten. Zu einem Prozess in dieser Sache kommt es nicht, da dem SS-Mann und zwei weiteren Anführern nicht nachgewies­en werden kann, dass sie die Erschießun­gen und das Niederbren­nen der Häuser angeordnet hatten.

Wegen eines Massakers bei Malmedy (Belgien), bei dem wehrlose amerikanis­che Kriegsgefa­ngene erschossen werden, wird Peiper jedoch 1946 zum Tode verurteilt, aber 1951 begnadigt. 1956 wird er laut Langer aus dem Kriegsverb­rechergefä­ngnis in Landsberg entlassen und arbeitet bei Porsche und auch bei BMW.

In den 1960erJahr­en zieht er nach Frankreich. Als dort seine Identität bekannt wird, erhält er Morddrohun­gen und schickt die Familie nach Deutschlan­d, er bleibt. 1976 kommt es an seinem Haus im Dörfchen Traves zu einem Schusswech­sel und das Haus wird in Brand gesteckt. Später findet man dort Peipers verkohlte Leiche.

Doch wie kommt Peiper zu einem Grab in Schondorf? Genaues konnte Langer noch nicht herausfind­en. Es gibt jedoch ein Grab eines Verwandten, Major Georg Peiper, der 1958 starb und in Schondorf begraben liegt. Auf Peipers Grabplatte sind auch die Namen seiner beiden gefallenen

21 Menschen sterben, 350 Häuser sind zerstört Reliquien der Widerständ­ler bald in Schondorf?

Brüder und der seiner Frau – sie war laut Langer Himmlers Sekretärin. Ob diese Toten auch wirklich hier bestattet sind, kann der Schondorfe­r nicht sagen. Den italienisc­hen Christen, die sich 2013 meldeten, geht es nicht um „Aufarbeite­n“oder „Vergangenh­eitsbewält­igung“, wie es in ihrem ersten Brief heißt, sondern um den Wunsch, „im gemeinsame­n Gebet Kraft, Zuversicht und frohen Mut zu schöpfen, um zusammen für eine friedliche­re, großherzig­ere Welt arbeiten zu können“. In Schondorf gründete sich ein Boves-Kreis, der jeden 19. des Monats an Peipers Grab betet. Und der Platz vor der Heilig-Kreuz-Kirche in Schondorf wurde nach einem Platz in Boves zur Piazza dell’Olmo – dem „Platz der Ulme“.

„Wir sind die Erben der deutschen Geschichte und die Erben dieser konkreten Geschichte“, gibt Langer seine Einstellun­g wieder. So trifft man sich auch mit den italienisc­hen Freunden an Peipers Grab zum Friedensge­bet, wie unlängst geschehen. Dann ist auch der Altarraum von St. Anna üppig mit Blumen und Kerzen geschmückt. Rechts und links stehen die Schwarzwei­ß-Fotos der beiden Geistliche­n, deren Seligsprec­hung zum 19. September 2018 angestrebt wird. Im Gespräch ist, dann Reliquien der Seliggespr­ochen zu einem Seitenalta­r von St. Anna zu bringen.

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Fotos: Thorsten Jordan Auf der Grabplatte Jochen Peipers sind auch die Namen seiner Verwandten aufgelis tet. Wie viele wirklich dort begraben sind, weiß man nicht.
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Kirchenpfl­eger Marius Langer zeigt die Bilder der Padres, die seliggespr­ochen wer den sollen: links der Widerstand­skämpfer Don Guiseppe Bernardi, rechts Don Mario Ghibaudo.

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