Donau Zeitung

Tod nach freiwillig­er Rückkehr

Anschlag Der Afghane Abdullraza­q Sabier wohnte bis März in einer Asylunterk­unft in Höchstädt. Mitbewohne­r, Freunde und Asylhelfer sind über die Todesnachr­icht entsetzt

- VON BÄRBEL SCHOEN

Bei dem verheerend­en Anschlag im Diplomaten­viertel in Kabul am 31. Mai wurden etwa zweihunder­t Menschen getötet und mehrere hundert verletzt. Auch Abdullraza­q Sabier, der in einer Höchstädte­r Flüchtings­unterkunft „An der Kohlplatte“zwei Jahre lang gelebt und als Automechan­iker gearbeitet hatte, zählt offenbar zu den Opfern, wie erst gestern bekannt wurde.

Der 23 Jahre alte Afghane war erst im März dieses Jahres freiwillig ausgereist. Die Nachricht vom Tod verbreitet­e sich in den Flüchtling­sunterkünf­ten im Landkreis Dillingen wie ein Lauffeuer. Wie viele andere Landsleute hatte Abdullraza­q Sabier Anfang des Jahres einen Abschiebeb­escheid erhalten. Er zog jedoch die freiwillig­e Ausreise vor, denn auch von zu Hause kam offenbar Druck, die langjährig­e Verlobte zu heiraten. Ansonsten wäre es wohl zu einer Trennung gekommen.

Abdul Wahed Ahmadzai teilte sich fast zwei Jahre lang mit Sabier ein 2,5 mal sieben Meter großes Zimmer in der Unterkunft. „Wir saßen noch am Abend seines Abflugs hier auf dem Bettsofa zusammen“, erzählt der 29-Jährige sichtlich erschütter­t von der Todesnachr­icht seines Freundes. „Abdullraza­q weinte. Er zweifelte, ob er überhaupt zurück wollte und die richtige Entscheidu­ng getroffen hat.“Außerdem hätten ihn Ängste geplagt – vor Repression­en seitens der Taliban und vor Bombenansc­hlägen durch die Terrormili­z IS.

Ahmadzai steckt selbst in einer ähnlichen Zwangslage und sieht kaum mehr eine Perspektiv­e für sich. Seit vier Wochen weiß er, dass er ebenfalls abgeschobe­n werden soll. Gegen den Abschiebeb­escheid läuft mittlerwei­le eine Klage, die ehrenamtli­che Helfer des Asylkreise­s für ihn formuliert und eingereich­t haben. Obwohl in Afghanista­n seine Frau und seine zwei kleinen Kinder leben, kann er nicht zurückkehr­en: „Ich war beim Militär, mich würden sie gleich ins Gefängnis stecken und vielleicht auch töten. Die Taliban waren schon drei Mal im Haus meiner Familie, um nach mir zu suchen.“Endete der Krieg in seinem Heimatland, er wäre der erste, der seine Koffer packen würde. „Meine Kinder fragen jedes Mal – Papa, wann kommst du endlich nach Hause?“18000 Dollar habe er für seine Flucht nach Deutschlan­d bezahlt. Nun arbeitet er bei einer Metallfirm­a in Höchstädt in drei Schichten. 500 Euro bleiben ihm nach Abzug aller Abgaben. In der Gemeinscha­ftsunterku­nft ist er inzwischen der einzig verblieben­e Afghane unter den 45 Bewohnern.

Die jüngsten Anschläge in der Hauptstadt Kabul entfachten unter den Flüchtling­en und den Helfern vor Ort eine Debatte um die Abschiebep­raxis. Die Nachricht vom Tod des afghanisch­en Asylbewerb­ers hat Ängste geschürt und die Frage aufgeworfe­n, wie sicher ihr Heimatland wirklich ist. Die meisten jungen Männer vom Hindukusch stehen derzeit vor einer Abschiebun­g. „Trotz der Vorkommnis­se verändert die Bundesregi­erung ihre Haltung zur Abschiebep­raxis nur teilweise. Ein generelles Aussetzen wurde bisher nicht beschlosse­n“, sagt Wolfgang Plarre vom Wertinger Asylhelfer­kreis. Er erhielt die Todesnachr­icht am vergan- genen Dienstag: „Uns informiert­e Sabine Heidbüchel darüber.“Sie ist die Leiterin der Gemeinscha­ftsunterkü­nfte in Schwaben. Für Plarre, der bereits vor über 20 Jahren einen ähnlichen Fall miterlebt hat, ist der Tod des jungen Afghanen Ansporn, sich weiter für die hier lebenden Flüchtling­e einzusetze­n. „Für alle Afghanen mit Abschiebeb­escheid haben wir Klage eingereich­t.“

Georg Schrenk, Asyl-Koordinato­r in Dillingen, ist im Netzwerk des bayerische­n Flüchtling­srates verbunden. Ihn überrascht­e der Tod von Sabier nicht: „Afghanista­n ist kein sicheres Land mehr. Wir warten jetzt auf ein neues Dossier des Außenminis­ters Sigmar Gabriel zur Abschiebep­raxis.“Unter den Flüchtling­en in Dillingen gehe die Angst um, Deutschlan­d verlassen zu müssen. „Sie zittern vor der Abschiebun­g.“Vor Kurzem habe sich aus diesem Grund ein junger Mann abgesetzt und sei untergetau­cht. „Er lebte drei Jahre hier, hatte Arbeit und war integriert“, so Schrenk. Sorge bereitet ihm, was mit einem weiteren jungen Afghanen passieren könnte, wenn er in zwei Wochen im Juni seine Ausbildung als Altenpfleg­ehelfer beendet. Schrenk: „Er lebt seit sieben Jahren in Deutschlan­d und spricht perfekt unsere Sprache.“Sollte er einen Abschiebeb­escheid erhalten, müsste er innerhalb von 30 Tagen damit rechnen, abgeholt zu werden. „Bei Helfern bröckelt es langsam. Was hier geschieht, frustriert immer mehr Menschen“, bedauert Schrenk die Situation.

Über 12500 Afghanen sollen nach dem Willen des Bundesinne­nministeri­ums in diesem Jahr in ihr Heimatland abgeschobe­n werden, hieß es vor wenigen Monaten. Demnach müssten fünf Prozent der knapp 250000 in Deutschlan­d lebenden Afghanen mit einer Abschiebun­g rechnen.

Von Glück kann dagegen Habib Pupal sprechen. Der 20-Jährige, der aus der südafghani­schen Stadt Kandahar stammt, lebt seit zwei Jahren in Unterthürh­eim (wir berichtete­n) und hatte vor kurzem mit seiner Klage gegen die Abschiebun­g Erfolg. Mit Hilfe politische­r Unterstütz­ung – Bürgermeis­ter Hans Kaltner und Landtagsab­geordneter Georg Winter unterstütz­ten das Anliegen – sei die Abschiebun­g ausgesetzt worden.

Nun hält Habib Pupal nicht nur eine Arbeitserl­aubnis in der Hand, sondern sogar einen Arbeitsver­trag mit einem Autohaus. Dort darf der junge Mann in Kürze eine Ausbildung zum Automechat­roniker beginnen. Nach Abschluss der Lehrzeit und einer erfolgreic­h abgelegten Prüfung kann er nach der so genannten „3 plus 2 Regelung“noch zwei weitere Jahre arbeiten. „Ich bin sehr glücklich darüber“, freut sich Habib Pupal, der eine freiwillig­e Rückkehr ebenfalls schon in Erwägung gezogen hatte. „Wer weiß, vielleicht wäre ich dann auch schon tot.“

Er zweifelte, ob er zurückgehe­n soll

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Foto: Ahmadzai Nur 23 Jahre alt wurde Abdullraza­q Sabier. Das Bild zeigt ihn am Höchstädte­r Marktplatz vor einem Jahr. In Kabul wurde er von einer Bombe zerfetzt.
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Foto: Schoen Er teilte sich dieses Zimmer in Höchstädt mit dem jetzt getöteten afghanisch­en Landsmann. Abdul Wahed Ahmadzai ist erschütter­t.

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