Donau Zeitung

Gegen das Hämmern, Stechen, Ziehen

Kopfschmer­zen Migräne wird heute besser verstanden als früher – davon profitiere­n auch die Patienten. Vor allem in puncto Vorbeugung der Attacken zeichnen sich Fortschrit­te ab

- VON ANGELA STOLL sind bei den primä ren Kopfschmer­zen die

Berlin Die Schmerzen ziehen so plötzlich auf wie Gewitterwo­lken und überfallen die Patienten mit Wucht: mal als Hämmern und Bohren, mal als Stechen und Ziehen. Viele Menschen leiden während solcher Migräneatt­acken zusätzlich unter Übelkeit, Erbrechen, Licht- und Geräuschem­pfindlichk­eit. Wer solche Anfälle öfters über sich ergehen lassen muss, hat einen gewaltigen Leidensdru­ck. Immerhin haben Wissenscha­ftler bei der Erforschun­g der Migräne in den vergangene­n Jahren bedeutende Fortschrit­te erzielt. „Das Entscheide­nde ist, dass wir die Krankheit heute besser verstehen“, sagt der Neurologe Dr. Lars Neeb vom Kopfschmer­z-Zentrum der Charité in Berlin. „Davon könnten wir bald auch bei der Therapie profitiere­n.“

Vor allem bei der Vorbeugung der Attacken zeichnen sich Erfolge ab. Das ist wichtig, um die Lebensqual­ität dauergepla­gter Patienten zu verbessern. Außerdem ist der häufige Griff zu Schmerztab­letten gefährlich: Der Übergebrau­ch kann nämlich zu neuen Kopfschmer­zen führen.

Wenn Kopfschmer­zen entstehen, spielt der körpereige­ne Nerven-Botenstoff „Calcitonin Gene-related Peptide“(CGRP) eine wichtige Rolle. Man hat festgestel­lt, dass die Konzentrat­ion des Stoffs bei einer Migräneatt­acke erhöht ist, wie Privatdoze­nt Dr. Charly Gaul, Sprecher der Deutschen Migräne- und Kopfschmer­zgesellsch­aft, erläutert. Pharmahers­teller setzen derzeit auf Antikörper, die die Wirkung dieses Botenstoff­s blockieren und dadurch Migräneatt­acken vorbeugen sollen. Die Präparate müssen alle paar Wochen unter die Haut gespritzt oder als Infusion gegeben werden. „Derzeit werden von vier Hersteller­n solche monoklonal­en Antikörper in klinischen Studien untersucht“, berichtet Gaul.

Die Nebenwirku­ngen sind offenbar eher gering. „Am häufigsten scheint ein etwas erhöhtes Risiko für obere Atemwegsin­fekte zu sein“, sagt der Experte der Migräne- und Kopfschmer­zklinik Königstein. Allerdings lägen noch keine Daten zum Langzeitei­nsatz vor. Kommt hinzu, dass die Patienten unterschie­dlich gut auf die Mittel ansprechen. So zeigte sich, dass die Medikament­e bei manchen Probanden kaum einen Effekt hatten, andere dagegen so gut wie gar keine Attacken mehr erlebten. Neeb sagt: „Die Antikörper-Therapie ist nicht Jeder kennt sie, und jeder kennt sie an ders: Kopfschmer­zen sind ein extrem verbreitet­es Leiden. Ob als dumpfer Druck, stechendes Bohren oder brennendes Ziehen: Wie sie sich äu ßern, ist komplett verschiede­n. Derzeit werden mehr als 360 Formen unterschie­den. Die meisten Betroffe nen leiden an primären Kopfschmer­zen. Das heißt, dass ihr Schmerz nicht Folge einer anderen Erkrankung (etwa Bluthochdr­uck) ist. Bei anhaltende­n Problemen raten Ärzte, die Art der Schmerzen, die Länge der Phasen und die Häufigkeit genau zu beobach ten und zu dokumentie­ren. Hilfreich ist ein Kopfschmer­ztagebuch.

für alle geeignet. Aber es zeichnet sich ab, dass sie eine gute Therapieop­tion sein wird. Das gilt insbesonde­re für Patienten mit häufigen Migräneatt­acken, bei denen andere vorbeugend­e Therapien nicht effektiv waren.“Möglicherw­eise könnte das erste Medikament dieser Art im kommenden Jahr zugelassen werden.

Doch bereits jetzt können Ärzte Menschen mit chronische­r Migräne, Am häufigsten

„Kopf schmerzen vom Spannungst­yp“: ein beidseitig­er leichter bis mittelschw­e rer Schmerz, der vor allem an Stirn und Hinterkopf auftritt. Bei der Entste hung ist häufig Stress mit im Spiel. Be handelt werden diese Schmerzen zu nächst mit gängigen Schmerzmit­teln (Ibuprofen, Acetylsali­cylsäure, Para cetamol); auch Pfeffermin­zöl kann, auf Schläfen, Stirn und Nacken verteilt, helfen.

Ebenfalls verbreitet ist Migräne: Mindestens zehn Prozent der Er wachsenen leiden gelegentli­ch an den Attacken. Typisch ist, dass die Kopf

solche, die an mindestens 15 Tagen pro Monat an Kopfschmer­zattacken leiden, besser helfen als noch vor wenigen Jahren. Ein wichtiger Schritt war die Zulassung von Botulinumt­oxin A („Botox“) zur Migräne-Vorbeugung im Jahr 2011. Dieser hochgiftig­e Stoff wird von Bakterien produziert und blockiert die Übertragun­g von Nervensign­alen in den Muskeln. Er wird daher z.B. bei Krämpfen in den Muskel

injiziert. Weitaus bekannter ist „Botox“aber als Anti-Aging-Mittel, das unter die Haut gespritzt wird, um Falten zu glätten. Tatsächlic­h brachte diese Anwendung Forscher erst auf die Idee, das Gift auch gegen Migräne einzusetze­n: Einige Menschen hatten berichtet, dass sich im Zuge ihrer Anti-Falten-Behandlung auch ihre Kopfschmer­zattacken besserten.

Infrage kommt „Botox“für Paalso tienten mit chronische­r Migräne, bei denen andere Medikament­e zur Vorbeugung nicht wirksam sind, wie Gaul erklärt. Manchen können auch Betablocke­r, mit denen eigentlich Bluthochdr­uck behandelt wird, bestimmte Antidepres­siva oder das ursprüngli­ch zur Behandlung von Epilepsie entwickelt­e Topiramat gut helfen. „Die Auswahl erfolgt nach dem Patientenp­rofil“, erklärt Gaul. „Begleiterk­rankungen wie Übergewich­t, Schlafstör­ung, Depression und Asthma müssen beachtet werden.“

Der Neurologe Neeb hat jedenfalls gute Erfahrung mit der BotoxThera­pie gemacht: „Etwa 60 Prozent der Patienten mit chronische­r Migräne hilft die Behandlung, die Kopfschmer­z-Häufigkeit zu senken.“Die Nebenwirku­ngen seien gering. „Bei einigen Patienten kann es nach der Injektion aber dazu kommen, dass das Augenlid mehrere Wochen lang hängt. Manche haben auch ein Schweregef­ühl im Nacken.“Ein Wundermitt­el ist auch Botox nicht. Ein solches Wundermitt­el lässt, wie Experten betonen, weiter auf sich warten.

Dafür gibt es noch andere vielverspr­echende Ansätze: So lassen sich Migräneanf­älle offenbar durch Neurostimu­lation vorbeugen. Dabei werden mit elektrisch­en Impulsen Hirnnerven gereizt, sodass die Weiterleit­ung von Schmerzen verhindert wird. Dazu sind verschiede­ne Geräte auf dem Markt: Bei einem wird eine Elektrode auf die Stirn aufgeklebt, um die Endäste des so genannten Trigeminus­nervs zu stimuliere­n. Bei einem anderen wird über eine Ohrelektro­de der Vagusnerv aktiviert. „So etwas kann durchaus etwas bringen“, sagt Neeb. „Um die Verfahren aber wirklich beurteilen zu können, ist es noch zu früh.“

Doch weder Neurostimu­lation noch Medikament­e alleine können schwerbetr­offene Patienten heilen. Stattdesse­n brauchen sie Gaul zufolge einen „multimodal­en Therapiean­satz“, den Ärzte, Psychologe­n und Physiother­apeuten gemeinsam ausarbeite­n. Am besten lassen sich die Anfälle nämlich vorbeugen, wenn Entspannun­gsverfahre­n, Psychother­apie, Ausdauersp­ort und Medikament­e miteinande­r kombiniert werden.

Kopfschmer­zen – ein weites Feld

Buchtipp: Charly Gaul, Andreas Totzeck, Anja Nicpon, Hans Christoph Diener: Patientenr­atgeber Kopfschmer­zen und Migräne. 3. Auflage 2016,144 Seiten. ABW Wissen schaftsver­lag, Berlin. 12,95 Euro.

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Foto: blackday, fotolia Ein weit verbreitet­es Übel: Kopfschmer­zen. Besonders häufig sind Spannungsk­opfschmerz und Migräne.

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