Kinderlosigkeit: Die Talsohle ist durchschritten, der Weg noch weit
Leitartikel Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist in den vergangenen Jahren leichter geworden. Sie ist aber noch längst nicht gut genug. Was Eltern jetzt brauchen
Mehr als 30 Jahre lang hat die Kinderlosigkeit in Deutschland immer weiter zugenommen. Dass dieser Trend nun offenbar gestoppt ist, ist zunächst einmal eine gute Nachricht. Wie das Statistische Bundesamt berichtet, erreicht die Gesamtzahl der Geburten inzwischen wieder einen Wert von 1,5 Kindern je Frau und damit das Niveau der Jahrtausendwende.
Doch von Werten wie im als besonders kinderfreundlich geltenden Frankreich, wo im Schnitt 1,9 Kinder je Frau geboren werden, ist Deutschland damit noch meilenweit entfernt. Ganz zu schweigen von der sogenannten Reproduktionsrate von 2,1 Kindern je Frau, die für eine stabile Bevölkerungsentwicklung nötig wäre. Immerhin: Die Entwicklung zeigt, dass die nach jahrelanger Diskussion über die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf beschlossenen staatlichen Maßnahmen tatsächlich wirken. So hat der inzwischen gesetzlich verankerte Anspruch auf einen Betreuungsplatz die Situation vieler Familien offenbar deutlich verbessert. Hinzu kommt die Einführung des Elterngeldes. Gerade Akademikerinnen scheinen sich dadurch nun häufiger für ein Kind zu entscheiden als zuvor. Die Babypause wird finanziell abgefedert und der Wiedereinstieg in den Beruf gelingt durch zuverlässige flächendeckende Betreuungsangebote leichter.
Ein anderes Bild ergibt sich bei den in Deutschland geborenen Frauen mit geringerer Bildung – bei denen die Kinderlosigkeit sogar noch weiter zunimmt. Hier schafft das Elterngeld, das ja an die Höhe der Einkünfte gekoppelt ist, offenbar einen deutlich geringeren Anreiz, wegen des Nachwuchses zeitweise aus dem Beruf auszusteigen. Bei Zuwanderinnen kommt Kinderlosigkeit indes umso seltener vor, je geringer ihr Bildungsstand ist. Der leichte Geburtenanstieg seit einigen Jahren hängt aber nur zum Teil mit einer stärkeren Zuwanderung zusammen – auch in der Gesamtbevölkerung gibt es wieder mehr Kinder.
Das liegt nicht etwa an einer Renaissance des traditionellen Familienbilds – der Vater verdient die Brötchen, die Mutter kümmert sich um Kinder und Haushalt. Die Zahl der Familien ist seit Jahren rückläufig. Die Erwerbstätigkeit von Frauen nimmt weiter zu. Und auch das gehört zur Realität: In vielen Familien müssen beide Elternteile arbeiten, wollen sie sich den gleichen Lebensstandard leisten, den die eigenen Eltern noch mit einem Einkommen erreicht haben. Lange Zeit aber machten es unzureichende Unterstützungsangebote den Frauen äußerst schwer, Mutterschaft und Berufstätigkeit unter einen Hut zu bringen. Kinder wurden zum Armutsrisiko. Hinzu kamen ideologisch aufgeheizte Diskussionen, die viele Frauen verunsicherten: Nur Rabenmütter geben ihr Kind früh in die Krippe, unkte die eine Seite. Und von der anderen tönte es: Wer sich entscheidet, sein Kind selbst zu betreuen, ist ein Hausmütterchen, das, zumindest in Bayern, dafür eine „Herdprämie“kassiert – das viel diskutierte Betreuungsgeld. Es ist gut, dass die Debatte heute meist deutlich sachlicher geführt wird und verschiedene Lebensentwürfe gleichwertig anerkannt werden.
So erfreulich es ist, dass die Talsohle durchschritten scheint – Deutschland bleibt eines der Länder mit der höchsten Kinderlosigkeit in Europa. Von einer echten Trendwende kann bislang keine Rede sein. Wirklich kinderfreundlich ist unsere Gesellschaft auch heute noch nicht. Die Familienpolitik darf sich keinesfalls auf dem Erreichten ausruhen, muss Eltern auch in Zukunft nach Kräften unterstützen. Geht es den Menschen gut und glauben sie an ihre Zukunft, dann bekommen sie auch Nachwuchs.
Die staatlichen Maßnahmen wirken tatsächlich