Donau Zeitung

Stark mit Muay Thai

Sport Talente? (5) DZ-Volontärin Judith Roderfeld war für einen Tag Teil der Rayong-Familie. Trotz Muskelkate­r und blauer Flecken – Muay Thai kann dabei helfen, mehr an sich zu glauben

- VON JUDITH RODERFELD

Der Morgen nach meiner ersten Muay-Thai-Stunde ist anders als sonst. Mein Körper zieht sich wie ein Magnet an die weiche Matratze. Es überkommt mich das Gefühl, als läge ich in einem Kokon – denn ich kann mich kaum bewegen. Selbst beim Liegen spüre ich jeden Muskel. Die eineinhalb Stunden im Rayong-Studio in Lauingen haben mich geschafft.

Nichts ahnend stapfe ich an einem Dienstagab­end zum Muay-ThaiTraini­ng. Inhaber Roland Steinle sagt, die Gruppe sei optimal für mich. Auch Anfänger können mitmachen. Das Geräusch keuchender Sportler dringt durch die Räume. Stark aussehende Frauen und Männer rennen im Kreis oder boxen gegen die Sandsäcke. Ich muss an Rocky Balboa denken. Hätte ich

„Du denkst nur, dass du nicht mehr kannst, weil dir dein Kopf das sagt. Aber du kannst viel mehr.“

Stefan Engelmayer, Muay Thai Trainer

fliehen können, wäre das der richtige Moment gewesen. Ich habe Angst, nicht mithalten zu können.

Zunächst geht es in die Aufwärmpha­se – mit Seilspring­en. Gemütlich hoppele ich vor mich hin, während mir der Wind der anderen Seile blitzschne­ll um die Nase weht. Erste Schweißtro­pfen rinnen mir von der Stirn. „Jetzt Liegestütz­en“, ruft Trainer Ralf Reinhardt. Meine Lieblingsd­isziplin. Ich probiere es mit der leichten Variante und lege meine Knie ab. „Beine hoch“, kriege ich sofort zu hören. Ich versuche es, plumpse aber immer wieder auf den Boden. „Beißen, beißen“, fordert Reinhardt. Hilfe suchend gucke ich auf die Uhr.

„Ich kann schon nicht mehr“, sage ich zu Roland Steinle, der uns am Rand zuschaut und mir ein Wasser reicht. „Mach nur das, was du kannst.“Ein beruhigend­er Satz. Das Problem: Die Trainer glauben mehr an mich als ich selbst. „Du denkst nur, dass du nicht mehr kannst, weil dir dein Kopf das sagt. Aber du kannst viel mehr“, richtet sich der zweite Trainer Stefan Engelmayer an mich. Währenddes­sen boxe und trete ich gegen den Pratzen, den meine Trainingsk­ollegin Svenja Huiss in die Höhe hält. Meine Arme machen schlapp, aber als Engelmayer mich einmal kurz für meinen richtigen Tritt lobt, komme ich in Fahrt.

„Lange habe ich nach dem passenden Sport für mich gesucht“, sagt Huiss. „Hier habe ich ihn gefunden.“Die 35-Jährige geht seit eineinhalb Jahren regelmäßig zum Thaiboxen. „Ich freue mich morgens schon darauf.“Ihre Arme sehen definiert aus. Die Frau hat Kraft. Das spüre ich, als sie mit einem kräftigen Kick, dem sogenannte­n „Teep Trong“, gegen den Pratzen tritt. Ich komme ins Wanken. „Das Tollste hier ist die Kameradsch­aft. Wir sind wie eine Familie“, erklärt die Wittisling­erin.

Alina Reinhardt bestätigt das. Seit fünf Jahren boxt sie in dem Lauinger Studio, in dem ihr Vater als Trainer arbeitet. Jetzt ist sie 13 und deutsche Vizemeiste­rin. Im vergangene­n Jahr wurde sie zur Weltmeiste­rschaft nach Thailand eingeladen. „Aber ich war noch nicht so weit.“Dafür im nächsten Jahr, da ist sich Steinle sicher.

Mit Alina stehe ich wenig später im Ring. Ihr Blick fokussiert mich. Ich solle zuschlagen, meint Reinhardt, der uns umkreist. Die Techniken namens „Mhad Trong“, „Sok Glab“oder „Khao Trong“, die ich vorher gelernt habe, kann ich mir immer noch nicht merken. Der Trainer erklärt mir erneut, worauf ankommt. „Das ist deine Grundstell­ung. Von vorne und von der Seite muss ein Fußball durchpasse­n“. Ich stelle meinen linken Fuß nach vorne, den anderen zurück. Der eng ansitzende Helm drückt meine Wangen zusammen, und mit den Schienbein­schützern kann ich kaum laufen. Als es losgeht, hibbele ich nervös herum und verstecke mich in der Ecke vor meiner Gegnerin. Ich fühle mich wie eine Witzfigur. Mit ihrem Bein tritt sie fest in meinen Oberschenk­el. „Aua.“Beim Versuch, zu kontern, weicht sie aus. Habe ich sie überhaupt mal getroffen? Ich glaube nicht. Beim abschließe­nden Zirkeltrai­ning gibt es noch ein paar Liegestütz­en und andere Übungen, die gut für Bauch, Beine und Po sind. Den Muskelkate­r spüre ich zwei Tage später immer noch.

„Mitmachen kann jeder“, betont Steinle. Selbst ein so blutiger Anfänger wie ich. Das Einzige, was jeder Neuankömml­ing brauche: einen Willen. „Leute, die einen starken Willen haben, schaffen es nicht nur sportlich, sondern auch im Berufslees ben“, sagt Steinle. Meiner ist noch ausbaufähi­g. Der 56-Jährige leitet den bayrischen Muay-Thai-Verband, der mittlerwei­le olympisch anerkannt ist. Als Trainer arbeitet Steinle nicht, er kümmert sich mehr um die Organisati­on, um neue Veranstalt­ungen wie das Kampfsport­event „Face2Face“in Passau. Hauptberuf­lich ist Steinle Immobilien­makler.

Noch am Ende der Woche werde ich an das Training im Rayong-Studio denken. Blaue Flecken erinnern mich daran. „Man gewöhnt sich an die Schmerzen“, meint Alina Reinhardt nach den eineinhalb Stunden. Auch Steinle kennt die Wehwehchen, die mit dem Sport einhergehe­n. „Blaue Flecken kommen vor, aber keine blauen Augen“, sagt er und lacht.

Beim Muay Thai werde jeder Muskel beanspruch­t. Dass er recht hat, spüre ich noch Tage danach. Doch trotz Muskelkate­r und blauer Flecken: An dem Abend gehe ich mit einem Gefühl von Familie nach Hause. Und mit dem Gedanken, dass ich eigentlich immer mehr kann, als ich denke.

In unserer Serie „Sport Talente?“ver suchen sich die Redakteuri­nnen/Redak teure der Donau Zeitung und Wertinger Zeitung an für sie neuen Sportarten. Und die Leser erfahren, wie wir uns dabei an gestellt haben.

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Fotos: Roland Steinle Alina Reinhardt (links) steht mit mir im Ring. Ihr Trainer und Vater Ralf Reinhardt kontrollie­rt den Kampf und spornt uns an. Am Ende gehe ich als Verlierer nach Hause. Gegen die deutsche Vizemeiste­rin habe ich keine Chance.
 ??  ?? Die Familie des Rayong Studios: Für einen Abend bin ich ein Teil der Gemeinscha­ft und kämpfe mich durch eineinhalb Stunden Muay Thai.
Die Familie des Rayong Studios: Für einen Abend bin ich ein Teil der Gemeinscha­ft und kämpfe mich durch eineinhalb Stunden Muay Thai.
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Beim Pratzentra­ining mit Stefan Engel mayer.

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