Ali will arbeiten, aber er darf nicht
Lehre Elektro Schadl sucht Azubis wie Ali Amiri. Aber die Behörden stimmen dagegen. Dem 18-Jährigen droht die Abschiebung
Lauingen Elektrikermeister Thomas Schadl sucht dringend neue Fachkräfte. Jedes Jahr bewerben sich weniger Menschen bei Elektro Schadl in Lauingen. Drei Lehrlinge bildet er derzeit aus. Aktuell ist kein neuer in Sicht. Außer einer: Ali Amiri aus Dillingen. Doch der Arbeitseifer des 18-Jährigen und ein unterschriebener Lehrvertrag reichen nicht – noch lehnen ihn die Behörden ab.
Seit Januar arbeitete der gebürtige Afghane im Betrieb von Thomas Schadl als Praktikant. Am 28. Juli war sein letzter Tag. Aktuell darf er nicht arbeiten. Ihm fehlt die Arbeitserlaubnis. Er muss warten. Warten darauf, dass die Zentrale Ausländerbehörde in Augsburg entscheidet, wie es weitergeht – ob er bleiben darf oder nicht. Am liebsten würde der 18-Jährige zum 1. September die Ausbildung als Elektriker beginnen. Den Vertrag hatte Thomas Schadl bereits aufgesetzt und unterschrieben – doch das genügte den Ämtern nicht. Ali muss seine Identität nachweisen. Für den jungen Mann aus Afghanistan ist das nicht so einfach.
Gerade ein Jahr war er alt, als er mit seinen Eltern und seiner großen Schwester in den Iran floh. Afghanische Papiere hat er nicht. „Und meinen iranischen Ausweis musste ich beim Militär abgeben“, erklärt er. Eine Kopie bekam er – doch bei seiner Flucht nach Deutschland nahm ihm der Schleuser das Dokument wieder ab.
Seit dem 11. Oktober 2015 lebt der 18-Jährige in Deutschland. Ali erinnert sich noch genau an das Datum. Zu dem Zeitpunkt lag ein langer Weg hinter ihm – es ging über Wasser, über Land, er fuhr mit anderen Flüchtlingen Zug oder ging Kilometer weite Strecken zu Fuß. Ali erzählt, dass er mit vielen Menschen in einem Boot saß. „Das war ein Fünf-Personen-Boot. Wir waren 45.“
Vor zwei Wochen war die Anhörung bei der Zentralen Ausländerbehörde in Augsburg. Fünf Tage später wurde sein Asylantrag abgelehnt. Ali Amiri klagt dagegen.
Bevor er 18 wurde, lag die Entscheidungsgewalt beim Landratsamt in Dillingen. Jetzt bestimmt eine andere Dienststelle über Alis Zukunft. „Wir können nicht eingreifen, seit das in Augsburg geregelt ist“, sagt sein ehemaliger Lehrer Konrad Lindner. Derzeit herrscht ein Abschiebungsverbot. Damit bleibt der Afghane erst mal im Landkreis. Schadl: „Gott sei Dank!“
Dass Ali den Lehrvertrag nicht unterschreiben darf, ärgert den 41-Jährigen. „Es gibt genug Arbeit, aber zu wenig Kräfte.“Und mit Ali hat der Unternehmer jemanden gefunden, der den Beruf erlernen möchte und das Potenzial hat. „Wenn einer da ist, dann ist es der Ali“, sagt Lindner. Er bereitete ihn und zehn weitere Flüchtlinge in der Modell-Schulklasse in Höchstädt auf das Berufsleben vor. Eine Klasse, deren Schüler von der Behörde ausgewählt wurden. Ali durfte rein.
Als der Asylantrag des jungen Mannes vor einem Jahr noch nicht abgelehnt war, hatte er rechtlich noch die Chance, eine Ausbildung zu beginnen. Doch Lindner riet ihm ab. „Mach deinen Abschluss, habe ich ihm gesagt.“Doch jetzt – mit 18 und fertigem Abschluss – darf er plötzlich nicht mehr. Und das, obwohl die Integrationsklasse initiiert wurde, um neue Lehrlinge auf den Markt zu bringen. Unfair, findet auch Schadl. „Letztes Jahr hätten die Sprachkenntnisse von Ali noch nicht gereicht“, erklärt der Lauinger Elektrikermeister. Das ist heute anders. Auch wenn es bei einigen Vokabeln noch hapert – sobald Ali einen Kabelplan in den Händen hält, ist er in seinem Metier. Dass er die für Laien unverständlichen Pläne schon jetzt lesen kann, ist für Schadl bemerkenswert. „Ich kann ihm die gleichen Aufgaben geben wie Lehrlingen im ersten Jahr.“Ali verlegt Leitungen, geht mit auf die Baustellen und überprüft Baustromverteiler. Lindner: „Lässt man so ein Potenzial einfach verkommen oder nutzt man es?“
Gearbeitet hat der junge Mann, der derzeit in Dillingen wohnt, schon mit sechs Jahren. Sein Vater konnte aus Altersgründen nicht genug Geld aufbringen. „Ich habe ganz verschiedene Arbeiten gemacht“, erklärt er. Zeitweise schuftete er auf einer Baustelle.
Nicht alle Betriebe seien bereit, Flüchtlingen eine Ausbildung anzubieten, erzählt Schadl. Im Gegenteil. „Ich habe Anrufe bekommen, in denen ich gefragt wurde, ob ich Geld dafür bekomme, dass Ali ein Praktikum bei mir macht. Dann nehme ich auch so einen, haben sie gesagt.“
Was die Lehrstelle bei Elektro Schadl angeht, gibt es noch Hoffnung: Weil sein Fall in die Öffentlichkeit kam, änderte sich etwas. In dem Schreiben von Alis Anwältin steht, dass es jetzt ausreicht, wenn ein Identitäts–Nachweis in Form einer Kopie vorliegt. Es muss nicht zwangsläufig der iranische Pass sein. Auch ein Foto des iranischen Schulzeugnisses oder ein Identitätsdokument, die sogenannte Tazkira, des Vaters oder Bruders reicht aus. Das Bild könne auch über WhatsApp versendet werden, heißt es weiter.
Vielen geht es derzeit so wie Ali. „Ich bin traurig, dass ich die Ausbildung nicht machen kann.“Der 18-Jährige sagt, er sei nicht der Einzige in seinem Umfeld. Auch seine Mitbewohner stecken in einer ähnlichen Situation. „Wir schämen uns, weil wir als Gäste hier sind und nicht arbeiten“, sagt Ali. Er hält inne und sucht nach den passenden Worten. „Doch wenn wir nicht dürfen, was sollen wir machen?“
„Lässt man so ein Potenzial einfach verkommen oder nutzt man es?“
Konrad Lindner, Lehrer