Vom Scheitern an Tränen: Jerry Lewis
Mehr als ein Quatschmacher? Zum Star wurde er in den USA, geliebt aber in Europa
Über jeden großen Komiker, so heißt es – denn es muss ja nicht immer das ganze Klischee des traurigen Clowns stimmen –, gibt es mindestens eine tragische Geschichte zu erzählen, in der sich Wesentliches seines Schaffens spiegelt. Bei Chaplin etwa war es die bittere Armut der Kindheit, die den Tramp gebar und die Getriebenheit ihres Schöpfers. Beim nun mit 91 Jahren gestorbenen Joseph Levitch ist es eine späte Geschichte – ohne Happy End.
Sie liegt weit nach der Legendenzeit, die 1945 begann, als er den neun Jahre älteren Italo-Schnulzensänger Paul Dino Crocetti kennenlernte. Die Welt lernte jenen als Dean Martin kennen, Joseph Levitch als Jerry Lewis und die beiden lieben. „Sie waren Rockstars, bevor es Rockstars gab“, schrieb die New
York Times über das Duo. Damit hatte sich endlich erfüllt, was sich Jerry von Kindheit an erträumt hatte: Sohn eines Nachtklub-Sängers mit komödiantischem Talent, der Junge schon süchtig nach Applaus, mit 18 bereits als Alleinunterhalter auf den Bühnen unterwegs. Das Schielen, das Kieksen und Krächzen, entgleisende Gesichtszüge, schlackernde Gliedmaßen, all die Tollpatschigkeit, Trotteligkeit und Überspanntheit, die er sich selbst auf den Leib schrieb: Sie kulminierten wohl 1963, also mitten hinein in die vollen 20 Jahre, die er mit Dean Martin kein Wort mehr sprach, in einem seiner folgenden Solo-Projekte: „Der verrückte Professor“, kaum auszuhalten, so überspannt – und damit großartig.
Vielleicht ist es schon ein Hauch Tragödie, dass Amerika danach bald genug von ihm hatte. Während ihn Japan verehrte und er in Europa auch für Filmemacher wie den Franzosen Goddard ein ganz Großer blieb, ein Künstler, galt Jerry Lewis in seiner Heimat bloß als Komiker, dessen Zeit mal vorbei war – weshalb er immer wieder nach Europa kam, auch in Deutschland drehte, Deutsch lernte. Da half nicht mal, dass Regiestar Martin Scorsese ihn in seinem starken Drama „The King of Comedy“an der Seite von Robert De Niro besetzte – denn selbst dieser Film wurde kein Erfolg. Erst spät und dafür mit dem typischen Pathos für gealterte Helden erinnerte man sich seiner in den USA – und ließ ihn in Shows noch mal seine Faxen machen, zeichnete ihn mit einem Ehren-Oscar aus, eine große späte Szene verschaffte ihm aber mit Emir Kusturica in seinem großartigen „Arizona Dream“, 1993, als Autoverkäufer, im pinken Anzug, an der Seite von Johnny Depp. Und da konnte man dann schon sagen: trotz der tragischen Geschichte.
1972 drehte Lewis, der Sprössling russischer Juden, den für ihn wichtigsten Film: „The Day The Clown Cried“, der Tag, an dem der Clown weinte. Er kam nie in die Kinos. Als deutscher Zirkusclown kommt er darin nach einem Hitler-Witz ins KZ, wo er jüdische Kinder bespaßen und dann ins Gas führen soll. Er recherchierte, drehte, kämpfte, kündigte an, verschob, scheiterte. Zog sich zurück, kündigte neu an, scheiterte wieder. Gab schließlich auf. Roberto Benigni sollte die Idee schließlich als Vorbild zu seinem Film „Das Leben ist schön“nehmen – und nicht scheitern. Das wiederum musste sogar der anfangs ärgerliche Jerry Lewis eingestehen. Und damit das Grundsätzliche: Er wäre so gern auch bedeutend gewesen, fähig zu mehr als Comedy, zu Bedeutung, Ernst – und war es nicht.