Donau Zeitung

Big Ben läutet nicht mehr

Um 12 Uhr verstummen am Montag die Glocken des Londoner Wahrzeiche­ns. Und ein Abgeordnet­er weint

- VON KATRIN PRIBYL Fotos: afp, dpa

London Als gestern Mittag das dunkle „Bong“aus dem Londoner Elizabeth Tower schallt, halten Taxis am Straßenran­d an und deren Fahrgäste kurz inne. Die berühmten roten Doppeldeck­erbusse stoppen, tausende Menschen, die sich auf den Gehsteigen versammelt haben, blicken hinauf auf die Zifferblät­ter der altehrwürd­igen Uhr: Ihr ZwölfUhr-Läuten ist das vorerst letzte. In der Menge brandet Applaus auf.

Big Ben, die größte der fünf Glocken des Uhrturms am Westminste­r-Palast, der ebenfalls als Big Ben bekannt ist, gilt als „Königin aller Glocken“: Die Ikone aus viktoriani­scher Zeit ist 2,28 Meter groß und 13,7 Tonnen schwer – was ungefähr dem Gewicht von drei kleinen Afrikanisc­hen Elefanten entspreche, wie eine britische Zeitung jüngst erklärte. Nach 157 Jahren im Dienst wird unter anderem die Uhr renoviert. Und die Glocke, seit 1859 in Betrieb und im Volksmund „Stimme Britannien­s“genannt, soll für vier lange Jahre verstummen.

Am Turm wie in Teilen des Westminste­r-Palasts sind Bauarbeite­r am Werk, um das vor sich hin bröckelnde Gebäude zu retten und die Fassade zu erhalten. In den Turm selbst werden ein Aufzug, eine Küche und eine Toilette eingebaut. Die Bauarbeite­r sollen, so der Grund für das Verstummen der Glocken, von deren lautem Wummern nicht gestört werden. Den heftigen Reaktionen aus Politik und Medien nach zu urteilen, könnte man meinen, es handle sich dabei um eine nationale Katastroph­e.

Big Ben und Großbritan­nien sind untrennbar miteinande­r verbunden – selbst die begannen zweimal täglich mit dem Schlagen von Big Ben. Live. Nicht einmal die deutsche Luftwaffe habe es während des Zweiten Weltkriege­s geschafft, die Glocken zum Schweigen

BBC-Radionachr­ichten

zu bringen, schimpften Politiker nun und empfahlen Kopfhörer für die Arbeiter. Der gegenwärti­ge Aufruhr überrascht – immerhin haben drei Ausschüsse den Renovierun­gsarbeiten zugestimmt, die die Stilllegun­g von Big Ben mit sich bringen. Nur zu besonderen Anlässen, etwa zu Silvester, soll das Geläut künftig erklingen.

Der Labour-Abgeordnet­e Stephen Pound steht gestern in der Menschenme­nge und wischt sich mit einem Taschentuc­h eine Träne aus dem Auge. Ob ihn da die Trauer übermannte oder er ein Schauspiel für die Medien aufführe? Natürlich meine er es ernst, sagt er beinahe beleidigt. Und tatsächlic­h zeigen sich die sogenannte­n Traditiona­listen unter den Parlamenta­riern untröstlic­h. Sogar Premiermin­isterin Theresa May schaltete sich ein.

Nach ihrer Rückkehr aus dem mehr als dreiwöchig­en Wanderurla­ub widmete sie sich nicht zuallerers­t dem Dauerthema Brexit. Sondern der alten Uhr mit ihrer imposanten Glocke. Man wolle selbstvers­tändlich die Sicherheit der Arbeiter gewährleis­ten, sagte sie, aber es könne „nicht richtig sein“, dass Big Ben für vier Jahre verstumme. Entspreche­nde Pläne sollen jetzt noch einmal auf den Prüfstand, kündigte das Parlament mittlerwei­le an. „Vergesst Brexit. Wir müssen die Sache mit Big Ben regeln“, überschrie­b daraufhin eine Kolumnisti­n der Zeitung ihren bissigen Kommentar.

Guardian

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Ein Teil des Uhrwerks, das aus dem 19. Jahrhunder­t stammt.
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Die „Big Ben“genannte „Great Bell“im Elizabeth Tower (rechts unten).

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