Donau Zeitung

„Es war wirklich Horror“

Der Kölner Schriftste­ller Dogan Akhanli erzählt, wie er in Spanien festgenomm­en und Opfer der türkischen Justiz wurde. Erdogan werde ihn nicht zum Schweigen bringen, betont er

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Herr Akhanli, Sie sitzen in einem Hotel in Madrid, dürfen Spanien aber 40 Tage nicht verlassen – so lange hat die Türkei nun Zeit zu begründen, warum Sie ausgeliefe­rt werden sollen. Wie fühlen Sie sich?

Dogan Akhanli: Es geht mir wieder relativ gut. Ich möchte nicht glauben, dass der spanische Staat mich ausliefern könnte, obwohl Deutschlan­d meine Verhaftung als Unrecht bezeichnet. Das wäre ein politische­r und juristisch­er Skandal. Ich hoffe, dass ich in 40 Tagen wieder in Deutschlan­d bin. Aber man kann nie ganz sicher sein. Ich muss mich jetzt jede Woche beim spanischen Gericht melden und einen Zettel unterschre­iben, auch das ist irgendwie absurd, aber es ist okay. Ich suche gerade ein günstiges Zimmer in Madrid, ein Hotelzimme­r kann ich mir nicht leisten. Das ist sowieso eine große Frage: Wie soll ich meinen Aufenthalt hier bezahlen? Aber das Wichtigste ist, dass die deutschen Medien und die Politik so schnell reagiert haben – sonst säße ich jetzt in Untersuchu­ngshaft. Und da will ich nie mehr hin.

Sie waren schon zweimal in Haft: Anfang der achtziger Jahre, als Sie sich im politische­n Widerstand engagierte­n und zwei Jahre in einem Militärgef­ängnis inhaftiert waren, und 2010, als Sie Ihren todkranken Vater besuchen wollten und bei der Einreise festgenomm­en wurden. Jetzt waren Sie im Urlaub. Was ist Ihnen in dem Moment durch den Kopf gegangen?

Akhanli: Es war wirklich Horror, ich wollte das nicht wahrhaben, habe gedacht, ich stecke in einer Erzählung, das ist nicht real. Als es an der Tür klopfte, dachte ich, die Polizei wolle die Ausweise von Touristen kontrollie­ren wegen der Anschläge in Barcelona. Es war 8.14 Uhr, ich lag noch im Bett und habe in Unterhose geöffnet. Die Polizisten, die korrekt waren, waren auch verwirrt, sie sollten einen Terroriste­n festnehmen und fanden einen älteren, eher schwächlic­hen Mann in Unterhose. Sie haben dann telefonier­t, wohl, um sich zu vergewisse­rn, ob ich der Richtige sei. Als die Polizisten mir Handschell­en anlegten, wurde mir schlecht. In der Zelle war mir dann schwindeli­g, ich hatte kein Zeitgefühl mehr, da ist eine Traumatisi­erung aufgebroch­en, die ich glaubte, gerade überwunden zu haben. Der Staatsanwa­lt, der Sie 2010 in der Türkei lebenslang in Haft bringen wollte, ist inzwischen auch nach Deutschlan­d geflohen, weil er dem Regime nicht genehm war.

Akhanli: Das zeigt die ganze Absurdität. Ich würde ihn gern für ein Gespräch treffen, das wäre interessan­t, habe ihn aber bislang noch nicht ausfindig gemacht.

Sie sind wegen eines Vermerks der europäisch­en Polizeibeh­örde Interpol verhaftet worden. Davon haben Sie anscheinen­d nichts gewusst.

Akhanli: Nein, über den Vermerk haben mich deutsche Behörden nicht informiert. Ich wusste, dass es noch einen türkischen Haftbefehl gegen mich gibt, aber nicht, dass ich über Interpol gesucht werde und ein EU-Land das ernst nimmt. Ich habe mir bislang nie Sorgen gemacht, wenn ich nach Frankreich, Holland, Italien oder Polen gereist bin. Kontrollen finden ja normalerwe­ise auch am Flughafen statt, 2010 war ich bei der Einreise in die Türkei auch am Flughafen festgenomm­en worden. Eine Festnahme im Hotel, das hat schon eine neue Qualität.

Bestimmte Menschen wissen offenbar genau, wo Sie wann sind.

Akhanli: Ja, aber das an sich macht mir keine Angst. Angst hat mir gemacht, dass die spanische Polizei mich wegen genau der absurden Vorwürfe festgenomm­en hat, die die Türkei schon 2010 gegen mich erhoben hat. Die Spanier hätten eigentlich wissen müssen, dass die Türkei Regimekrit­iker systematis­ch und mit völlig aus der Luft gegriffene­n Argumenten verfolgen lässt. Es ist seltsam, dass in Spanien binnen zehn Tagen zwei Regimekrit­iker der Türkei festgenomm­en wurden. Ihnen wurde 2010 in der Türkei vorgeworfe­n, Kopf einer Terrororga­nisation zu sein und 1989 in einen Raubüberfa­ll verwickelt gewesen zu sein, bei dem ein Mensch ermordet wurde. Sie erhielten einen Freispruch, der aber 2013 wieder aufgehoben wurde.

Akhanli: Das ist alles Schikane, man wollte und will mich zum Schweigen bringen, so macht man es mit anderen Kritikern auch. Ich lasse mir das Reden und Schreiben aber nicht verbieten.

Ihre Frau hat nach der Verhaftung sofort einen Anwalt eingeschal­tet, der die Politik und Medien informiert hat. Was wäre gewesen, wenn sie nicht bei Ihnen gewesen wäre?

Akhanli: Dann säße ich jetzt womöglich noch in Untersuchu­ngshaft – und dreimal unschuldig einzusitze­n, das wäre doch ein bisschen zu viel. So waren es zum Glück nur 16 oder

„Es ist ein großes Glück, deutscher Staatsbürg­er zu sein.“

Dogan Akhanli

17 Stunden in der Zelle, die mir allerdings viel länger vorkamen. Ich wusste auch nicht, wer sich zwischenze­itlich für mich eingesetzt hat – unglaublic­h.

Von der Bundeskanz­lerin bis zum Außenminis­ter, der Schriftste­llerverein­igung Pen hat jeder Ihre sofortige Freilassun­g gefordert.

Akhanli: Diese unglaublic­he Solidaritä­t, die ich schon 2010 gespürt habe und jetzt vielleicht sogar noch stärker empfinde, ist überwältig­end. Es ist ein großes Glück, deutscher Staatsbürg­er zu sein. Ich genieße den Schutz dieses Landes, das Gefühl habe ich jetzt wieder, und das nimmt mir die Angst.

Interview: Uli Kreikebaum

OZur Person Der Schriftste­ller Dogan Akhanli ging in der Türkei nach dem Militärput­sch 1980 in den Untergrund und wurde 1984 verhaftet. Von 1985 bis 1987 saß er in einem Istanbuler Militär gefängnis. Vier Jahre später setzte er sich nach Deutschlan­d ab, wo er als poli tischer Flüchtling anerkannt wurde und die deutsche Staatsbürg­erschaft annahm. Seine bekanntest­en Bücher sind: „Die Richter des jüngsten Gerichts“und „Der letzte Traum der Madonna“.

 ?? Foto: Mariscal, Imago ?? Der deutsch türkische Autor Dogan Akhanli in Madrid: Der Staatsanwa­lt, der ihn vor Gericht bringen sollte, floh inzwischen selbst nach Deutschlan­d.
Foto: Mariscal, Imago Der deutsch türkische Autor Dogan Akhanli in Madrid: Der Staatsanwa­lt, der ihn vor Gericht bringen sollte, floh inzwischen selbst nach Deutschlan­d.

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