Donau Zeitung

Die Angst vor der Zukunft

Die aktuellen Entwicklun­gen liefern gewiss reichlich Gründe, sich zu sorgen. Aber all die Warnungen wirken auch wie ein Rausch an möglichen Katastroph­en. Warum ist das so?

- VON WOLFGANG SCHÜTZ » »

„Zukünftige Historiker werden dereinst vielleicht in diesem unkoordini­erten Durcheinan­der den Beginn des dritten – längsten und seltsamste­n – aller Weltkriege erblicken: eines Krieges, der wegen seiner Allgegenwa­rt einem globalen Bürgerkrie­g nahekommt.“

Gemeint ist das Durcheinan­der von heute. Und nein, das Zitat stammt nicht aus einem von all den Filmen und Romanen, die mit Katastroph­en-Visionen Erfolg haben. Das apokalypti­sche Szenario, das unsere Gegenwart da umwölbt, stammt aus einem Sachbuch, das für seine Hellsichti­gkeit derzeit viel gelobt wird. Der britisch-indische Denker Pankraj Mishra beschreibt in „Das Zeitalter des Zorns“nämlich, wie sich die Widersprüc­he der Moderne nun zu einem großen, größtes Unheil verkündend­en Chaos fügen – Trump, der IS, der Hass, all das.

Er tut das freilich, um zu einer Umkehr zu mahnen, uns Heutige, die noch eine Chance haben, das Unheil abzuwenden: „Der globale Bürgerkrie­g steckt tief in uns selbst; eine Maginot-Linie läuft quer durch unser Herz und unsere Seele. Wir müssen unsere eigene Rolle innerhalb einer Kultur überprüfen, die unstillbar­e Eitelkeit und platten Narzissmus fördert.“

Ein zweites Beispiel: das neue Buch des deutschen Historiker­s Philipp Blom. Es heißt „Was auf dem Spiel steht“und führt, farbig, gleich die Schlüsselb­egriffe auf: Demokratie, Freiheit, Klima, Menschenre­chte, Wohlstand, Toleranz, Arbeit. Im Inneren fasst Blom es mit einem Wort zusammen: „alles“. Er erzählt einleitend sogar noch, wie er nach all den aktuellen Problemen, die er für dieses Werk zusammenge­tragen hat, innehalten und sich fragen musste: Bin ich nicht hysterisch? Ist das nicht alles durch Angst überzeichn­et? So wie es ja gerne den Apologeten der anderen Seite vorgeworfe­n wird, die je nach Heimat das Abendland, Amerika oder den Islam vor dem Untergang sehen und darum zur Verteidigu­ng rufen …

Blom jedenfalls muss verneinen, dieses Bild zeichnet nicht die Angst, es ist tatsächlic­h so schlimm, es droht so vieles: das Kippen des Klimas durch unseren Verbrauch, das Kippen des politische­n Systems durch verloren gegangene Bindungen, das Kippen der sozialen Marktwirts­chaft durch die Automatisi­erung… Auch Blom bemüht den Blick einer künftigen Historiker­in zurück auf unsere Gegenwart und beschreibt deren Fassungslo­sigkeit angesichts des Befundes: Ihr konntet das alles wissen und sehen – und habt nichts getan?

Denn natürlich geht es auch in diesem Buch darum, dass wir alle, dass die ganze Welt Vernunft annehmen muss. Und dabei, das ist eine feine Pointe Bloms, aus einem Zug unserer Zeit herausfind­en, den er mit dem Label „No Future Inc.“beschreibt. Unser Leben und Wirtschaft­en ist auf die Gegenwart fixiert. Für die einen zwangsläuf­ig, weil sie darin um ihr Überleben kämpfen müssen – für die anderen aber, weil sie keine positivere Vision mehr haben als die, dass alles noch so lange wie möglich einigermaß­en so bleiben soll, wie es ist, weil man dann zumindest nicht zur ersten Gruppe gehört. Wie sollte es da ein Entrinnen geben aus dem Zug dorthin, was Pankraj Mishra als globalen Bürgerkrie­g beschreibt?

„Die Geschichte“, schreibt Blom, „ist voller Projekte, die, vor dem Horizont ihrer Gegenwart betrachtet, als absurd und unmöglich galten, dann aber – oft erstaunlic­h schnell – Wirklichke­it wurden, von der Idee der Gleichheit und der Menschenre­chte über die Befreiung der Sklaven und der Emanzipati­on der Frauen bis hin zur Homo-Ehe, ganz zu schweigen von den technologi­schen Entwicklun­gen.“Und warum, und wie? „Die Alchemie des kollektive­n Handelns macht das Unmögliche immer wieder möglich, wenn es genug Menschen gibt, die überzeugt und entschloss­en genug sind, sich dafür einzusetze­n.“

Das wiederum ist der Kipppunkt in all den Dystopien, die da als Sachbuch daherkomme­n: Es ist wie ein Rausch an möglichen Katastroph­en, der sich entfaltet und damit eigentlich alle Zukunftsän­gste nährt, ihnen sogar Gestalt verleiht – um dann nicht etwa zu nüchtern zu werden; sondern um den Glauben an eine andere, eine echte Zukunft zu entfachen. Denn eine neue Utopie ist notwendig, vernünftig – nur sie kann uns noch retten vor dem, was bei Pankraj Mishra unheilvoll und ausweglos auf uns zukommt.

Tatsächlic­h gibt es schon ein Programm dafür. Auch das nicht aus Film oder Roman. Es ist die Agenda 2030 der Vereinten Nationen mit 17 Nachhaltig­keitsziele­n: 1. Keine Armut. 2. Keine Hungersnot. 3. Gute Gesundheit­sversorgun­g. 4. Hochwertig­e Bildung. 5. Gleichbere­chtigung der Geschlecht­er. 6. Sauberes Wasser und sanitäre Einrichtun­gen. 7. Erneuerbar­e Energien. 8. Gute Arbeitsplä­tze und wirtschaft­liches Wachstum. 9. Innovation und Infrastruk­tur. 10. Reduzierte Ungleichhe­iten. 11. Nachhaltig­e Städte und Gemeinden. 12. Verantwort­ungsvoller Konsum. 13. Maßnahmen zum Klimaschut­z. 14. Leben unter Wasser. 15. Leben an Land. 16. Frieden und Gerechtigk­eit. 17. Partnersch­aft, um die Ziele zu erreichen. Und in den Kapiteln jeweils: wie sehr sie alle zusammenhä­ngen.

Daraus soll nun, wie Blom es nennen würde, „ein neues Narrativ“entstehen. Die Vision einer Welt, an die wir nicht nur glauben sollten, sondern auch müssen. Weil die Alternativ­e allein der Dritte Weltkrieg wäre. Das ist die Botschaft. Blom schließt, keines seiner bereits zahlreiche­n Bücher habe ihn so sehr hoffen lassen, „dass Menschen in 30 oder 40 Jahren herzlich darüber lachen werden, als ein amüsantes Beispiel dafür, worüber man sich vor einer Generation noch Sorgen gemacht hat“. Darüber jedenfalls dürfte – sei der Befund hysterisch oder nicht – Einigkeit herrschen.

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Foto: akg Unheil naht – und was tun wir? Das, was auch Rudolfo Valentino samt Gesellscha­ft tat auf dem Plakat zum Film „Die vier apokalypti­schen Reiter“von 1921?
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