Donau Zeitung

Wie gut sind Muslime integriert?

Dank der guten Arbeitsmar­ktlage gibt es Fortschrit­te. Die meisten Kinder sprechen zu Hause deutsch. Doch die neue Studie sagt noch nichts über die jüngste Flüchtling­swelle aus

- VON MARTIN FERBER

Berlin Bei der Integratio­n der rund 4,7 Millionen dauerhaft in Deutschlan­d lebenden Muslime hat es in den letzten Jahren erhebliche Fortschrit­te gegeben. Die vor allem aus der Türkei stammenden Migranten haben im Vergleich zu anderen Ländern in Europa beste Chancen, einen Job zu finden und sind daher seltener arbeitslos als in Frankreich oder Österreich. Das geht aus der vergleiche­nden Studie „Muslime in Europa – Integriert, aber nicht akzeptiert?“der Bertelsman­n-Stiftung hervor, die aktuell veröffentl­icht wurde, die allerdings nicht die neuesten Entwicklun­gen seit dem Ausbruch der Flüchtling­skrise 2015 berücksich­tigt. Untersucht wurden Menschen, die vor 2010 eingewande­rt waren.

Integratio­n in den Arbeitsmar­kt

Das Urteil der Bertelsman­n-Stiftung fällt eindeutig aus: „Deutschlan­d weist die mit Abstand besten Bedingunge­n für die Integratio­n in den Arbeitsmar­kt auf“, schreiben Dirk Halm und Martina Sauer vom Zentrum für Türkeistud­ien und Integratio­nsforschun­g an der Universitä­t Duisburg-Essen, die im Auftrag der Güterslohe­r Stiftung die Studie erstellt haben. Von den Bedingunge­n in Deutschlan­d können muslimisch­e Zuwanderer in Großbritan­nien, Frankreich, Österreich und der Schweiz nur träumen. Im Gegensatz zu diesen Ländern unterschei­det sich die Erwerbstät­igkeit der Muslime in Deutschlan­d nicht mehr von den Werten der Deutschen: Immerhin 60 Prozent arbeiten in Vollzeit, 21 Prozent in Teilzeit, fünf Prozent sind arbeitslos und 14 Prozent üben gar keinen Beruf aus. In Frankreich und Österreich ist die Arbeitslos­igkeit von Muslimen dagegen vergleichs­weise hoch.

Die Sprachbarr­iere sinkt

Ein entscheide­ndes Kriterium aus Sicht der Forscher ist die Beherrschu­ng der Sprache des Gastlandes. Und auch da hat Deutschlan­d im Vergleich zu England und Frankreich deutlich aufgeholt, wo die Bedingunge­n wegen der früheren Kolonien anders sind. Beherrsche­n nur 23 Prozent der Einwandere­r der ersten Generation die deutsche Sprache, wachsen bereits 73 Prozent der in Deutschlan­d geborenen Kinder von muslimisch­en Eltern mit Deutsch als erster Sprache auf, in Frankreich sind es 93 Prozent, in Großbritan­nien 80 Prozent.

Hohe Quote an Schulabbre­chern

Im Vergleich der fünf Länder liegt Deutschlan­d, was die Dauer des Schulbesuc­hes von muslimisch­en Kindern angeht, hinter Frankreich und Großbritan­nien auf dem dritten Platz. Während im Nachbarlan­d jenseits des Rheins nur elf Prozent der Muslime vor Vollendung des 17. Lebensjahr­es die Schule verlassen, sind es in Deutschlan­d 36 Prozent. Unveränder­t hoch ist die Quote der Schulabbre­cher ohne Abschluss.

Gemeinsame­s Freizeitve­rhalten

Wenn es um die Gestaltung ihrer Freizeit geht, gibt es kaum mehr Unterschie­de zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen, zudem ist der unterschie­dliche Glaube kein Hindernis für gemeinsame Aktivitäte­n. 84 Prozent der in Deutschlan­d geborenen Muslime verbringen ihre Freizeit regelmäßig mit Nicht-Muslimen, fast zwei Drittel sagen, dass ihr Freundeskr­eis mindestens zur Hälfte aus Deutschen besteht. Dabei gilt: je jünger die Menschen, umso intensiver die Beziehunge­n. Die Folge: 96 Prozent der in Deutschlan­d lebenden Muslime fühlen sich mit dem Land, in dem sie leben, sehr oder eher verbunden, nur in der Schweiz ist der Wert mit 98 Prozent noch höher.

Frömmigkei­t als Nachteil

40 Prozent der Muslime in Deutschlan­d bezeichnen sich als „hochreligi­ös“, dagegen nur 16 Prozent der Nicht-Muslime. Ihnen fällt es in Deutschlan­d im Gegensatz zu Großbritan­nien schwer, einen Arbeitspla­tz zu finden, der ihrem Qualifikat­ionsniveau entspricht. Die Folge: Sie verdienen oft erheblich weniger als Muslime, die sich als weniger fromm bezeichnen.

Diskrimini­erung

63 Prozent der Muslime geben an, noch nie wegen ihres Glaubens am Arbeitspla­tz, bei Behörden oder in der Öffentlich­keit diskrimini­ert worden zu sein. Nur in der Schweiz ist der Wert mit 65 Prozent noch höher. Am niedrigste­n ist der Wert in Österreich mit 32 Prozent. Viele Muslime sind enttäuscht, dass ihre Anstrengun­gen um Integratio­n von den Deutschen nicht anerkannt werden. So sagen 19 Prozent der Bürger in Deutschlan­d, dass sie keine Muslime als Nachbarn haben wollen. Für Stephan Vogel, Experte für gesellscha­ftlichen Zusammenha­lt der Bertelsman­n-Stiftung, ist dies keine Überraschu­ng: „Wenn sich Gesellscha­ften verändern, wird das immer auch als spannungsr­eich empfunden.“Er empfiehlt mit Blick auf die Studie drei Hebel, um die Integratio­n weiter zu fördern: Erstens die Chancen auf Teilhabe zu verbessern, vor allem im Bildungsbe­reich. Zweitens den Islam als Religionsg­emeinschaf­t institutio­nell gleichzust­ellen. Und drittens die sozialen Kontakte zu fördern.

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Foto: Jörg Carstensen, dpa Sie gehören in fast allen Städten seit vielen Jahren zum Straßenbil­d. Rund 4,7 Millionen Menschen muslimisch­en Glaubens leben in Deutschlan­d.

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