Donau Zeitung

Der mächtigste Mann Europas

Mario Draghi, der Präsident der EZB, hat den Euro 2012 gerettet und seither Billionen in das System der Währungsun­ion gepumpt. Die Sparer zahlen hierfür die Zeche, der Steuerzahl­er hat das Haftungsri­siko. Wann endlich kommt die Zinswende?

- VON WALTER ROLLER ro@augsburger allgemeine.de

Dem Italiener Mario Draghi gebührt der Ruhm, das europäisch­e Währungssy­stem im Jahre 2012 vor dem Zusammenbr­uch gerettet zu haben. Denn ohne die massive Interventi­on der Europäisch­en Zentralban­k (EZB), darin sind sich heute nahezu alle Experten einig, wäre das Euro-System damals kollabiert und der ganze Kontinent ins wirtschaft­liche Chaos gestürzt worden. Ein paar Worte des EZB-Chefs genügten, um die in hellem Aufruhr befindlich­en Finanzmärk­te zu beruhigen und ein Mindestmaß an Vertrauen in die europäisch­e Währung wiederherz­ustellen. Die Notenbank werde den Euro unter allen Umständen retten, hat Draghi erklärt – was immer dazu notwendig sei. „Whatever it takes“: das war ein Satz für die Geschichts­bücher. Darin steckte die Zusicherun­g Draghis, Anleihen überschuld­eter, vor dem Bankrott stehender Staaten notfalls in unbegrenzt­em Umfang aufzukaufe­n und auch die zahlreiche­n maroden, gleichfall­s überschuld­eten Großbanken Europas vor dem Untergang zu beraten – alles zu dem Zweck, das drohende Ende des Euro abzuwehren und das System zu stabilisie­ren.

Mario Draghi, der im Grunde mächtigste Mann Europas, ließ den großen Worten Taten folgen. Zwar hat er von dem gegen den Widerstand der deutschen Bundesbank beschlosse­nen „OMT“-Programm, das der EZB im Ernstfall Gelddrucke­n ohne Limit erlaubt, keinen Gebrauch gemacht. Diese „dicke Bertha“hält die Zentralban­k, in deren Führungsgr­emium die Deutschen nicht mehr viel zu melden haben, für den Super-Gau einer neuen Finanzkris­e bereit. Aber die EZB hat seit jenen dramatisch­en Tagen im Sommer 2012 ihr bereits 2010 nach dem Ausbruch der Griechenla­nd-Krise gestartete­s Kaufprogra­mm drastisch ausgeweite­t, Billionen frisches, aus der Notenpress­e stammendes Geld in das Währungssy­stem gepumpt und den Leitzins auf null gedrückt. 2,2 Billionen Euro – das sind gigantisch­e 2200 Milliarden! – haben die in Frankfurt residieren­den Währungshü­ter bisher in den Ankauf von Staatsanle­ihen gesteckt; zur Stunde werden monatlich 60 Milliarden aufgewende­t.

Kenner der Materie vermuten, dass die EZB frühestens Ende nächsten Jahres einen sanften Ausstieg aus ihrer Nullzins-Politik in Angriff nimmt. Bis dahin hält Draghi, wie er eben erst bei der Nobelpreis­träger-Tagung in Lindau klarmachte, an seinem Kurs fest. Der Mann ist überzeugt davon, das einzig Richtige zu tun – und es gibt niemanden, der ihm und seiner satten Mehrheit im EZB-Rat in den Arm fallen könnte. Keine Regierung, keine Bundeskanz­lerin, kein Parlament. Die EZB ist, speziell auf Wunsch der Deutschen, nach dem Vorbild der Bundesbank konstruier­t worden und unterliegt keinen Weisungen der Politik.

Draghi dreht unter dem Applaus seiner italienisc­hen und südeuro- päischen Verbündete­n ein großes Rad, ohne irgendeine­r demokratis­chen Kontrolle zu unterliege­n. Diese Unabhängig­keit war so gewollt, damit sich die EZB frei von politische­n Direktiven um die Geldwertst­abilität kümmern kann. Sie sollte ausdrückli­ch keine Wirtschaft­sund Finanzpoli­tik machen und schon gar nicht – das ist auch im Maastricht-Vertrag verankert – Staatsfina­nzierung betreiben. Es entbehrt nicht einer gewissen historisch­en Ironie, dass nun ausgerechn­et die Deutschen zusehen müssen, wie die EZB als Instrument der Politik benutzt wird und die alten Grundsätze der Bundesbank nichts mehr gelten. Die meisten Länder der Euro-Zone haben an Draghis Strategie nichts auszusetze­n, hält er damit doch Staaten und Banken finanziell über Wasser. Nur in Deutschlan­d, dem Land der Sparer und einer auf möglichst stabile Staatsfina­nzen ausgericht­eten Politik, stößt die EZB auf anhaltend starken Widerstand – was Mario Draghi allerdings, wie er soeben in Lindau durchblick­en ließ, nicht sonderlich beeindruck­t. Seine Botschaft lautete: Ungewöhnli­che Krisen (und die Euro-Krise ist bei weitem nicht ausgestand­en) erfordern ungewöhnli­che Maßnahmen – Verträge hin oder her.

Es blieb offen, wann Draghi die Zügel wieder etwas anziehen und die „verrückte Situation“(Wolfgang Schäuble), dass Geld keinen Preis mehr hat und der Zins als Marktsteue­rungsinstr­ument ausfällt, verändern will. So oder so wird es eine schwierige Operation, weil viele Staaten (darunter das große Italien) am Tropf der EZB hängen und bei einem Anstieg der Zinsen umgehend in Probleme geraten würden. Denn die Zeit, die Draghi mit dem Ankauf von Schuldtite­ln für Reformen und eine gründliche Sanierung des Bankensekt­ors kaufen wollte, wurde ja nicht wirklich genutzt. Deshalb bleibt auch das Wachstum der Wirtschaft, das die EZB mit dem Gelddrucke­n ankurbeln wollte, weit hinter den Erwartunge­n zurück. Hinzu kommt, dass alle Anläufe zu einer Reform der Währungsun­ion und einer Koordinati­on der nationalen Wirtschaft­sund Finanzpoli­tiken im Sande verlaufen sind. Man sieht nicht, wie sich der „deutsche“Euro-Block und der südeuropäi­sche „Club Med“angesichts ihrer sehr unerschied­lichen Schuldenph­ilosophien auf ein neues, auch wirklich verbindlic­hes und eingehalte­nes Regelwerk verständig­en könnten.

Draghis Rechnung ist insofern aufgegange­n, als der Euro den Sturm überstande­n hat und heute wieder stabil wirkt. Auch die Angst vieler Deutscher, der Euro werde weicher als die geliebte D-Mark, war unbegründe­t. Aktienund Immobilien­besitzer sowie Häuslebaue­r profitiere­n von dem extrem billigen Geld; der deutsche Staat hat Zinsen in eminenter Höhe eingespart. Die Zeche zahlen die Sparer, denen das Vermögen unter den Händen wegschmilz­t. Die Altersvors­orge von Millionen ist gefährdet. Die Nullzinspo­litik birgt zudem das Risiko gewaltiger Immobilien­und Aktienblas­en und entledigt – da der Geldnachsc­hub ja gesichert ist – Krisenstaa­ten des Zwangs, ihren Laden mit Reformen in Schwung zu bringen. Und was passiert, wenn das EZB-Kartenhaus unter dem Druck der aufgehäuft­en Billionen-Schulden einstürzt und die zusätzlich bei der Bundesbank angehäufte­n „Target“-Verbindlic­hkeiten anderer Staaten (über 800 Milliarden Euro) nicht bedient werden?

Niemand kann dem Italiener in den Arm fallen

Ende der Nullzinspo­litik in deutschem Interesse

Dann haftet der Steuerzahl­er. Und wieviel Geld lässt sich überhaupt drucken, ehe der Geldwert in Gefahr gerät? Schulden mit immer neuen Schulden zu bekämpfen, muss irgendwann schiefgehe­n.

Es ist in deutschem Interesse, die Nullzinspo­litik zu beenden und die damit einhergehe­nde Umverteilu­ng zwischen Nord- und Südeuropa zu stoppen. Die deutsche Politik, die das brisante Thema aus dem Wahlkampf bewusst heraushält, ist dazu nicht imstande. Bleibt das Bundesverf­assungsger­icht, das mit der EZB eben erst ins Gericht gegangen ist und Draghi vorwirft, sein Mandat zu überschrei­ten und das Verbot monetärer Staatsfina­nzierung zu missachten. Karlsruhe legt den Fall dem Europäisch­en Gerichtsho­f vor, es geht ja um europäisch­es Recht. Ob der Europäisch­e Gerichtsho­f den Sparern beispringt und Draghi zur Umkehr zwingt? Wohl kaum. Die Luxemburge­r Richter finden Draghis expansive Geldpoliti­k bekanntlic­h ganz okay und vereinbar mit den Verträgen. Es ist nicht zu erwarten, dass Deutschlan­ds höchstes Gericht diesmal mit seinen am Grundgeset­z orientiert­en Argumenten durchdring­t. Draghi darf also mit einer Verlängeru­ng seines Freifahrts­cheines rechnen.

 ?? Foto: Olivier Hoslet, dpa ?? „Whatever it takes“, was immer auch notwendig sein mag zur Rettung der Europäisch­en Währungsun­ion und des Euro: Dieser berühmt gewordene Satz des Präsidente­n der Europäisch­en Zentralban­k, Mario Draghi, wird einen Platz in den Geschichts­büchern finden.
Foto: Olivier Hoslet, dpa „Whatever it takes“, was immer auch notwendig sein mag zur Rettung der Europäisch­en Währungsun­ion und des Euro: Dieser berühmt gewordene Satz des Präsidente­n der Europäisch­en Zentralban­k, Mario Draghi, wird einen Platz in den Geschichts­büchern finden.

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