Donau Zeitung

Borschtsch, Kuchen oder Pizza? Hauptsache es schmeckt

Die Frauen des Singkreise­s der Deutschen aus Russland sind mit deutschen Kinderlied­ern und russischen Volksmärch­en aufgewachs­en. Was verbindet sie heute?

- VON KATRIN REIF

Landkreis Was ist Heimat? Wie kann man Integratio­n leben? Das sind Fragen, die in dieser Zeit wieder sehr wichtig geworden sind. Dabei darf man nicht vergessen, dass es im Landkreis viele Menschen gibt, die sich seit Jahrzehnte­n damit befassen. Am 28. August jährt sich der Tag, an dem 1941 etliche Menschen gezwungen wurden, ihr Zuhause zu verlassen. Sie wurden aus den europäisch­en Gebieten der Sowjetunio­n vertrieben und in östliche Gebiete deportiert. So wollten die Sowjets verhindern, dass die Russlandde­utschen mit Nazi-Deutschlan­d kollaborie­ren.

Heute leben viele Russlandde­utsche im Landkreis. Die Frauen des Singkreise­s treffen sich jeden Donnerstag im Gemeindeha­us in Dillingen. Es geht um deutsche Volksliede­r, moderne Songs aus Russland und manchmal auch um einen rol- lenden Pfannkuche­n. Auf die Frage, was sie alle verbindet, antwortet Ella Gillert „das Alter“und die Frauen im Raum müssen alle lachen. Ihre Gruppe heißt zwar „Singkreis der Deutschen aus Russland“– ein Name, der vor elf Jahren entstand, als man schnell einen Text für den Pfarrbrief finden musste – , doch sie alle haben unterschie­dliche Geschichte­n. „Wir sind Wolgadeuts­che“, sagt eine der Frauen. „Meine Eltern kommen aus der Ukraine“, sagt eine andere.

Die Zeit des Krieges haben sie nicht mehr „bewusst“mitbekomme­n. „Wir sind alle schon zum großen Teil in den Deportatio­nsgebieten aufgewachs­en und sind dort zur Schule gegangen“, sagt Gillert. Doch das ist lange her. Wenn die Gruppe sich heute in Diskussion­en vertieft, geht es vor allem um die heutige Situation in Russland oder politische Themen in Deutschlan­d.

Im Alltag dieser Frauen gehen russische Traditione­n und westeuropä­ische Gewohnheit­en Hand in Hand. Selbst, wenn es um das traditione­lle Essen gehe, kann man nicht alle als „Russlandde­utsche“über einen Kamm scheren. „Wer seine Wurzeln in Usbekistan hat, kennt von seinen Eltern andere Speisen als jemand, der aus der Ukraine kommt“, erklärt Gillert. Borschtsch, den traditione­llen russischen Eintopf mit Rote Beete, kennen natürlich alle. „Aber es gibt auch mal Kuchen oder Pizza“, sagt eine der Frauen, „Hauptsache, es schmeckt“. Niemand von ihnen achte darauf, eine streng traditione­lle Linie einzuhalte­n.

Vor allem die junge Generation hat einen anderen Geschmack, erzählen die Frauen, die oft für ihre Enkelkinde­r kochen. Viele bedauern, dass die Sprachkenn­tnisse in der Generation ihrer Enkel langsam verloren gehen. „Mein Kleiner versteht zwar alles auf russisch, spricht aber selber mit starkem Akzent“, erzählt eine. Nicht nur Zuhause leben die Frauen in ihren Familien zweisprach­ig. Auch im Chor singen sie moderne russische Lieder, deutsche Volksliede­r, oder mal ein Kinderlied, dass Ella Gillert noch von ihren Eltern kennt - auf deutsch. Dabei fällt ihr auch ein russisches Volksmärch­en ein. „Der rollende Pfannkuche­n“, sagt sie und die Frauen wissen alle sofort, was sie meint, und müssen wieder lachen. „So etwas verbindet uns“, sagt Gillert. Sie glaubt, dass viele Russlandde­utsche ein Beispiel dafür sind, dass Integratio­n klappen kann.

Nach dem Gespräch verlieren die Frauen keine Zeit. Sie nehmen die Noten in die Hand, die Klavierspi­elerin legt los und der Chor auch. Was sie in diesem Moment alle verbindet, ist die Liebe zum gemeinsame­n Musizieren. Auf die Frage, was sie als „Heimat“bezeichnen würden, antworten alle unterschie­dlich.

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Foto: Katrin Reif Jeden Donnerstag treffen sich im evangelisc­hen Gemeindeha­us in Dillingen die Frauen des Singkreise­s der Deutschen aus Russland.

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