Borschtsch, Kuchen oder Pizza? Hauptsache es schmeckt
Die Frauen des Singkreises der Deutschen aus Russland sind mit deutschen Kinderliedern und russischen Volksmärchen aufgewachsen. Was verbindet sie heute?
Landkreis Was ist Heimat? Wie kann man Integration leben? Das sind Fragen, die in dieser Zeit wieder sehr wichtig geworden sind. Dabei darf man nicht vergessen, dass es im Landkreis viele Menschen gibt, die sich seit Jahrzehnten damit befassen. Am 28. August jährt sich der Tag, an dem 1941 etliche Menschen gezwungen wurden, ihr Zuhause zu verlassen. Sie wurden aus den europäischen Gebieten der Sowjetunion vertrieben und in östliche Gebiete deportiert. So wollten die Sowjets verhindern, dass die Russlanddeutschen mit Nazi-Deutschland kollaborieren.
Heute leben viele Russlanddeutsche im Landkreis. Die Frauen des Singkreises treffen sich jeden Donnerstag im Gemeindehaus in Dillingen. Es geht um deutsche Volkslieder, moderne Songs aus Russland und manchmal auch um einen rol- lenden Pfannkuchen. Auf die Frage, was sie alle verbindet, antwortet Ella Gillert „das Alter“und die Frauen im Raum müssen alle lachen. Ihre Gruppe heißt zwar „Singkreis der Deutschen aus Russland“– ein Name, der vor elf Jahren entstand, als man schnell einen Text für den Pfarrbrief finden musste – , doch sie alle haben unterschiedliche Geschichten. „Wir sind Wolgadeutsche“, sagt eine der Frauen. „Meine Eltern kommen aus der Ukraine“, sagt eine andere.
Die Zeit des Krieges haben sie nicht mehr „bewusst“mitbekommen. „Wir sind alle schon zum großen Teil in den Deportationsgebieten aufgewachsen und sind dort zur Schule gegangen“, sagt Gillert. Doch das ist lange her. Wenn die Gruppe sich heute in Diskussionen vertieft, geht es vor allem um die heutige Situation in Russland oder politische Themen in Deutschland.
Im Alltag dieser Frauen gehen russische Traditionen und westeuropäische Gewohnheiten Hand in Hand. Selbst, wenn es um das traditionelle Essen gehe, kann man nicht alle als „Russlanddeutsche“über einen Kamm scheren. „Wer seine Wurzeln in Usbekistan hat, kennt von seinen Eltern andere Speisen als jemand, der aus der Ukraine kommt“, erklärt Gillert. Borschtsch, den traditionellen russischen Eintopf mit Rote Beete, kennen natürlich alle. „Aber es gibt auch mal Kuchen oder Pizza“, sagt eine der Frauen, „Hauptsache, es schmeckt“. Niemand von ihnen achte darauf, eine streng traditionelle Linie einzuhalten.
Vor allem die junge Generation hat einen anderen Geschmack, erzählen die Frauen, die oft für ihre Enkelkinder kochen. Viele bedauern, dass die Sprachkenntnisse in der Generation ihrer Enkel langsam verloren gehen. „Mein Kleiner versteht zwar alles auf russisch, spricht aber selber mit starkem Akzent“, erzählt eine. Nicht nur Zuhause leben die Frauen in ihren Familien zweisprachig. Auch im Chor singen sie moderne russische Lieder, deutsche Volkslieder, oder mal ein Kinderlied, dass Ella Gillert noch von ihren Eltern kennt - auf deutsch. Dabei fällt ihr auch ein russisches Volksmärchen ein. „Der rollende Pfannkuchen“, sagt sie und die Frauen wissen alle sofort, was sie meint, und müssen wieder lachen. „So etwas verbindet uns“, sagt Gillert. Sie glaubt, dass viele Russlanddeutsche ein Beispiel dafür sind, dass Integration klappen kann.
Nach dem Gespräch verlieren die Frauen keine Zeit. Sie nehmen die Noten in die Hand, die Klavierspielerin legt los und der Chor auch. Was sie in diesem Moment alle verbindet, ist die Liebe zum gemeinsamen Musizieren. Auf die Frage, was sie als „Heimat“bezeichnen würden, antworten alle unterschiedlich.