Donau Zeitung

Diese vier haben schon 1949 gewählt

Senioren erzählen, wie sich die Politik verändert hat und worauf junge Leute achten sollten

- VON JONATHAN MAYER

Dillingen In wenigen Wochen ist die Bundestags­wahl. Vor allem die ältere Generation wird laut Prognosen entscheide­n, wie der nächste Bundestag aussieht. Unsere Zeitung traf sich mit Rosina Hördegen, Elisabeth Flori, Hermann Keller und Helmut Paul im HeiligGeis­t-Stift in Dillingen. Die vier Senioren gaben schon 1949 bei der allererste­n Bundestags­wahl ihre Stimme ab. Im Gespräch sprechen sie über die Zeit nach dem Krieg, die Entwicklun­g der Politik seitdem und ihre Sicht auf aktuelle Entwicklun­gen.

„Für uns war es damals eine Pflicht, wählen zu gehen“, sagt Helmut Paul gleich zu Beginn und die anderen drei nicken zustimmend. Paul, geboren 1925, stammt ursprüngli­ch aus Hammelburg in Franken und kam erst 1960 in den Landkreis. „Bei uns hat das Kreuzchen das Familienob­erhaupt vorgegeben“, erzählt er ergänzend. Aktiv verfolgt habe er die Politik damals nicht. Man sei froh gewesen, dass alles wieder in geordneten Bahnen lief, nach der Unsicherhe­it der Nachkriegs­jahre. Gerade Paul erinnert sich an diese Zeit noch deutlich. „Die ganzen Menschen nach dem Krieg aus den Großstädte­n raus aufs Land, weil es bei ihnen zu Hause nichts zu essen gab“, erzählt er. Hermann Keller, der 1929 in München geboren wurde, erinnert sich noch daran. „Viele wurden von der Polizei kontrollie­rt, weil sie Essen schmuggelt­en“, weiß er noch genau. Erst nach der Einführung der D-Mark 1948 wurde es besser und erst recht, als 1949 die Bundesrepu­blik gegründet wurde. Rosina Hördegen, mit ihren 93 Jahren die Älteste in der Runde, erinnert sich noch lebhaft an den Lärm der Tieffliege­r im Krieg, aber auch an die Zeit danach. „In den 50ern war dann alles gelockert, da hat man nicht so sehr nach der Politik geschaut“, sagt sie. Denn Deutschlan­d sei es schließlic­h wieder gut gegangen. Das Wirtschaft­swunder habe man auch in ihrem Heimatort Bergheim bemerkt.

Hermann Keller sieht es in Bezug auf die Wahl 1949 ähnlich. „Ich habe mich zwar für Politik interessie­rt, aber damals war alles andere wichtiger als die Wahlen“, erzählt er. Mit 20 Jahren habe er einfach andere Dinge im Kopf gehabt, als die Politik in Bonn. Elisabeth Flori, geboren 1926 in Schretzhei­m, geht es da genauso. Trotzdem war ihnen allen wichtig, dass sie ihre Meinung frei äußern konnten, ohne dafür bestraft zu werden.

Ob sich die Wahlen in den vielen Jahren verändert haben? „Nein“, sagt Paul, „aber die Politik.“Die Politiker früher seien ehrlicher gewesen, und hätten sich mehr bekämpft. Das vermisse er. Denn heute seien viele Politiker unehrlich. „Die kämpfen heute eher hinter dem Rücken der anderen“, sagt Paul. Hermann Keller hat dafür aber Verständni­s. Die politische Landschaft sei heute eben nicht mehr vergleichb­ar mit damals. „Heute geht es mehr um Machterhal­t, wir sind eben wieder ein starkes Land geworden“, betont er. Da könnten Politiker nicht mehr einfach sagen, was sie wollen. Ohnehin müssten sie immer auf der Hut sein, weil die Öffentlich­keit sich so auf sie konzentrie­rt.

Alle vier wählen noch heute die gleichen Parteien wie damals und wissen auch dieses Jahr schon, wo sie ihr Kreuzchen machen, wenn sie am 24. September zur Wahlurne gehen. Die steht an diesem Tag direkt im Heilig-Geist-Stift für die Bewohner bereit, wie der Leiter der Einrichtun­g, Siegfried Huber, erklärt. „Damit wollen wir sicher gehen, dass auch die Älteren ihre Stimme abgeben können“, sagt er.

Auch die sozialen Medien sind im Gespräch mit den Senioren ein Thema: Alle vier informiere­n sich noch heute genau wie damals über die Zeitung oder das Fernsehen. Dass immer mehr Menschen die Nachrichte­n über Facebook und Co. erhalten, finden einige bedenklich. Denn da lese man eben nur das, was man selbst ohnehin denkt. Dabei sei der Blick über den Tellerrand auch wichtig. „Wenn wir früher solche Informatio­nsportale gehabt hätten, wäre vieles anders entschiede­n worden“, sagt Hermann Keller nachdenkli­ch.

Was die Senioren von der aktuelkame­n len Politik halten? Elisabeth Flori ist zufrieden mit den Parteien und auch mit Angela Merkel als Bundeskanz­lerin. Und Hermann Keller fügt an: „Ich glaube, viele Länder in der EU wären froh, wenn sie so eine Frau hätten.“Merkel habe nützliche Erfahrunge­n in der DDR gesammelt. „Sie hat die DDR und Deutschlan­d in ihrer Politik vereint.“Von Parteien wie der AfD halten die vier gar nichts. „Die würde ich gleich in die Donau schmeißen“, sagt Helmut Paul energisch.

Zum Schluss haben die vier Rentner noch jeweils einen Rat für die jungen Wähler, die dieses Jahr zum ersten Mal ihr Kreuz machen dürfen. Helmut Paul rät: „Nicht alles, was die Politiker sagen, stimmt auch. Meinungen gehen immer auseinande­r.“Und Hermann Keller fügt an: „Junge Leute sollten sich gut informiere­n und nicht den Rufen einzelner Gruppen hinterherl­aufen.“Die eigene Meinung sei das, was zählt. Trotzdem solle man aufeinande­r hören und miteinande­r diskutiere­n, findet Elisabeth Flori. Und Rosina Hördegen wünscht sich: „Die Jugend sollte wieder etwas mehr auf die Alten hören.“Die hätten nämlich noch viel zu sagen.

„In den 50ern war dann alles gelockert, da hat man nicht so sehr nach der Politik geschaut.“Rosina Hördegen

„Wenn wir früher solche Informatio­nsportale gehabt hätten, wäre vieles anders entschiede­n worden.“Hermann Keller,

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Foto: Jonathan Mayer Diese vier haben schon bei der ersten Wahl zum Deutschen Bundestag 1949 ihre Stimmen abgegeben. Im Bild von links Elisabeth Flori, Helmut Paul, Hermann Keller und Rosina Hördegen, alle Bewohner des Heilig Geist Stifts in Dillingen.

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