Asyl: Debatte um Geldleistungen
Im Internet taucht ein Kontoauszug mit einer recht hohen Asyl-Auszahlung auf. Es geht um eine Familie. Was hinter den 1780 Euro steckt
Donauwörth Leicht zerknüllt ist er. Murat M.s Sohn hat sich nichts dabei gedacht und ihn einfach liegen lassen in der Bank. Jener Kontoauszug der Sparkasse Donauwörth sorgt indes deutschlandweit für Diskussionen, vor allem in den sogenannten sozialen Netzwerken. Der Ton ist dabei in Teilen recht rau, mithin auch unverhohlen hassgetränkt. Davon abgesehen entbrannte aufgrund der Höhe der ausgezahlten Asylleistung, die auf dem schlichten Papier aufgeführt ist, eine Debatte um die Fairness bei staatlichen Zuwendungen.
Murat M. heißt nicht Murat M. Dessen eigentlichen Namen hat die Redaktion aus nachvollziehbaren Gründen geändert, obwohl dieser entgegen den Gepflogenheiten eines menschenwürdigen Persönlichkeitsschutzes längst schon ungeniert im Netz kursiert. Mitsamt offizieller Anschrift war ein Foto des Auszuges ins weltweite Netz gestellt worden. Ungepixelt, ungeschwärzt.
M.s Tochter zeigt einen Brief, welcher der Familie kürzlich zugestellt wurde, nachdem der Kontoauszug im Internet aufgetaucht war. Ein Galgen ist darauf gezeichnet, und in maschinengeschriebenen Lettern ist zu lesen, was der Autor der Zeilen von Asylbewerbern hält. Nicht viel offensichtlich – der Wortlaut ist mehr als ordinär und muss an dieser Stelle nicht wiedergegeben werden. Tochter und Mutter indes sind froh, dass es bislang bei diesem Schreiben geblieben ist, zumindest in traditionell postalischer Form. Im Dorf würden sie nicht auf den Kontoauszug angesprochen. Im Internet ging es derweil hoch her, angesichts der Höhe der angegebenen Asylleistung, die das Landratsamt Donau-Ries als zuständige Behörde ausgezahlt hat: Fast 1800 Euro sind dort verbucht.
M.s Tochter, die im Landkreis eine Mittelschule besucht, ist mit ihren vier Geschwistern und den Eltern vor zwei Jahren aus Afghanistan in Richtung Deutschland geflohen. Die junge Frau spricht sehr respektabel Deutsch und übersetzt im Wohnzimmer der Asylbewerberunterkunft in einem Juradorf, in der die Familie untergebracht ist.
Natürlich habe die Familie mitgekriegt, was für Wellen der Kontoauszug geschlagen habe, doch die meisten wüssten ja nicht, dass sieben Menschen von dem Geld lebten. Sie wisse, sagt die junge Frau, dass es überall auf der Welt – und eben auch in Deutschland – arme Menschen gebe und dass es beim Thema „Asyl“eine breite Diskussion um die Art und Höhe der Leistungen gebe. Sie sagt: „Wir sind normale Menschen – weder arm noch reich. Einfach normal.“Ihr Vater arbeitet mittlerweile bei der Gemeinde, man wolle sich einbringen und hätte auch gerne mehr Möglichkeiten, mit Deutschen in Kontakt zu treten. Auch um die eigene Lage zu erklären, sagt M.s Tochter. Die Beleidigungen im Internet will sie nicht weiter kommentieren.
Ihre Familie sei vor den kriegerischen Zuständen in ihrem Heimatort am Hindukusch geflohen und nicht aus Spaß. Keiner habe sich dort noch aus dem Haus getraut. „Daesh“, also die islamistischen Terroristen des IS, und die radikal-islamischen Taliban nennen Tochter und Mutter als Gründe für die Flucht über den Iran und die Türkei nach Europa.
Jetzt sind sie in Deutschland, wo die Behörden versuchen, den hier lebenden Menschen im Notfall auch finanziell eine gewisse existenzielle Sicherheit zu bieten – nach dem Gesetz, versteht sich. Die Höhe dieser Sozialleistungen steht mithin aus zwei Gründen in der Diskussion: Erstens sind angesichts der hohen Zahl an Asylbewerbern die unmittelbaren Geldleistungen in den vergangenen zwei Jahren in die Höhe geschnellt. Der zweite Grund ist einer, der den Punkt der Gerechtigkeit berührt – bekommen die hiesigen Bezieher von Sozialhilfe letztlich weniger Leistungen als Asylbewerber? Klaus Zimmermann vom Landratsamt Donau-Ries ist für diesen Bereich zuständig. Er kennt jegliche Sozialleistungen aus dem Effeff. Immer wieder kursieren auf den Foren im Internet Aussagen, dass Asylbewerber wie die M.s mehr an Leistungen bekämen als Einheimische. Zimmermann will das Gesetz und Zahlen sprechen lassen. Fakten statt Fake News. Er holt das ausschlaggebende Sozialgesetzbuch XII hervor und rechnet mit gesetzlichen Leistungstabellen, Stift und Papier vor, dass eine deutsche Familie, die sozialhilfeberechtigt ist, mehr bekommt. 2211 Euro stünden ihr für Eltern und fünf Kinder im gleichen Alter zu – plus Miete und Nebenkostenanteil. 1780 Euro bekommt die Asylbewerberfamilie M., die Unterkunft wird gestellt. Von dem Geld ist der grundsätzliche Bedarf zu zahlen, das heißt vor allem Nahrung und Bekleidung.
Ob das im einen wie anderen Fall ausreichend ist, zu viel oder zu wenig – das mag Zimmermann nicht politisch beurteilen. Aber es gebe schwarz auf weiß exakte Berechnungsvorgaben zur Existenzsicherung eines jeden Menschen im Land. Und für Asylbewerber gelten seit einem Urteilsspruch des Bundesverfassungsgerichtes 2011 gleiche Richtwerte – in einigen Bereichen allerdings in abgespeckter Form. Bei der Familie M. käme, wie Zimmermann weiter berichtet, erschwerend
hinzu, dass die Familie einerseits im Verfahren sei, zum anderen als Afghanen nach einer politischen Verfügung praktisch keine Arbeitserlaubnis erhalte – bis auf die 20 Stunden gemeinnütziger Arbeit, die Familienvater M. bei der Gemeinde verrichtet. Abteilungsleiter Zimmermann betont, dass der Vergleich der Gelder für alleinstehende deutsche Hilfeempfänger und Asylbewerber anschaulich sei. Ein Deutscher erhalte als Grundbetrag 409 Euro (plus Miete), ein Asylbewerber 287,70 Euro (bei Nutzung einer Unterkunft). Zimmermann resümiert: „Betrachtet man diese Summen, ist man am Boden der Realität angekommen.“