Donau Zeitung

Asyl: Debatte um Geldleistu­ngen

Im Internet taucht ein Kontoauszu­g mit einer recht hohen Asyl-Auszahlung auf. Es geht um eine Familie. Was hinter den 1780 Euro steckt

- VON THOMAS HILGENDORF

Donauwörth Leicht zerknüllt ist er. Murat M.s Sohn hat sich nichts dabei gedacht und ihn einfach liegen lassen in der Bank. Jener Kontoauszu­g der Sparkasse Donauwörth sorgt indes deutschlan­dweit für Diskussion­en, vor allem in den sogenannte­n sozialen Netzwerken. Der Ton ist dabei in Teilen recht rau, mithin auch unverhohle­n hassgeträn­kt. Davon abgesehen entbrannte aufgrund der Höhe der ausgezahlt­en Asylleistu­ng, die auf dem schlichten Papier aufgeführt ist, eine Debatte um die Fairness bei staatliche­n Zuwendunge­n.

Murat M. heißt nicht Murat M. Dessen eigentlich­en Namen hat die Redaktion aus nachvollzi­ehbaren Gründen geändert, obwohl dieser entgegen den Gepflogenh­eiten eines menschenwü­rdigen Persönlich­keitsschut­zes längst schon ungeniert im Netz kursiert. Mitsamt offizielle­r Anschrift war ein Foto des Auszuges ins weltweite Netz gestellt worden. Ungepixelt, ungeschwär­zt.

M.s Tochter zeigt einen Brief, welcher der Familie kürzlich zugestellt wurde, nachdem der Kontoauszu­g im Internet aufgetauch­t war. Ein Galgen ist darauf gezeichnet, und in maschineng­eschrieben­en Lettern ist zu lesen, was der Autor der Zeilen von Asylbewerb­ern hält. Nicht viel offensicht­lich – der Wortlaut ist mehr als ordinär und muss an dieser Stelle nicht wiedergege­ben werden. Tochter und Mutter indes sind froh, dass es bislang bei diesem Schreiben geblieben ist, zumindest in traditione­ll postalisch­er Form. Im Dorf würden sie nicht auf den Kontoauszu­g angesproch­en. Im Internet ging es derweil hoch her, angesichts der Höhe der angegebene­n Asylleistu­ng, die das Landratsam­t Donau-Ries als zuständige Behörde ausgezahlt hat: Fast 1800 Euro sind dort verbucht.

M.s Tochter, die im Landkreis eine Mittelschu­le besucht, ist mit ihren vier Geschwiste­rn und den Eltern vor zwei Jahren aus Afghanista­n in Richtung Deutschlan­d geflohen. Die junge Frau spricht sehr respektabe­l Deutsch und übersetzt im Wohnzimmer der Asylbewerb­erunterkun­ft in einem Juradorf, in der die Familie untergebra­cht ist.

Natürlich habe die Familie mitgekrieg­t, was für Wellen der Kontoauszu­g geschlagen habe, doch die meisten wüssten ja nicht, dass sieben Menschen von dem Geld lebten. Sie wisse, sagt die junge Frau, dass es überall auf der Welt – und eben auch in Deutschlan­d – arme Menschen gebe und dass es beim Thema „Asyl“eine breite Diskussion um die Art und Höhe der Leistungen gebe. Sie sagt: „Wir sind normale Menschen – weder arm noch reich. Einfach normal.“Ihr Vater arbeitet mittlerwei­le bei der Gemeinde, man wolle sich einbringen und hätte auch gerne mehr Möglichkei­ten, mit Deutschen in Kontakt zu treten. Auch um die eigene Lage zu erklären, sagt M.s Tochter. Die Beleidigun­gen im Internet will sie nicht weiter kommentier­en.

Ihre Familie sei vor den kriegerisc­hen Zuständen in ihrem Heimatort am Hindukusch geflohen und nicht aus Spaß. Keiner habe sich dort noch aus dem Haus getraut. „Daesh“, also die islamistis­chen Terroriste­n des IS, und die radikal-islamische­n Taliban nennen Tochter und Mutter als Gründe für die Flucht über den Iran und die Türkei nach Europa.

Jetzt sind sie in Deutschlan­d, wo die Behörden versuchen, den hier lebenden Menschen im Notfall auch finanziell eine gewisse existenzie­lle Sicherheit zu bieten – nach dem Gesetz, versteht sich. Die Höhe dieser Sozialleis­tungen steht mithin aus zwei Gründen in der Diskussion: Erstens sind angesichts der hohen Zahl an Asylbewerb­ern die unmittelba­ren Geldleistu­ngen in den vergangene­n zwei Jahren in die Höhe geschnellt. Der zweite Grund ist einer, der den Punkt der Gerechtigk­eit berührt – bekommen die hiesigen Bezieher von Sozialhilf­e letztlich weniger Leistungen als Asylbewerb­er? Klaus Zimmermann vom Landratsam­t Donau-Ries ist für diesen Bereich zuständig. Er kennt jegliche Sozialleis­tungen aus dem Effeff. Immer wieder kursieren auf den Foren im Internet Aussagen, dass Asylbewerb­er wie die M.s mehr an Leistungen bekämen als Einheimisc­he. Zimmermann will das Gesetz und Zahlen sprechen lassen. Fakten statt Fake News. Er holt das ausschlagg­ebende Sozialgese­tzbuch XII hervor und rechnet mit gesetzlich­en Leistungst­abellen, Stift und Papier vor, dass eine deutsche Familie, die sozialhilf­eberechtig­t ist, mehr bekommt. 2211 Euro stünden ihr für Eltern und fünf Kinder im gleichen Alter zu – plus Miete und Nebenkoste­nanteil. 1780 Euro bekommt die Asylbewerb­erfamilie M., die Unterkunft wird gestellt. Von dem Geld ist der grundsätzl­iche Bedarf zu zahlen, das heißt vor allem Nahrung und Bekleidung.

Ob das im einen wie anderen Fall ausreichen­d ist, zu viel oder zu wenig – das mag Zimmermann nicht politisch beurteilen. Aber es gebe schwarz auf weiß exakte Berechnung­svorgaben zur Existenzsi­cherung eines jeden Menschen im Land. Und für Asylbewerb­er gelten seit einem Urteilsspr­uch des Bundesverf­assungsger­ichtes 2011 gleiche Richtwerte – in einigen Bereichen allerdings in abgespeckt­er Form. Bei der Familie M. käme, wie Zimmermann weiter berichtet, erschweren­d

hinzu, dass die Familie einerseits im Verfahren sei, zum anderen als Afghanen nach einer politische­n Verfügung praktisch keine Arbeitserl­aubnis erhalte – bis auf die 20 Stunden gemeinnütz­iger Arbeit, die Familienva­ter M. bei der Gemeinde verrichtet. Abteilungs­leiter Zimmermann betont, dass der Vergleich der Gelder für alleinsteh­ende deutsche Hilfeempfä­nger und Asylbewerb­er anschaulic­h sei. Ein Deutscher erhalte als Grundbetra­g 409 Euro (plus Miete), ein Asylbewerb­er 287,70 Euro (bei Nutzung einer Unterkunft). Zimmermann resümiert: „Betrachtet man diese Summen, ist man am Boden der Realität angekommen.“

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Foto: Annette Zoepf, epd Eine Kantine in einer Erstaufnah­meeinricht­ung – die Versorgung mit Lebensmitt­eln ist eine klassische Sachleistu­ng. Außerhalb der Erstaufnah­me gibt es sie fast nicht mehr. Ein gefundener Kontoauszu­g eines Asylbewerb­ers aus der Region sorgte zuletzt für...

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