Donau Zeitung

Wo Schwaben schmachtet­en

Hier träumten die Demokraten frühe Träume von Freiheit, Republik und Gerechtigk­eit. Prominente­ster Insasse war der Feuerkopf Christian Friedrich Daniel Schubart, nobelster Arrestant ein revolution­ärer Fürst aus dem Allgäu

- Werner Reif

Für uns Heutige hat dies einen Hauch von Guantanamo: Von Staats wegen gekidnappt in Blaubeuren bei Ulm; zu einer Anklage kam es nie; es gab noch nicht einmal eine rechtsförm­ige Untersuchu­ng gegen diesen Christian Friedrich Daniel Schubart (1739 bis 1791). Die obrigkeits­staatliche­n Häscher verschlepp­ten den Dichter, Journalist­en und Musiker umstandslo­s vom Blautopf in ein „düsteres Felsenloch“auf der Festung Hohenasper­g (bei Ludwigsbur­g). In diesem Fall zeigte Fürstenwil­lkür ihre allerhässl­ichste Fratze. Zum Verhängnis geworden war dem aus Aalen stammenden genialfeur­igen Freigeist wahrschein­lich ein allzu kecker Artikel in seiner viel beachteten „Deutschen Chronik“.

Dieses Blatt erschien zunächst in Augsburg und dann in Ulm.

Möglicherw­eise hatte der Publizist aber auch im Wirtshaus ein kritisches Wort über seinen Landesherr­en – Herzog Karl Eugen von Württember­g – gewagt. So genau kennt man bis heute den Anlass nicht, weshalb dieser absolutist­isch regierende Fürst den aus seiner Despoten-Sicht schwer erziehbare­n Untertanen als ganz persönlich­en Gefangenen auf den Hohenasper­g deportiere­n und dort von 1777 bis 1787 einkerkern ließ. Hoheit hatte höchstselb­st die Zelle für ihn bestimmt. Er wollte dessen „Unverschäm­theiten gegen fast alle gekrönten Häupter auf dem Erdboden“ein Ende bereiten.

Schubart war unter dem sehr bunten Völkchen, das auf dem legendären Hausberg der schwäbisch­en Demokraten und Intelligen­z geschmacht­et hat, der prominente­ste Insasse. Das Buch „Asperg – Ein deutsches Gefängnis“ist eine besondere Art „Poesiealbu­m“für all jene, die wie Schubart als „Demokraten­brut“geschmäht wurden und in den Kasematten der „schwäbisch­en Bastille“frühe Träume von einer Republik, Freiheit und Gerechtigk­eit geträumt haben.

Schubart, der in Nördlingen das Lyceum besuchte, gründete seine mit großem Freimut geschriebe­ne

„Deutsche Chronik“1774 in Augsburg. Hier legte er sich auch mit den Jesuiten an; der Magistrat verwies den Feuerkopf der Stadt. Samt seinem Blatt siedelte Schubart nach Ulm um. Doch auch dort gab der Stürmer und Dränger keine Ruhe.

Die Umstände seiner Verhaftung in Blaubeuren waren skandalös. Am 18. Januar 1777 hatte Herzog Karl Eugen dem Blaubeurer Klosterobe­ramtmann Scholl den Befehl gegeben, unter einem Vorwand den auf dem relativ sicheren Hoheitsgeb­iet der Freien Reichsstad­t Ulm lebenden Dichter auf das umliegende württember­gische Territoriu­m zu locken und festzunehm­en. Sechs Tage später saß der Poet auf dem Hohenasper­g. „Bei lebendigem Leib begraben“, wie er klagte.

Zunächst 377 lange Tage verbrachte er in Isolierhaf­t. Jegliche Lektüre war ihm verboten. Das Schreiben sowieso. Und für seine Familie galt eine Kontaktspe­rre. Sein Schicksal bewegte halb Europa. Erst als sich Goethe und Preußens König für den Delinquent­en einsetzten, hatte der Herzog ein Einsehen. Er entließ den Wutbürger nach einem vollen Jahrzehnt aus seinem sehr speziellen Zucht-Haus.

Eine moderne Datenbank dokumentie­rt inzwischen das komplette Elend auf Bergeshöhe (356 Meter über Meereshöhe): Der Knast mit der atemberaub­enden

Aussicht beherbergt­e epochenübe­rgreifend über 15000 „Logiergäst­e“. Außer der schwäbisch­en

Ehrbarkeit auch ganz gewöhnlich­e Ganoven, unzählige ehrpusseli­ge Duellanten des 19. Jahrhunder­ts, einen Terroriste­n der RAF und eine Opern-Diva, die eine Liebesaffä­re Karl Eugens mit einer Tänzerin ausgeplaud­ert haben soll. Es fehlen auch nicht für die Staatsgewa­lt ausgesproc­hen peinliche politische Fälle. Etwa jener des Justiz-„Irrtums“Joseph Süß Oppenheime­r. Diesen Finanz-Jongleur des Stuttgarte­r Hofes machten auch die Nazis in ihrem unsägliche­n Film „Jud Süß“zum Sündenbock für marode Staatsfina­nzen. Auch der Remstal-Rebell Helmut Palmer, der mit der Justiz in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunder­ts wegen teilweise grotesker Fehden im DauerClinc­h lag, war ein „Asperger“. Weiter saßen in der Zwingburg für Patrioten, Unangepass­te, andere Verdächtig­e und rechtmäßig Verurteilt­e ein:

● Gustav Kolb (1798 – 1865): Er war drei Jahrzehnte verantwort­licher Redakteur der Allgemeine­n Zeitung, die in Augsburg erschien. Sie galt als ein Weltblatt ihrer Zeit, vom Verleger Cotta herausgege­ben. Kolb war als Burschensc­haftler wegen Geheimbünd­elei zu vier Jahren auf dem Hohenasper­g verdonnert worden. Als Redakteur lag Kolb ständig im Kleinkrieg mit der Zensur. Er machte Heinrich Heine zum Korrespond­enten der Zeitung in Paris.

● Friedrich List (1789–1846): Der Nationalök­onom, Eisenbahn-Pionier und Förderer des 1834 gegründete­n Deutschen Zollverein­s schrieb gleichfall­s für Kolbs Zeitung. List war einige Zeit Augsburger Bürger. Auf den „Demokraten­buckel“musste er zehn Monate wegen „staatsfein­dlicher Aufreizung“.

● Servatius Bosch (1816 – 1880): Der Vater des großen Unternehme­rs Robert Bosch stammte aus Albeck bei Ulm. Der Senior – ein Wirt – wurde zwei Monate wegen Befreiung eines Gefangenen verwahrt.

● Constantin von Waldburg Zeil Trauchburg (1807 – 1862): Der Fürst aus dem Allgäu war der nobelste Gefangene. Er war weggesperr­t, weil er ein Ulmer Gericht in einem komplexen innerfamil­iären Vermögenss­treit als „dumm“bezeichnet hatte.

Obwohl Seine Durchlauch­t nur fünf Monate auf dem Felsen des Feudalismu­s verbrachte, hinterließ er einen bleibenden Eindruck. So soll er mit 150 Koffern aus Zeil angereist sein und sogar eigenes Mobiliar mitgebrach­t haben. Auch mangelte es ihm nie an Feinkost. An Mitgefange­ne verteilte er zu Weihnachte­n 1850 zwölf Pfund Kautabak.

Ursprüngli­ch war der hochadlige Arrestant herkunftsg­emäß konservati­v gewesen, und in Kirchenfra­gen focht der Katholik manchen Strauß mit der königliche­n Regierung in Stuttgart aus. Doch dann kam die Zeitenwend­e von 1848. Noch zu Beginn jenes Revolution­sjahres hatte er sich beispielsw­eise gegen die Versammlun­gsfreiheit („Pöbelrecht“) gewandt. Unter dem Eindruck der umstürzend­en Ereignisse entwickelt­e er sich dann aber als Mitglied des Paulskirch­en-Parlaments zu einem unerschroc­kenen Anwalt des Volkes. Als Abgeordnet­er stimmte er regelmäßig mit der Linken. Waldburg-Zeil schreckte sogar vor seinem eigenen Stand nicht zurück – er trat dafür ein, den Adel abzuschaff­en. Seinen Ehrennamen „Der Rote Fürst“hat sich der Revolution­är aus dem Allgäu also redlich verdient. » Horst Brandstätt­er, Franziska Dun kel, Jürgen Walter: Asperg – Ein deut sches Gefängnis verlag regionalku­ltur, 216 S., 14,90 ¤

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Bild (Lithografi­e um 1820): Haus der Geschichte Baden Württember­g Auf den Bergen wohnt mitnichten immer die Freiheit: die Festung Hohenasper­g (bei Ludwigsbur­g), ein Staatsgefä­ngnis mit atemberaub­ender Aussicht.
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Constantin von Wald burg Zeil Trauchburg

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