Eklat in der Freikirche
Die Dillinger Volksmission in der Einsteinstraße hat viele Mitglieder verloren. Warum?
Dillingen Die Scham, die Wut, die große Traurigkeit, die Angst – das alles muss raus. „Das war meine Familie“, sagt Christine Zeller. „Wir haben neue Mitglieder geworben, so begeistert waren wir“, sagt Emmanuela Weißmann. Doch alljene wollen sie jetzt warnen. Vor dem Christlichen Zentrum Dillingen, einer evangelischen Freikirche der Volksmission in der Dillinger Einsteinstraße 14.
Emmanuela und ihr Mann Hansfried Weißmann waren sieben Jahre lang begeisterte Mitglieder. Freikirchen wie die in der Einsteinstraße sind von der evangelischen Kirche anerkannt. Erwachsene können dort Mitglied werden und zahlen dann einen freiwilligen Beitrag, keine Kirchensteuer. Wer nicht Mitglied werden will, kann als Gast an den Gottesdiensten teilnehmen. Die Gottesdienste seien in Freikirchen lockerer. Untereinander pflegen die Mitglieder samt Pastor ein geschwisterliches Miteinander, erklärt die 72-Jährige. Lebens- und Lehrautorität ist die Bibel. Das Christliche Zentrum Dillingen sei eine Gemeinde mit Herz gewesen, auch für Christine Zeller. Die 54-Jährige war verwitwet, als sie nach Dillingen zog und so dankbar für die offene, freundliche Aufnahme 2011 in der Dillinger Freikirche, dass sie geweint habe vor Dankbarkeit und Glück. „Das war plötzlich mein Zuhause.“Die beiden Männer, die mit am Tisch sitzen, sehen die Lage etwas nüchterner. Dennoch, auch Hansfried war so überzeugt, dass er sich mit 70 noch taufen ließ. Doch vor knapp zwei Jahren verließen er und seine Frau das Pfarrbüro und kehrten nicht mehr zurück.
Seit zwei Jahren hat die Gemeinde einen neuen Pastor, Wolfgang Mayr. 24 Jahre lang war der heute 55-Jährige Abteilungsleiter beim Unternehmen Gartner in Gundelfingen – und seit 1991 Mitglied der Freikirche. Aus Berufung, so sagt er, hatte er parallel die Ausbildung zum Pastor gemacht und war nach dem Weggang von Claus Rapp zu dessen Nachfolger gewählt worden. Emmanuela Weißmann war da schon lange Seelsorgerin in der Gemeinde. Bei Hauskreisen kamen Mitglieder zu ihr, es wurde gemeinsam gebetet. Jahrelang, sagt sie, hatte sie alles andere zurückgestellt, um für ihre Geschwister, also die Mitglieder, da zu sein. Doch dann bestellte Pastor Mayr sie eines Tages nach dem Gottesdienst zu sich in sein Büro. Was genau dort passiert ist, darüber gibt es widersprüchliche Aussagen. Doch beide Seiten bestätigen: Erst verließ Hansfried Weißmann das Büro, dann seine Frau. Für immer.
Sehr gute Freunde, Christine Zeller und ihr Lebensgefährte Josef Höck, waren da gerade im Urlaub. Als sie zurückkehrten, hätte man ih- » nen gesagt: Weißmanns sind weg und wollten keinen Kontakt zu euch. „Und wir haben das geglaubt“, sagt Christine Zeller. Nur: Weißmanns wussten davon nichts und konnten nicht fassen, wie sich plötzlich die Geschwister von ihnen abwendeten.
Zusammen mit Weißmanns hätte zwar der ganze Hauskreis inzwischen die Gemeinde verlassen, etwa 20 von insgesamt 60 Mitgliedern, sagt er. Doch Fluktuation sei in der Freikirche normal, zumal nach einem Pastorenwechsel, sagen Mayr und sein Kollege, Pastor Klemens Kißner von der freien evangelischen Kirche in Steinheim. Die hatten Josef Höck und Christine Zeller früher lange besucht, sagt Kißner. Auf ihren Wunsch hin seien sie von seinem Vorgänger kirchlich getraut worden. Standesamtlich wollten sie nicht. Das hatte unter den anderen Geschwistern in Steinheim laut Kißner für Unruhe gesorgt. Daraufhin war das Paar 2011 kurz nach den Weißmanns zur Einsteinstraße gewechselt. Erst waren sie Gäste, dann wurden die beiden Mitglieder der dortigen Volksmission. Zu dem hatten die Weißmanns der Gemeinde schon den Rücken gekehrt. Doch man hatte ja keinen Kontakt mehr. Laut Josef Höck hatte Pastor Mayr ein klares Kontaktverbot für den Umgang mit Weißmanns ausgesprochen. Dem widerspricht der Pastor entschieden. Nachdem beide Paare irgendwann wieder Kontakt hatten und sich gegenseitig aufklärten, wurde die Kritik von Zeller und Höck am Pastor lauter.
Schließlich untersagte Mayr ihnen im Sommer per Mail den Zutritt zum Gemeindehaus, entband die beiden von allen Aufgaben und forderte die Gemeindeschlüssel zurück. Bevor er die zurückerhielt, bestätigt der Pfarrer, hatte er bereits die Schlösser gewechselt.
Jetzt klagt das Ehepaar HöckZeller ebenfalls, dass ein Kontaktverbot und üble Gerüchte sie inzwischen von allen ihren Geschwistern isoliert hätten. Auch ein Sohn, der sich sehr für die Jugendgruppe der Kirche engagiert hatte, dürfe sich nicht mehr an seine Freunde wenden. „Das ist eine Lüge“, beschwert sich der Pfarrer. „Wer sind wir, dass wir erwachsenen Leuten den Kontakt miteinander verbieten können?“Er sagt aber auch: An einer Veranstaltung in Ulm mit seinen Freunden durfte der Sohn von Christine Zeller kürzlich zwar teilnehmen, doch Mayr bat ihn, im eigenen Auto anzureisen, um keine Lügen zu verbreiten. „Die wollen uns eine einschenken“, beklagt der Pastor sicher. Er hat mit den vorherigen Pastoren der beiden Frauen Zeller und Weißmann in Franken gesprochen. Die Kollegen hätten auch über massive Probleme mit den Familien geklagt. Schließlich wandten sich das Ehepaar HöckZeller an den Beisitzer der Volksmission. Im August fand eine große Aussprache statt, sogar der Vorsitzende des Gesamtverbandes der Volksmission, Bernhard Röckle, war dabei. „Ich wollte Lösungen aufzeigen“, erklärte er am Freitag am Telefon. Beide Seiten hörte er an, doch ein Frieden kam nicht zustande. Nacheinander hätten Christine Zeller, Josef Höck und zum Schluss auch der Sohn den Raum verlassen. „Ich kann nicht bewerten, wer recht oder unrecht hat. JeZeitpunkt der macht Fehler, auch der Pfarrer. Aber die Haltung des Paares war unerbittlich.“
Also wandten sich Weißmanns und das Ehepaar Höck-Zeller an die Zeitung. „Wir müssen die Menschen warnen. Die suchen Hilfe im Gebet und denken, ein Pastor lügt nicht, einem Pastor muss man gehorchen“, fürchtet Emmanuela Weißmann. Jahrelang habe man Mitglieder geworben, nun könne man dort keinen mehr hinschicken. Das Kontaktverbot deute auf „sektenhaftes Verhalten“. Die vier Dillinger haben zwar eine neue Freikirche gefunden. Dennoch ist der Schmerz groß. Emmanuela Weißmann sagt: „Es tut uns im Herzen weh, dass wir so über die Gemeinde reden müssen. Ich habe sie geliebt.“
Pastor Kißner aus Steinheim macht sich keine Sorgen um die Nachbargemeinde in Dillingen, sagt er. Regelmäßig trifft er sich mit seinem Kollegen von der Einsteinstraße 14. Mayr betont: „Zu unseren Gottesdiensten kommen sonntags rund 120 Leute. Die finden es toll.“Zehn Menschen wurden heuer bereits getauft.