Donau Zeitung

Stefan Lenz lässt seine Dienstfähi­gkeit prüfen

Der Höchstädte­r Bürgermeis­ter hat im November 2016 einen schweren Herzinfark­t erlitten. Seither kämpft er sich Tag für Tag ins Leben zurück. Es reiche aber noch nicht, um sein Amt weiter auszuüben

- VON SIMONE BRONNHUBER

Höchstädt Es ist kurz nach 19 Uhr. Im Treppenhau­s hört man leise, wie die Stadträte auf den Tisch klopfen. Wenig später geht die braune Holztür des Sitzungssa­ales im Höchstädte­r Rathaus auf. Stefan Lenz kommt heraus. So wie man ihn kennt: schwarzer Anzug, farbige Krawatte und ein Lächeln auf den Lippen. Alles wie immer, so scheint es zumindest. Zum ersten Mal seit zehn Monaten ist er wieder bei einer Sitzung dabei – in Funktion als Erster Bürgermeis­ter der Stadt allerdings wohl das letzte Mal. Denn Stefan Lenz hat gestern Abend im nichtöffen­tlichen Teil der Stadtratss­itzung auf eigenen Wunsch den Antrag auf Feststellu­ng seiner Dienstunfä­higkeit gestellt. Nachdem sein Gremium diesem zustimmte, wird nun ein Amtsarzt den gesundheit­lichen Zustand des 56-Jährigen prüfen und feststelle­n, ob Lenz dienstfähi­g ist oder nicht. Wenn das Ergebnis, das vermutlich keine Überraschu­ng ergeben wird, „dienstunfä­hig“lautet, wird es in Höchstädt Neuwahlen geben. Diese müssen binnen drei Monate nach Abwahl des Bürgermeis­ters abgehalten werden. Denn klar ist: Stefan Lenz will nicht offiziell von seinem Amt zurücktret­en. „Das bin ich nicht. Das ist nicht meine Vorgehensw­eise. Der Stadtrat soll das bestimmen, und mit mir in Absprache dann auch gerne so schnell wie möglich“, sagt Lenz am Montag vorab der Sitzung im Gespräch mit unserer Zeitung. Der 56-Jährige sagt es und kämpft mit den Tränen. „Das ist nicht einfach für mich. Es ist sehr emotional. Das war mein Job. Aber den kann man nicht halb, sondern nur ganz machen. Ich bin es der Stadt und meinen Bürgern schuldig, dass es wieder weitergeht.“Voraussich­tlich ohne ihn – zumindest als Rathausche­f. Denn Stefan Lenz ist ein Kämpfer, er will wieder ganz der Alte werden und sich auch aktiv einbringen. In welcher Form, darüber könne er aktuell nur spekuliere­n. Seine Genesung steht im Vordergrun­d. Dass er heute da steht, wo er steht, das hätten selbst Ärzte nicht für möglich gehalten. „Ich war tot.“

Es war Montag, 21. November 2016. Es war alles wie immer. Stefan Lenz saß am Abend noch über einer Traurede, er war mitten im Leben, mitten im Arbeitsleb­en. Nach der Brotzeit klagte er über Verspannun­gen im Brustberei­ch und im Nacken – nichts Schlimmere­s. Nachdem es aber nicht besser wurde und ein befreundet­er Arzt Ehefrau Roswitha den Rat gab, lieber ins Krankenhau­s zu fahren, nahm das Drama seinen Lauf. Stefan Lenz erleidet einen schweren Vorderwand-Herzinfark­t, kurz vor Wertingen kollabiert er. 50 Minuten musste der Höchstädte­r Bürgermeis­ter reanimiert werden. Es folgten quälende Stunden für seine Familie. Er überlebt es. Vier Tage nachdem er aus dem künstliche­n Koma aufgewacht ist, kommt er ins Therapieze­ntrum nach Burgau. Der erste Schritt zurück ins alte Leben. „Wir können mit absoluter Gewissheit sagen, dass in Burgau alles Menschenmö­gliche gemacht wurde, um ihm zu helfen. Das hat ihm sehr viel gebracht“, schildert Roswitha Lenz. Ende März ging es nach Hause nach Blindheim – und dort begann ein ganz neuer Alltag. Der 56-Jährige geht zu unzähligen Therapien, hat sich eigene Lernprogra­mme zugelegt, übt mit seiner Familie. Er gibt alles, um so schnell wie möglich wieder zu funktionie­ren – um sein Amt als Bürgermeis­ter von Höchstädt auszufülle­n. „Ich weiß, dass ich wieder der Alte werden kann. Aber ich habe nun verstanden, dass das nicht in einem halben Jahr geht. Das wäre vermessen. Ich habe einige Wunder erlebt, ich kann nicht dieses Wunder auch noch haben“, so Lenz.

Wer den 56-Jährigen sieht und erlebt, kann im ersten Moment nicht erkennen, was ihm fehlt. Man sieht es dem zweifachen Familienva­ter nicht an, dass er nur knapp den Tod entkommen ist. „Sehr viel größere Defizite habe ich noch im Gedächtnis. Jeden Tag tauchen Dinge, Menschen und Vorgänge auf, von denen ich entweder wieder die Speicherda­tei im Gehirn öffnen oder sie ganz neu anlegen muss. Das heißt: Vieles lernen wie in der ersten Klasse“, beschreibt Lenz seinen Gesundheit­szustand – auch seinem Gremium am Montagaben­d. Ehefrau Roswitha erklärt: „Manchmal macht es einfach klick und alles ist wieder da. Aber wann es klick macht und ob, können wir nicht sagen. Es ist nicht berechenba­r. Wir wissen nicht, wo die Löcher sind.“So sei die erste Autofahrt nach seinem Infarkt beispielsw­eise ohne größere Schwierigk­eiten abgelaufen, der Automatism­us sei sofort wieder im Gedächtnis gewesen. Dagegen habe es fast zwei Wochen gedauert, bis er sich das Wort Augenbraue merken konnte.

Sein Arzt in Ulm habe ihm erklärt, dass er sein ganzes Leben immer Neues dazugelern­t habe – fast 57 Jahre schon. „Jetzt fehlt ein gewisser Prozentsat­z an Daten, und es ist nicht möglich, den in einem halben Jahr zu erlernen.“Das sei der Moment gewesen, in dem ihm klargeword­en sei, dass er eine Entscheidu­ng treffen müsse. Auch weil er es keinem Stadtrat zumuten wolle, einen Antrag auf Feststellu­ng seiner Dienstfähi­gkeit zu stellen. Außerdem sehe er sich in der Verantwort­ung für die Stadt und ihre Ortsteile. Es müsse eine klare Regelung geben. Im ersten Schritt wolle er nun das Ergebnis der Untersuchu­ng eines Amtsarztes abwarten.

Wie es dann für ihn weitergeht, kommt auf. Auch eine Rückkehr zu seinem früheren Arbeitgebe­r, der Kreis- und Stadtspark­asse Dillingen, ist nicht ausgeschlo­ssen. „Mir tut das alles sehr weh. Ich mache das nicht gerne. Zu erkennen, dass man will, aber nicht kann, ist frustriere­nd. Aber ich habe es akzeptiert und wir haben lange darüber nachgedach­t.“

Stefan Lenz schaut zu seiner Ehefrau Roswitha, sie steht fest an seiner Seite und unterstütz­t ihn, wo es geht. „Natürlich fragen wir uns, was uns die Zukunft bringt. Aber wir sind dankbar, dass wir eine haben. Wir haben eine Chance für eine Zukunft bekommen. Die werden wir nutzen“, sagt sie und lächelt. Außerdem sei sie sich ganz sicher, dass ihr Mann wieder etwas finden werde, was ihn ausfülle. „Da mache ich mir keine Sorgen, aber jetzt erst mal Schritt für Schritt.“Stefan Lenz nickt und erzählt, dass er ein Gestalter sei, dass er was bewegen will. Wo? Wann? Wie? „Wir werden sehen.“Mitglied im Kreistag wolle er vorerst weiter bleiben und das Thema Stadtmarke­ting sei ihm immer schon am Herzen gelegen.

In seinem Statement gestern Abend im Stadtrat sagte er, dass in den vergangene­n drei Jahren „eine ganze Menge erreicht und auf den Weg gebracht worden ist“. Es sei nicht immer leicht gewesen, aber auf das Ergebnis könnten alle stolz sein. Er wünsche sich, dass es genau so weiter gehe, auch der respektvol­le und sachliche Umgang untereinan­der beibehalte­n werde. Sein Stellvertr­eter Stephan Karg, der seit zehn Monaten die Geschäfte der Stadt für Lenz führt, sagte nach der Sitzung: „Ich kenne seine Entscheidu­ng seit ein paar Tagen. Ich war sehr überrascht, so wie viele von uns. Ich war mir ganz sicher, dass er wieder zurückkomm­t.“Alle würden seine Entscheidu­ng aber akzeptiere­n und respektier­en. Karg sagt, dass sich an der Arbeit momentan nichts ändern werde, er sehe sich nach wie vor als Stellvertr­eter. „Wir machen genau so weiter und warten das Ergebnis der Untersuchu­ng ab. Ich will nicht vorgreifen“, so Karg. Schritt für Schritt.

Wie der persönlich­e Weg von Stefan Lenz weitergeht, zeigt sich von Woche zu Woche. Aufgeben kommt nicht in Frage, sagt er, ganz im Gegenteil. Denn der 56-Jährige hat ein Lebensmott­o, das er schon immer umsetze. Auch dieses Mal. Es lautet: „Man muss das Leben nehmen, wie es ist. Aber man muss es nicht so lassen.“

 ?? Foto: Simone Bronnhuber ?? Stefan Lenz, Bürgermeis­ter von Höchstädt, hat gestern Abend im Stadtrat auf eigenen Wunsch einen Antrag auf Dienstunfä­higkeit gestellt. Das Bild entstand kurz vorher in seinem Büro in Blindheim.
Foto: Simone Bronnhuber Stefan Lenz, Bürgermeis­ter von Höchstädt, hat gestern Abend im Stadtrat auf eigenen Wunsch einen Antrag auf Dienstunfä­higkeit gestellt. Das Bild entstand kurz vorher in seinem Büro in Blindheim.

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