Als es in Wertingen eklig wurde
2007 kommt die Zusamstadt plötzlich mit dem Gammelfleischskandal bundesweit in die Medien. Ein Unternehmer hatte über 100 Tonnen Schlachtabfälle weiterverkauft – ein couragierter Lkw-Fahrer beendet die Geschäfte
Wertingen Der Skandal, der Wertingen bundesweit in jede Nachrichtensendung und Zeitung bringen wird, beginnt mit einer schon fast lächerlich simplen Handlung. Vor zehn Jahren nimmt der Gammelfleischskandal mit dem Abreißen mehrerer kleiner Etiketten seinen Anfang. Der Lkw-Fahrer Miroslaw Strecker hat eine ganze Ladung Fleisch zu der Geratshofener Firma „Wertfleisch“gebracht. Er wurde dort bereits von dem Chef, einem Wertinger Fleischhändler, erwartet. Noch bevor die Ware – als „K3“klassifiziert und damit noch bestenfalls als Tierfutter verwendbar – abgeladen ist, geht der Firmenchef zu den Paletten und entfernt eilig die Aufkleber, auf denen steht „Nicht für den menschlichen Verzehr geeignet“.
So wird der „Whistleblower“Strecker, wie er von zahlreichen Medien wie dem Tagesspiegel, der
Zeit und Focus später genannt wird, vor Gericht über den Wertinger Metzger aussagen. „Das war ein sehr engagierter Mann, der sich bewusst war, was er da aufgedeckt hatte“, erinnert sich der damals vorsitzende Richter Wolfgang Natale im Gespräch mit unserer Zeitung.
Denn was der Wertinger Unternehmer – damals einschlägig vorbestraft wegen Subventionsbetrugs, Urkundenfälschung und Steuerhinterziehung – mit den Fleischabfällen tut, ist hochgradig kriminell: Er verkauft sie an diverse Geschäfte in ganz Deutschland. Als vollwertiges Fleisch, das zu Döner oder Wurst verarbeitet werden soll. Und wird.
Die Ermittlungen werden später ergeben, dass der Unternehmer und mehrere Mitwisser insgesamt mindestens 130 Tonnen Fleischabfälle durch die Republik geschickt haben. Einer der Abnehmer ist beispielsweise die Berliner Kette „Gold Döner“.
Miroslaw Strecker informiert nacheinander Polizei, Handwerkskammer und Gewerbeaufsicht. Kurz darauf folgt die Razzia.
Die Nachricht schlägt dann in der bundesweiten Medienlandschaft ein wie eine Bombe. Wertingen hat seine kurze Zeit der deutschlandweiten Bekanntheit, auch wenn es eine unschöne Bekanntheit ist. Der „Gammelfleischskandal“– wie er getauft wird, erhitzt in den folgenden Wochen und Monaten die Gemüter der Menschen. Die Wertinger Vorfälle sind die vorerst letzten in einer ganzen Reihe von Ekelfleischskandalen zwischen 2004 und 2007, mehrere davon spielten sich auch in Bayern ab.
Im Wertinger Rathaus gehen dann in diesen Tagen zahllose Anfragen ein, wie sich Hauptamtsleiter Günther Weiser erinnert: „Da war los.“Bürgermeister Willy Lehmeier stellt klar, dass alle Anfragen über seinen Tisch laufen sollen. Doch sagen können die Verwaltungsleute sowieso nicht viel. Der Sturm der Entrüstung prasselt auf sie ein – aber noch heftiger auf das Landratsamt. Denn die Kontrolleure des dort ansässigen Veterinäramtes müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, bei „Wertfleisch“nicht bemerkt zu haben, dass die verkaufte Ware ganz im Gegensatz zum Firmennamen gestanden hatte.
Doch diese Vorwürfe wollen Landrat Leo Schrell und seine zuständigen Mitarbeiter nicht so einfach auf sich sitzen lassen. Auf die zahlreichen Vorwürfe, die Kontrollen des Veterinäramtes seien zu lasch ausgefallen, reagieren sie mit einem selbstbewussten Statement. Die Kontrollen seien sehr gewissenhaft durchgeführt worden – doch mit stichprobenhaften Kontrollen sei kriminellen Handlungen nicht beizukommen.
Deshalb schlägt Schrell vor, dass die K3-Abfälle eine spezielle Kennzeichnung erfahren sollten, möglicherweise mit Lebensmittelfarbe. Dieser Vorschlag findet allerdings im Bund keine Zustimmung.
Nach seiner Verhaftung ist der Wertinger Geschäftsmann geständig. Er schildert den Ermittlern umfangreich, wie er mit seinen Mitwissern das Fleisch in ganz Europa vertrieb. An über 100 Privatkunden aus dem Ausland hat er laut Erkenntnissen der Ermittler die Ekelware verkauft, vor allem aber an Dönerbuden in Norddeutschland.
Was der Wertinger da verkauft, sind Schlachtabfälle. Rindergedärme zum Beispiel, und allerlei Vergammeltes, was in verschiedenen Schlachthöfen übrig blieb. Der Metzger ist bestens mit kriminellen Zulieferern vernetzt.
Als dann schließlich die Polizei die Firma durchsucht und ihn festnimmt, ist er bereit, vollständig „auszupacken“. Auch das ist Richter Wolfgang Natale im Gedächtnis geblieben: „Nicht jeder, dem das Gefängnis droht, zeigt sich gleich so aussagewillig.“Der Wertinger Unternehmer bezeichnet die ganze Sache als „riesige Dummheit“seinerseits.
Nimmt man ihn beim Wort, hat er dann mehr Glück als Verstand. Denn seine Vorstrafen verjähren kurz vor der Verurteilung. Diese zieht sich ganze vier Jahre hin – trotz Geständnis. Im Gerichtssaal ist dann von Richterseite von „Ermittlungsdefiziten“die Rede. Heute kann sich Natale nicht mehr ereiniges innern, was genau er damit gemeint hat. Der ganze Fall sei ihm nicht besonders im Gedächtnis geblieben. Den Hauptgrund für die enorme Verzögerung des Verfahrens kennt er allerdings gut: Die zuständige Kammer am Augsburger Landgericht war laut Natale zu dieser Zeit heillos überlastet. Der Wertinger Unternehmer wird im August 2011 zu 21 Monaten Haft verurteilt.
Der Prozess lässt zwar noch einmal kurz das Interesse der landesweiten Medien an der Zusamstadt aufflackern, doch kein Vergleich zu den da schon vier Jahre zurückliegenden Ereignissen. Günther Weiser sagt: „Erst haben sich die Ereignisse überschlagen, dann ist das Interesse schnell praktisch erloschen.“
Der Stadt ist allerdings bis heute eine sichtbare Narbe geblieben. Der Industriebau, in dem die Wertfleisch GmbH ihren Sitz hatte, steht immer noch an prominenter Stelle im Geratshofener Industriegebiet. Der Zaun ist zu einem großen Teil mit ungepflegten Bäumen umgeben, auch auf dem Gelände selbst wuchern Pflanzen. Die Stadtverwaltung sähe es gern, wenn sich an der Hettlinger Straße 1 wieder Gewerbe ansiedeln würde. Doch das skandalträchtige Gelände hat bislang keinen neuen Nutzen gefunden. Gras wächst nicht nur sprichwörtlich über die Sache.
Dillinger Landratsamt wird stark kritisiert