Als der Duft der Freiheit lockte
1989 hatte der Dresdener Thomas Mai von der DDR genug. Seit 26 Jahren lebt er mit seiner Frau Astrid in Gundelfingen. Wie das Ehepaar die Deutsche Einheit sieht
Gundelfingen Für Thomas und Astrid Mai ist der Tag der Deutschen Einheit, der am Dienstag gefeiert wird, kein beliebiges Datum. Am 3. Oktober kommen bei den Gundelfingern, die aus Dresden stammen, regelmäßig Erinnerungen an ihre Kindheit und Jugend in der ehemaligen DDR hoch. Der drängende Wunsch, „Freiheit zu erleben“, hatte schließlich zu der entscheidenden Wende in Thomas Mais Leben geführt.
Doch bis zum Erwachen dieses Traums sei ihre Kindheit in der DDR völlig unbeschwert gewesen, erzählt Thomas Mai, der mit seiner Frau Astrid seit mittlerweile 26 Jahren in Gundelfingen lebt. Erst mit dem unfreiwilligen Eintritt in die Jugendorganisation FDJ habe für sie „das Unwohlsein in diesem Staat“begonnen, erinnert sich Astrid Mai. Zwar hätten sie, wie die meisten Menschen in der DDR, „diese staatliche Überwachungsmaschinerie verdrängt“. Doch irgendwie habe immer ein Gefühl der Unsicherheit und Unfreiheit bestanden.
Thomas Mai hatte bei der Deuteschen Reichsbahn eine Ausbildung im Bereich Mess- und Regeltechnik absolviert, seine Frau Astrid wurde Krankenschwester.
Die beiden trafen sich erst- bei Freunden und beteiligten sich an stillen Protesten in einer evangelischen Kirche in Dresden. „Auch wir waren für politische und gesellschaftliche Veränderungen in der DDR“, sagt Astrid Mai. Doch an einen Fall der Mauer und die Wiedervereinigung habe niemand gedacht. Viele Menschen hätten das Gefühl gehabt, dass es so nicht mehr weitergehen konnte.
Thomas Mai beschreibt die Sehnsucht nach Freiheit, die bis 1989 für DDR-Bürger am Eisernen Vorhang endete: „Wir wollten endlich die Freiheit, nach der die vielen Pakete aus Westdeutschland gerochen haben, denn die Luft in der DDR war nicht mehr zu ertragen.“Es sei ihnen dabei „weiß Gott nicht um Wohlstand gegangen“, sagt das Ehepaar, denn auch in der dahinsiechenden Planwirtschaft der Volksrepublik habe niemand Hunger leiden müssen. Außerdem hatten die beiden Dresdener, unabhängig voneinander viele Freunde, mit denen sie sich häufig trafen, denn die wenigsten Menschen in der DDR verfügten über ein Telefon.
Anfang 1989 fasste Thomas Mai den Entschluss, aus der DDR zu flüchten. Im August setzte er sich in den Zug von Dresden nach Budapest. „Ich nutzte die ungarische Grenzöffnung nach Österreich und kam im September in die Bundesrepublik.“Über Passau reiste der 52-Jährige nach Augsburg. Von dort wurde er mit einem Bus in das ihm unbekannte Dillingen gebracht. Seine erste Unterkunft in der neuen Heimat war erst einmal das frühere Oblatenkonvikt. Die Liebe zum schwäbischen Donautal flammte nicht sofort auf. „Das Einzige, was mir hier gefallen hat, war die Nähe zu den Bergen, da ich sehr gerne zum Bergwandern gehe“, erzählt Thomas Mai. Anfangs habe er seine Eltern sehr vermisst. Die hätten jedoch für seine Flucht aus der DDR Verständnis gehabt. Als am 9. November 1989 die Mauer fiel, konnten die heutigen Gundelfinger dies gar nicht glauben. „Wir staunten ungläubig“, erinnert sich Thomas Mai. Er im Westen, sie im Osten. Die Bilanz der Deutschen Einheit fällt bei den beiden Gärtnerstädtern positiv aus. Trotz vieler wirtschaftlicher Probleme habe sich in den neuen Bundesländern alles so entwickelt, dass der 3. Oktober ein Grund zum Feiern sei.
Richtig kennengelernt haben sich Thomas und Astrid Mai erst nach dem Mauerfall. Der Neu-Gundelfinger, der damals schon bei der Firmals ma Gartner arbeitete, besuchte gemeinsame Freunde in Dresden und verliebte sich in seine Frau. „Astrid kam dann im Jahr 1991 nach Gundelfingen und wir haben 1994 hier geheiratet“, berichtet Mai. Die Bilanz der beiden fällt positiv aus. Astrid Mai arbeitete als Krankenschwester bis zur Geburt ihrer beiden Kinder im damaligen Lauinger Krankenhaus, nach einer weiteren Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin ist sie nun seit neun Jahren in der Elisabethenstiftung in Lauingen tätig. Elektrotechniker Mai ist nach wie vor bei Gartner beschäftigt.
Der Start in Schwaben sei damals schwierig gewesen. „Es war eine große Umstellung für uns, denn besonders mit dem schwäbischen Dialekt hatten wir zunächst unsere Schwierigkeiten“, erinnert sich Astrid Mai. Mit der Geburt ihrer Kinder sei die Zahl der Kontakte gewachsen. Das Ehepaar verfügt inzwischen über einen großen Bekanntenund Freundeskreis in der Region. Dass sie in Freiheit leben können, genießen die beiden heute noch, wie den damaligen Duft der Freiheit bei den Westpaketen. Was sie aus der DDR vermissen? „Eigentlich nichts“, sagt Thomas Mai. Den geliebten Bautzener Senf und andere einstige DDR-Lebensmittel gebe es auch hier. Die Mieten seien niedriger gewesen, sagt Astrid Mai. „Doch dem gegenüber standen die dreckige Luft, die verfallenen Häuser, die Mangelwirtschaft und die Unfreiheit.“Tauschen mit den Verhältnissen von damals wollen die Gundelfinger jedenfalls nicht.