Ziertheim hat keinen Bankberater mehr
Filialleiter Michael Sing von der Raiffeisenbank Wittislingen geht nach 46 Jahren in Rente. Einen Nachfolger gibt es nicht. Was bleibt, ist der Automat
Ziertheim Als Michael Sing seinen letzten Arbeitstag in der Ziertheimer Raiffeisenbankfiliale antritt, steht ein Kombi mit Anhänger auf dem Hof. Anwohner bauen ein Gerüst. Eines, auf dem eine große blaue Plane gespannt ist. Seit 1980 arbeitete Sing an dem Standort. Bis vergangenen Donnerstag. Der 63-Jährige geht in Rente. Sein Büro bleibt leer. Denn einen Nachfolger wird es nicht geben.
„Als ich den Wagen und das Gerüst am Gebäude gesehen habe, dachte ich, es geht um eine Straßensperrung“, sagt der 63-Jährige. Nun weiß er: „Ziertheim sagt Danke“, steht auf der Plane geschrieben. „Das geht einem schon nahe“, sagt Sing. 46 Jahre lang hat er bei der Raiffeisenbank Wittislingen gearbeitet. In Ziertheim seit 1980. „Seit der Einweihung.“Nun ist Schluss. Der Filialleiter freut sich. Darauf, endlich wieder mehr Rad zu fahren, nicht jeden Tag einen Anzug tragen zu müssen und vor allem darauf, den Wecker auszulassen. „Endlich nicht mehr um 6.15 Uhr aufstehen.“Der 63-Jährige will sich künftig mehr Zeit lassen beim Frühstücken und nicht jeden Tag zum Rasierer greifen.
Hinter der Glaswand hatte der Mann aus Finningen sein Büro. In Ziertheim hat er immer alleine gearbeitet.
„Aus Sicht des Bankers muss ich sagen: Dass jemand hier vor Ort ist, rechnet sich nicht mehr.“Michael Sing
Am Ende nur noch zwei Mal die Woche. „Es hat sich einfach nicht mehr rentiert.“Zu wenig Kunden suchten die Filiale auf. Das seien die Entwicklungen, sagt Sing. Als 2013 der Bankautomat kam, reduzierte sich die Kundschaft noch mal drastisch. Doch – obwohl weniger Menschen zu ihm an den Schalter oder ins Büro kamen – Arbeit habe es immer genug gegeben. „Das sehen viele Leute nicht, was im Hintergrund alles zu tun ist.“
Ihm gefiel die Arbeit in dem kleinen Dorf. „Von Auszug ablegen bis zur Anlagenberatung – hier habe ich alles gemacht.“Die Geschäfte schrumpfen immer mehr. Gerade im Bankwesen. Vor vier Jahren schloss schon die Sparkasse im Ort. „Alle müssen sparen“, sagt Spring. Dass die Ziertheimer Filiale jeden Tag geöffnet war, ist zehn Jahre her. Nach und nach wurde es weniger. Erst teilte er sich seine Arbeitswoche mit der Filiale in Mödingen auf. Am Ende waren es noch acht Stunden die Woche, verteilt auf zwei Tage, die er in der knapp 1000-Einwohner-großen Gemeinde verbrachte. In der restlichen Zeit arbeitet er am Standort in Wittislingen. Sobald Sing die Türen zu seinem schließt, bleiben sie zu. Nur den Automaten, den wird es weiterhin geben.
Wenn er sich in die Kunden versetzt, findet Sing die Entwicklung nicht gut. Für die Menschen sei es schön, vor Ort einen Ansprechpartner zu haben. „Doch aus Sicht des Bankers muss ich sagen: Dass jemand hier vor Ort ist, rechnet sich nicht mehr.“
„Alles Gute wünsche ich Ihnen“, sagt ein Kunde beim Verlassen der Filiale. Auf dem Tisch des Bankers stehen Blumen, Wein und ein eingepacktes Geschenk. Eigentlich dürfe er nichts annehmen. So sind die Regeln. Doch an seinem letzten Tag macht er eine Ausnahme. „Das nehme ich mit“, sagt er und lächelt. Es ist noch früh am Tag. „Da kommt bestimmt noch was“, ist sich Sing sicher. Vielen Ziertheimern gefällt es nicht, dass künftig keiner mehr vor Ort ist, um die Bürger zu betreuen. „Es gibt schon welche, die reinkommen und sich beschweren.“Nur könne er nichts ändern an der Situation. Sing erklärt, das Kundenverhalten sei ein anderes als noch vor einigen Jahren. Viele würden das Online-Banking verwenden. Die persönliche Beratung werde weniBüro ger genutzt. „Die Gemeinde und unser Ort sind ärmer geworden“sagt Eugen Zacher aus Ziertheim. Die Menschen aus dem Ort hätten die hilfsbereite und zuvorkommende Art des Filialleiters immer geschätzt.
Aus den Schubladen und Regalen hat der 63-Jährige schon alles ausgeräumt. Mitnehmen will er nichts außer eine alte Spardose. Eine aus Eisen, mit einem großen Henkel dran. „Das ist eine Rarität. Raiffeisenkasse steht noch darauf“, erzählt der Finninger. „Als Kind bin ich mit einer solchen Spardose immer zur Bank gelaufen“, erinnert er sich. Deshalb nimmt der 63-Jährige die Dose mit, als Andenken an die vergangenen Jahrzehnte.
Es gibt schon welche, die reinkommen und sich beschweren.“
Michael Sing