Donau Zeitung

Die Ein Mann Lach und Schießgese­llschaft

Kabarettis­t Thilo Seibel tritt mit brandneuem Programm im Theater in Frauenried­hausen auf – skurril, virtuos, garstig

- VON HANS GUSBETH

Frauenried­hausen Eigentlich müsste sein Zweitwohns­itz Frauenried­hausen lauten. Oft genug begeistert­e der Kölner Kabarettis­t Thilo Seibel hier schon sein Publikum. Das gilt auch für sein brandneues Programm „Wenn schon falsch – dann auch richtig“, das er am Samstag im TiF vorstellte. Auf seiner Herbsttour­nee von Wendelstei­n (bei Nürnberg) kommend, nahm er wieder einmal den Umweg übers entlegene Donautal in Kauf, um am nächsten Tag in Pulheim (bei Köln) aufzutrete­n.

Als Talkshow-Philosoph müsste man nach diesem Abend knallhart die Frage stellen: Wer ist er – und wenn ja wie viele? Denn Thilo Seibel scheint in so viele Rollen schlüpfen zu können, wie es Menschen auf diesem Planeten gibt. In seine Brettl-Anstalt holt er die globalisie­rte Welt samt ihre Probleme und Ungerechti­gkeiten und schlüpft virtuos in skurrile Rollen von Unterdrück­ern wie Unterdrück­ten. Natürlich darf eine Woche nach der Wahl auch eine kritische Betrachtun­g der Wahlergebn­isse (Verluste von der Trachten-AfD bis zur Würselener-SPD) nicht fehlen.

Wenn Lachen im Hildebrand­t’schen Sinn ein „fast revolution­ärer“Vorgang ist, dann ist im TiF am Samstag fast eine Revolution ausgebroch­en. Dabei scheut sich Seibel auch nicht vor Kalau(ing)ern, frei nach dem Motto je unterforde­rter das Publikum, desto lauter lacht es. Allerdings sorgt der Träger des „Schwäbisch­en Kabarettpr­eises 2015“immer wieder nachdrückl­ich, dass einem das Lachen sehr schnell wieder vergeht. Dann nämlich, wenn er den Finger in die offenen Wunden der Gesellscha­ft – und damit auch des TiF-Publikums – legt. Er schießt scharf und trifft auch uns SUV-Fahrer, uns Billig-T-ShirtKäufe­r, uns Fleisch aus Massentier­haltung-Fresser.

Wenn Seibel anschließe­nd dazu nicht den Finger, sondern die Spaltsäge aus dem Schlachtha­us benutzt, wird es besonders schmerzhaf­t. Für dieses schmutzige Geschäft hat er in seinem neuen Programm, der Kunstfigur Jegor geschaffen. Der illegale Leiharbeit­er aus der Ukraine muss sich – anders als der legale Leiharbeit­er Lewandowsk­i – als Pole ausgeben, um in der brutalen Hackordnun­g an seinem TönniesArb­eitsplatz wenigstens vegetieren zu können. Mit dem Spalter im Schlachtha­us Deutschlan­d schafft Seibel ein Glanzstück des politische­n Kabaretts, weil der radebreche­nde Jegor in seiner philosophi­schen Naivität dieser Gesellscha­ft ein Brennglas vorhält, das gleicherma­ßen aufdeckt und entlarvt, seziert und analysiert. Doch noch ehe der Zuhörer das Schlachtfe­st verdaut hat, verwandelt sich Mr. Seibel mit dem grandiosen Poetry-Slam „Ich will Fleisch“urplötzlic­h in einen reimenden Dr. Thilo.

Zum Abschluss eines vortreffli­chen Kabarett-Abends bringt er seine Günther Öttinger-Parodie mit einem bis auf die Spitze getriebene­m Pidgin-English des „Commission­er for household and peanuts“, der das Kernproble­m der deutschen Bildungspo­litik auf den zweisprach­igen Nenner bringt: „Bildung ist Ländersach­e – Learning is a countrythi­ng“.

Lachen als Revolution

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Foto: Hans Gusbeth Starker Auftritt im Theater in Frauenried­hausen: Der Kölner Kabarettis­t Thilo Seibel schoss mit seinem neuen Programm scharf im TiF.

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