Die Ein Mann Lach und Schießgesellschaft
Kabarettist Thilo Seibel tritt mit brandneuem Programm im Theater in Frauenriedhausen auf – skurril, virtuos, garstig
Frauenriedhausen Eigentlich müsste sein Zweitwohnsitz Frauenriedhausen lauten. Oft genug begeisterte der Kölner Kabarettist Thilo Seibel hier schon sein Publikum. Das gilt auch für sein brandneues Programm „Wenn schon falsch – dann auch richtig“, das er am Samstag im TiF vorstellte. Auf seiner Herbsttournee von Wendelstein (bei Nürnberg) kommend, nahm er wieder einmal den Umweg übers entlegene Donautal in Kauf, um am nächsten Tag in Pulheim (bei Köln) aufzutreten.
Als Talkshow-Philosoph müsste man nach diesem Abend knallhart die Frage stellen: Wer ist er – und wenn ja wie viele? Denn Thilo Seibel scheint in so viele Rollen schlüpfen zu können, wie es Menschen auf diesem Planeten gibt. In seine Brettl-Anstalt holt er die globalisierte Welt samt ihre Probleme und Ungerechtigkeiten und schlüpft virtuos in skurrile Rollen von Unterdrückern wie Unterdrückten. Natürlich darf eine Woche nach der Wahl auch eine kritische Betrachtung der Wahlergebnisse (Verluste von der Trachten-AfD bis zur Würselener-SPD) nicht fehlen.
Wenn Lachen im Hildebrandt’schen Sinn ein „fast revolutionärer“Vorgang ist, dann ist im TiF am Samstag fast eine Revolution ausgebrochen. Dabei scheut sich Seibel auch nicht vor Kalau(ing)ern, frei nach dem Motto je unterforderter das Publikum, desto lauter lacht es. Allerdings sorgt der Träger des „Schwäbischen Kabarettpreises 2015“immer wieder nachdrücklich, dass einem das Lachen sehr schnell wieder vergeht. Dann nämlich, wenn er den Finger in die offenen Wunden der Gesellschaft – und damit auch des TiF-Publikums – legt. Er schießt scharf und trifft auch uns SUV-Fahrer, uns Billig-T-ShirtKäufer, uns Fleisch aus Massentierhaltung-Fresser.
Wenn Seibel anschließend dazu nicht den Finger, sondern die Spaltsäge aus dem Schlachthaus benutzt, wird es besonders schmerzhaft. Für dieses schmutzige Geschäft hat er in seinem neuen Programm, der Kunstfigur Jegor geschaffen. Der illegale Leiharbeiter aus der Ukraine muss sich – anders als der legale Leiharbeiter Lewandowski – als Pole ausgeben, um in der brutalen Hackordnung an seinem TönniesArbeitsplatz wenigstens vegetieren zu können. Mit dem Spalter im Schlachthaus Deutschland schafft Seibel ein Glanzstück des politischen Kabaretts, weil der radebrechende Jegor in seiner philosophischen Naivität dieser Gesellschaft ein Brennglas vorhält, das gleichermaßen aufdeckt und entlarvt, seziert und analysiert. Doch noch ehe der Zuhörer das Schlachtfest verdaut hat, verwandelt sich Mr. Seibel mit dem grandiosen Poetry-Slam „Ich will Fleisch“urplötzlich in einen reimenden Dr. Thilo.
Zum Abschluss eines vortrefflichen Kabarett-Abends bringt er seine Günther Öttinger-Parodie mit einem bis auf die Spitze getriebenem Pidgin-English des „Commissioner for household and peanuts“, der das Kernproblem der deutschen Bildungspolitik auf den zweisprachigen Nenner bringt: „Bildung ist Ländersache – Learning is a countrything“.
Lachen als Revolution