Die Schöne ist das Biest
Irene Dische „Schwarz und Weiß“, stark überzeichnet
Schwarz und Weiß.“Wer diesen Titel liest, weiß, womit er nicht rechnen muss: Zwischentöne. Alltägliches Grau zum Beispiel. Das gibt es nicht im Leben von Duke und Lili Butler, für einige Jahre eines der It-Pärchen New Yorks. Sie schwarze Seele, er reines Herz. Die erste Zuordnung aber ist diese: Er schwarz, sie weiß, beide von hinreißender Schönheit, zieren sie das Cover der Vogue. Wenn der Roman von Irene Dische einsetzt, liegt das Heft nicht einmal mehr im Altpapier. Duke Butler tot, hingerichtet auf dem elektrischen Stuhl, seine Frau Lili lümmelt fett geworden gemeinsam mit dem Vater wieder auf dem Sofa im Apartment in der Upper West Side.
Die amerikanische Schriftstellerin mit Wohnsitz in Berlin hat spätestens seit ihrem wunderbar komischen Roman „Großmama packt aus“eine treue Fangemeinde in Deutschland, die sie zuletzt aber warten ließ: Vor acht Jahren erschien ihr letzter Roman, „Clarissas empfindsame Reise“. Eine der beiden Protagonisten ihres neuen Romans, angekündigt schon vor zwei Jahren unter dem Titel „Amerikanische Hochzeit“, könnte eine Schwester jener Clarissa sein, nur noch schöner, noch egozentrischer. „Ich sehe aus wie die Mutter Gottes“, verkündet Lili: „Nur mit dem Unterschied, dass sie auf den meisten Bildern ganz belanglos aussieht. Hohl.“Nicht aber dieses Starmodel, als Tochter eines berühmten Intellektuellenpaares gesegnet ja auch noch mit höchstem IQ und einem Abschluss in Harvard! An elterlicher Fürsorge aber hat es gemangelt. Die Liebe bringt erst ein Mann ins Leben, der nette Duke, ein ungebildeter, mittelloser Soldat aus dem tiefen Süden, der durch Zufall in ihr Leben stolpert. Die New Yorker Gesellschaft nimmt diesen drolligen Kaspar Hauser mit wohlwollender Neugierde auf, gibt ihm die passenden Kleider, maßgeschneiderter Anzug statt schmucker Uniform, ein Weinhändler formt ihn zum gefragten Experten, den Rest erledigt Lili, adelt ihn vor ihren Eltern und Bekannten als einen Nachfahren Jeffersons. Die Haustiere blieben Lili nie lange, warum, erfährt der Leser später: Die Schöne ist ein Biest. Duke Butler aber, dessen Karriere der seiner Frau bald in nichts mehr nachsteht, ist dieser New Yorker Prinzessin ergeben, selbst als sie ihm ein Auge aussticht. Aus Versehen natürlich. Mit der Hummergabel. „Du erkennst das Böse nicht“, hatte sie ihn immerhin noch gewarnt.
Dische erzählt diese Story rasant, zugespitzt bis zur Satire. Und auch wer immer den Weg der beiden kreuzt, ist alles, nur nicht gewöhnlich: eine Type zumindest. Das ist die Machart dieses Romans, über knapp 500 Seiten aber trägt sie nicht. Dische zeigt sich auch diesmal als präzise Beobachterin und zugleich als Erzählerin mit großem Witz, aber sie sitzt einem Konstruktionsfehler auf. Zu viel Kontrast, zu wenig Grautöne! Die besten Passagen sind jene, in denen sie mit bissiger Schärfe die amerikanische Gesellschaft in ihrer Zerrissenheit porträtiert, die New Yorker Upper Class und – quasi im Gegenschnitt – das Prekariat „weit unten“im Südstaatenkaff Versailles. Dorthin, wohin es die Butlers nach ihrem Fall verschlägt und „Schwarz und Weiß“nicht als beliebte Farbkombination gilt! So liest man diesen überzeichneten Roman, in dem von einer Liebe erzählt werden soll, „die verheerende Zerstörung in Kauf nimmt und doch alles zu verzeihen scheint“(Verlagsankündigung), seltsam ungerührt. Dische lässt zwar Menschen zusammentreffen, nie aber zusammenfinden. Nach einer Abtreibung, zu der sie ihr Mann genötigt hat, muss Lili, alleingelassen in ihrem Schmerz, laut schluchzen: „Jetzt weiß ich, wie sich der Holocaust anfühlt.“