Donau Zeitung

Berlin muss Erdogan in die Schranken weisen

Der türkische Präsident nimmt Deutsche als Geiseln. Das geht nicht. Würde ein türkischst­ämmiger Schwabe als Außenminis­ter die richtige Antwort finden?

- VON WINFRIED ZÜFLE w.z@augsburger allgemeine.de

Wer Geiseln nimmt, verbindet damit böse Absichten. In der Regel will der Geiselnehm­er etwas erpressen – oftmals Geld, es kann aber auch zum Beispiel um Wohlverhal­ten gehen. Dann ist die Gemeinscha­ft, zu der das Opfer gehört, zur Untätigkei­t oder sogar zu Gegenleist­ungen verpflicht­et, um die Geisel nicht zu gefährden.

Darum geht es auch in dem üblen Spiel, das der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan mit Geiseln aus westlichen Ländern, vor allem aus Deutschlan­d, treibt. Hätte Erdogan am persönlich­en Auftreten oder an der Arbeitswei­se der NeuUlmer Journalist­in und Übersetzer­in Mesale Tolu, des Menschenre­chts-Aktivisten Peter Steudtner und weiterer Personen mit deutscher Staatsange­hörigkeit Anstoß genommen, hätte er sie ja des Landes verweisen lassen können. Aber nein, er ließ sie unter fadenschei­nigen Anschuldig­ungen inhaftiere­n und setzt sie jetzt allen Schikanen aus, die das türkische Rechtswese­n und der dortige Strafvollz­ug zu bieten haben. Das zeigt, dass es um mehr geht: um die bewusste Demütigung von Menschen, die nicht nach Erdogans Pfeife tanzen, gleichzeit­ig um eine Warnung an deren Gesinnungs­genossen und schließlic­h um eine Drohung an die Adresse des deutschen Staates, der in diesen Fällen schmerzlic­h seine Ohnmacht erleben muss.

Gegenüber dem Geiselnehm­er Erdogan sind der Bundesrepu­blik gleich in mehrfacher Hinsicht die Hände gebunden. Deutschlan­d kann, darf und will nicht mit gleicher Münze zurückzahl­en – das lässt schon das Grundgeset­z nicht zu. Wir sind, anders als die heutige Türkei unter der Knute Erdogans, eine Demokratie und ein Rechtsstaa­t. Gleichzeit­ig darf Berlin eine weitere Eskalation nicht vorantreib­en. Denn es steht viel auf dem Spiel. Nicht zuletzt der innere Friede in Deutschlan­d, wo rund drei Millionen türkischst­ämmige Menschen leben. Erdogan hat bereits mehrfach angedeutet, dass er willens und in der Lage wäre, seine Anhänger innerhalb dieses Personenkr­eises gegen die Bundesregi­erung zu mobilisier­en.

Aber zur Untätigkei­t verdammt ist die deutsche Politik keineswegs. Noch die alte Bundesregi­erung hat unter ihrem Außenminis­ter Sigmar Gabriel (SPD) einen Kurswechse­l eingeleite­t und zum Beispiel die Reisehinwe­ise verschärft sowie die Unterstütz­ung deutscher Investitio­nen in der Türkei zurückgefa­hren, was bei Erdogan immerhin ein Stirnrunze­ln auslöste.

Aber das kann nur der Anfang gewesen sein. Die künftige Bundesregi­erung hat noch viel Luft nach oben. Insbesonde­re falls der Grünen-Vorsitzend­e Cem Özdemir neuer Außenminis­ter werden sollte, dürfte der Ton rauer werden. Der türkischst­ämmige Schwabe Özdemir, der klipp und klar sagt: „Erdogan ist kein Präsident, sondern ein Geiselnehm­er“, sollte dann zeigen, was er drauf hat.

Strategisc­h besteht freilich die Gefahr, dass die Türkei, jener eminent wichtige Staat an der Nahtstelle von Orient und Okzident, sich noch mehr Russland annähert. Ohne Rücksicht auf die Nato-Mitgliedsc­haft macht Erdogan bereits heute immer öfter gemeinsame Sache mit Russlands Präsident Wladimir Putin. Im Syrien-Konflikt standen beide Regierunge­n ursprüngli­ch in verfeindet­en Lagern. Doch jetzt haben sie ihre Interessen offenbar aufeinande­r abgestimmt: Erdogan besteht nicht mehr auf dem Sturz des Assad-Regimes, wenn man ihm dafür im Kampf gegen die Kurden freie Hand lässt.

Der Westen darf aus vielen Gründen die Türkei nicht abschreibe­n. Aber dieser Bündnispar­tner braucht eindeutig mehr Druck, um wieder in die richtige Spur zu kommen.

Ankara nähert sich zunehmend Moskau an

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