…und Michel Houellebecq braucht eine größere Bühne
Der Pavillon des Gastlands Frankreich ist bescheiden. Umso beeindruckender ist dafür die Promi-Dichte
Eitelkeiten werden hier nicht gepflegt. Das verbietet schon die Einrichtung: hohe Holzregale, naturbelassen, gefüllt fast nur mit Büchern. Der Ehrengast-Pavillon auf der Frankfurter Buchmesse besitzt 2017 den Charme des Selbstzusammengeschraubten; er erinnert mehr an Studentenbude als an Élysée-Palast-Pracht. Bescheidenheit als Programm. „Wir wollten einen sehr gemütlichen Stand“, sagt Ruedi Baur, der die Ausstellung zusammen mit Studenten aus Saint-Étienne konzipierte. Die hatten den Wettbewerb für die Buchmesse gewonnen mit einer Idee von Baugerüsten aus Stahl. Nun ist Holz daraus geworden; dass hier gerade an irgendetwas gebaut wird, versteht der Besucher auch so: an der Beziehung natürlich. Nicht an der zwischen Frankreich und Deutschland – ganz ohne nationales Gedöns kommen die Ehrengäste in diesem Jahr –, sondern an der zwischen Lesern und französischer Sprache. Die steht im Mittelpunkt des Pavillons, oder wie es Ruedi Baur liebevoller sagt: „im Herzen“. Und weil Sprache, wie es der französische Philosoph Jacques Derrida einst formulierte, niemandem gehört, schon gar nicht einem Land, hat der Ehrengast die Einladung erweitert: auf alle französischsprachigen Schriftsteller. „Francfort en français“heißt nun das Motto des Auftritts. La Grande Nation beherrscht auch die große Geste.
Und nebenher auch den großen Auftritt: Beginnend mit Emmanuel Macron, dem Staatspräsidenten, der in seiner Eröffnungsansprache mehr Schriftsteller zitierte als alle anderen Redner zusammen, gefolgt von mehr als 180 Autoren – so viel, wie vielleicht noch nie ein Gastland nach Frankfurt mitgebracht hat. Und nicht minder beeindruckend die Zahl der zur Buchmesse erschienenen, ins Deutsche übersetzten Werke: mehr als 1200.
Sich einen Überblick zu verschaffen, ist daher ein sinnloses Unterfangen. Selbst wenn man sich die gesamte Messe lang im Pavillon einschließen würde. Was man aber machen kann: Sich in dieser Bibliothek niederlassen, blättern, die große Welt des zeitgenössischen französischsprachigen Comics entdecken, sich ein französisches Gedicht von Rilke in verschiedenen Interpretationen anhören und am Rand von „La grande Bühne“erstaunt zusehen, wer da alles spricht, liest und vorbeizieht. Édouard Louis zum Beispiel aus der jungen Garde der französischen Literatur, der mit zwei autobiografischen Büchern von einem bildungsfernen Milieu erzählt, das sich in der Literatur, wie er sagt, kaum wiederfindet und für das die Welt der Bücher verschlossen bleibt. „Ich schreibe gegen die Unsichtbarkeit dieser Menschen an.“Gefolgt später von der FrankoMarrokanerin Leïla Slimani, die 2016 mit ihrem Roman „Dann schlaf auch du“über eine kindsmordende Nanny den Prix Goncourt gewann. Sie erzählt davon, was so ein Preis macht. Sichtbar nämlich. In ganz Europa. „Die polnischen Leserinnen zum Beispiel sind ganz erstaunt über die Kinderbetreuung in Frankreich …“
Und wieder später defiliert Amélie Nothomb vorbei, belgische Bestsellerautorin, fein in Schwarz mit riesigem Hut. Sie druckt an der nachgebauten Gutenberg-Presse so wie alle Autoren die letzte Seite ihres Buches eigenhändig … Darin geht es nun um ein anderes Milieu: Die Tochter eines Grafen bittet ihren Vater, sie beim nächsten Fest bitte zu erschießen… Und Michel Houellebecq? Der große Star braucht eine größere Bühne! Abends nämlich im Schauspielhaus, wo er beim einzigen Auftritt vor 800 Zuschauern unter anderem erklärt, wie es mit Frankreich unter Macron nun vielleicht weitergeht. Man werde wieder das arrogante Volk von früher… Na denn.
Zwischen den Holzgerüsten im Pavillon aber gibt man sich uneitel. Verbannt auch Helden. 40000 Bücher sind dort ausgestellt, der Gallier Asterix muss draußen bleiben. In Überlebensgröße steht er zwischen den Messehallen. Zu aufgeblasen!