Große Geschichte im kleinen Ort
Michael Jerszynski stellt eine Video-Chronik über Veitriedhausen vor. Sie zeigt die Vergangenheit des 200-Seelen-Dorfes, für das Haunsheim im Mittelalter bereits als Ausland galt
Veitriedhausen Warum liegt ein zwei Meter langer Steinquader aus der Römerzeit vor dem Eingang der Kirche St. Vitus? Lange gingen die Bürger von Veitriedhausen davon aus, dass er vom Apollo-GrannusTempel in Faimingen stamme. Das hätte bedeutet, dass der schwere Stein mehr als drei Kilometer getragen wurde. Michael Jerszynski hat durch ein Projekt, das ihn 14 Monate beschäftigt hat, Hinweise gesammelt, die auf eine andere Theorie hindeuten. Der Stein stammt demnach von der ersten Siedlung am Ort des heutigen Veitriedhausens. Die Geschichte des Ortes reicht wohl in das dritte Jahrhundert zurück.
Jerszynski hat jeden Winkel des Ortes, in dem er lebt, abgesucht, in jedes Loch geschaut, Urkunden und Dokumente gewälzt. Denn der 65-Jährige hat einen Kampf aufgenommen, den Kampf gegen das Vergessen. „Wenn jemand gestorben ist, sind seine Informationen verloren gegangen“, sagt Michael Jerszynski. Deshalb wollte er eine Video-Chronik seines Ortes erstellen. Ein dokumentarischer Film über ein 200-Einwohner-Dorf, der zeigt, dass die Geschichte der Gemeinde größer ist, als der Ort selbst. Da geht es um die Römerstraßen, die sich durch den ganzen Landkreis ziehen. Um das Ried, das nicht nur diesem Ort seinen Namen gab. Und die Beulenpest im Jahr 1393, dem Jahr, in dem St. Vitus zum ersten Mal erwähnt wurde, betraf die ganze Region. Auch wenn man im Mittelalter noch wenig von den Nachbarorten erfuhr. „Haunsheim war Ausland“, sagt Jerszynski über das späte Mittelalter. Damals wechselte immer wieder die Religion – als das Dorf dann wieder katholisch wurde, setzten sich viele evangelische Bürger in das zwei Kilometer entfernte Haunsheim ab. Weil Veitriedhausen der Hofmarktherrschaft Lauingens unterstand, orientierten sich die Menschen damals in diese Richtung. Ein Wirt wurde sogar bestraft, weil er Bier aus Haunsheim ausschenkte.
Mehr als ein Jahr hat Jerszynski gefilmt und recherchiert. Am Sonntag folgt die Premiere, die einzige öffentliche Vorführung. Um 15 Uhr präsentiert der 65-Jährige sein Werk im Vereinsheim des Dorfes.
Dann sehen seine Nachbarn die Bilder, die er mit Liebe zum Detail zum Film geformt hat. Wie die Kamera auf den Kirchturm von St. Vitus zufliegt, sich langsam um dessen Spitze dreht und den Blick auf die Häuseransammlung freigibt. Jerszynskis Frau Elisabeth BergmannJerszynski tritt vor die Kamera und erzählt von den Anfängen des Ortes.
Das Ehepaar hat bereits Erfahrung mit Videos, denn als „die Weltenseher“reisen die beiden durch Deutschland und halten Vorträge mit eigenen Filmaufnahmen, etwa aus Indien, Argentinien, Vietnam und Kambodscha. Zuvor hatten beide in der Abrechnungszentrale für Hebammen in Lauingen gearbeitet, die Jerszynski gegründet hat. Seit sie sich zu Ruhe gesetzt haben, unterstützen sie durch ihre Vorträge soziale Einrichtungen in den jeweiligen Ländern und sammeln Spenden. Trotzdem war die Chronik für Jerszynski etwas Besonderes. Nicht nur, weil es um den eigenen Ort geht. Es ist sein erster vollvertonter Film, der ohne Vortrag funktioniert.
Viele Dorfbewohner halfen mit und stellten Jerszynski alte Fotos und Bilder zur Verfügung. So konnte er etwa feststellen, dass Steine im Fundament der Kirche aus der Römerzeit stammen. Andere sind Feldsteine, die durch den Meteoriteneinschlag im Ries entstanden.
Ein Dorfbewohner, der ihm besonders geholfen hat, kann den fertigen Film nicht mehr sehen. Zusammen mit Leonhard Bertenbreiter hat Jerszynski noch im April eine spektakuläre Entdeckung gemacht. Die beiden fanden im Turm des katholischen St. Vitus einen evangelischen Kelch aus dem 16. Jahrhundert. Aktuell wird er in Neuburg ausgestellt. Ein paar Monate später starb Bertenbreiter, der Jerszynski mit seinem Wissen und unzähligen historischen Dokumenten unterstützte. Das zeigt, wie wahr der traurige Schlusssatz der Chronik ist: „Es war an der Zeit, die Erinnerungen nieder zu schreiben, da die Zahl derjenigen, die sie aufbewahren könnten, immer weniger werden.“
Verkaufen will Jerszynski die DVD nicht, aber wer ein Exemplar haben möchte, kann sich an ihn wenden. Er wirbt dann im Gegenzug um Spenden für die Sanierung des Dachstuhles von St. Vitus.