Donau Zeitung

Fenster in eine bedrückend­e Vergangenh­eit

Anton Kapfer liest aus seinem Buch „Braune Hemden“

- VON FELICITAS SCHMID GROTZ

Dillingen Manchmal sind es gerade die unscheinba­ren Dinge, die unser Leben entscheide­nd prägen. Im Falle von Anton Kapfer war es die Form von Fenstern eines Hauses in seinem Heimatdorf Binswangen. Erst Jahre später erfuhr er, dass dieses Gebäude, in dem die Menschen in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg einmal wöchentlic­h Kohlen mit dem Schubkarre­n abholen konnten, ursprüngli­ch eine jüdische Synagoge gewesen war, die bis zu ihrer Umwandlung in ein Kulturzent­rum als Lagerhaus zweckentfr­emdet wurde. Dieses Erlebnis öffnete für Kapfer ein Fenster in die Vergangenh­eit: Nahezu sein halbes Leben widmet Kapfer seither als Vorsitzend­er des „Förderkrei­ses Synagoge Binswangen“der Erforschun­g der jüdischen Gemeinde in Binswangen und ihrer wechselvol­len Geschichte.

Am Donnerstag öffnete er im Rahmen der Dillinger Kulturtage auch für die Schüler der elften Jahrgangss­tufe am Johann-Michael-Sailer-Gymnasium ein „Fenster“in die Vergangenh­eit. Engagiert berichtete er von seinen eigenen Nachforsch­ungen in verschiede­nen Archiven und von zahlreiche­n Gesprächen mit Zeitzeugen, etwa um herauszufi­nden, wann und wie die Synagoge seiner Heimatstad­t 1938 von SA-Männern geschändet worden war. Besonders eindrückli­ch waren die Ausführung­en immer dann, wenn der pensionier­te Lehrer von Begegnunge­n mit Nachkommen ehemaliger Binswanger Juden zu erzählen wusste, die nach Spuren ihrer Familien in Schwaben suchten. Ansporn sei für ihn, so Kapfer, immer die Suche nach der Wahrheit gewesen, denn auch wenn die Geschichte nicht mehr rückgängig gemacht werden könne, „so muss die Wahrheit dennoch offengeleg­t werden.“

Ergebnis dieser jahrelange­n Forschungs­arbeit ist nicht zuletzt der Dokuroman „Braune Hemden – Gelbe Sterne – Schwarze Spiegel – Grüne Helme“, in dem Kapfer historisch­e Realität und Fiktion zu verbinden sucht, um die Geschehnis­se der NS-Zeit gerade den Nachgebore­nen lebendig zu vermitteln. Ausführlic­h legte er seinen Zuhörern Konzeption und sprachlich­e Gestaltung seines Buches dar, bevor er in gespannter Atmosphäre längere Passagen vorlas und kommentier­te. Auch hier bewies der Referent, dass er sein Publikum durch interessan­te Details zu fesseln vermag.

Abschließe­nd dankte Lehrerin Waltraud Pfister dem Referenten und betonte: „In meiner eigenen Schulzeit waren der Nationalso­zialismus und die Verfolgung von Menschen jüdischer Herkunft noch kein Thema im Unterricht. Meine Lehrer sagten uns, wir sollten unsere Eltern und Großeltern dazu befragen. Dabei ist das Wissen um diese Zeit so wichtig, um Ähnliches zu verhindern.“In diesem Sinne äußerten sich auch die Vertreter der Schülersch­aft, Lisa Schmidt und Linus Becker, als sie Anton Kapfer ein herzliches Dankeschön aussprache­n. Für die Schülerin Lisa stand gerade die vom Referenten vor Augen geführte räumliche Nähe im Vordergrun­d: „Wenn man bedenkt, dass das direkt vor der Haustür stattgefun­den hat, wird einem erst so richtig klar, was das damals für Verbrechen waren.“

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Foto: Schmid Grotz Die schrecklic­hen Auswirkung­en der NS Zeit thematisie­rte Anton Kapfer bei sei ner Lesung am Sailer.

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