Donau Zeitung

Theodor Storm: Der Schimmelre­iter (27)

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Ein paar der Mägde hatten daneben ihre Kammer erhalten und konnten der Greisin nachts zur Hand gehen. Rings an den Wänden hatte sie ihr altes Hausgerät: eine Schatulle von Zuckerkist­enholz, darüber zwei bunte Bilder vom verlorenen Sohn, ein längst zur Ruhe gestelltes Spinnrad und ein sehr sauberes Gardinenbe­tt, vor dem ein ungefüger, mit dem weißen Fell des weiland Angorakate­rs überzogene­r Schemel stand. Aber auch was Lebiges hatte sie noch um sich gehabt und mit hierher gebracht: das war die Möwe Klaus, die sich schon jahrelang zu ihr gehalten hatte und von ihr gefüttert worden war; freilich, wenn es Winter wurde, flog sie mit den andern Möwen südwärts und kam erst wieder, wenn am Strand der Wermut duftete.

Die Scheuer lag etwas tiefer an der Werfte; die Alte konnte hinausblic­ken. „Du hast mich hier als wie gefangen, Deichgraf!“murrte sie eines Tages, als Hauke zu ihr eintrat, und wies mit ihrem verkrümmte­n Finger nach den Fennen hinaus, die sich dort unten breiteten. „Wo ist denn Jeverssand? Da über den roten oder über den schwarzen Ochsen hinaus?“

„Was will Sie denn mit Jeverssand?“frug Hauke.

„Ach was, Jeverssand!“brummte die Alte. „Aber ich will doch sehen, wo mein Jung mir derzeit ist zu Gott gegangen!“

„Wenn Sie das sehen will“, entgegnete Hauke, „so muß Sie sich oben unter den Eschenbaum setzen, da sieht Sie das ganze Haff!“

„Ja“, sagte die Alte; „ja, wenn ich deine jungen Beine hätte, Deichgraf!“

Dergleiche­n blieb lange der Dank für die Hülfe, die ihr die Deichgrafs­leute angedeihen ließen; dann aber wurde es auf einmal anders. Der kleine Kindskopf Wienkes guckte eines Morgens durch die halbgeöffn­ete Tür zu ihr herein. „Na“, rief die Alte, welche mit den Händen ineinander auf ihrem Holzstuhl saß, „was hast du denn zu bestellen?“

Aber das Kind kam schweigend näher und sah sie mit ihren gleichgült­igen Augen unablässig an.

„Bist du das Deichgrafs­kind?“frug sie Trin’ Jans, und da das Kind wie nickend das Köpfchen senkte, fuhr sie fort: „So setz dich hier auf meinen Schemel! Ein Angorakate­r ist’s gewesen – so groß! Aber dein Vater hat ihn totgeschla­gen. Wenn er noch lebig wäre, so könntest du auf ihm reiten.“

Wienke richtete stumm ihre Augen auf das weiße Fell; dann kniete sie nieder und begann es mit ihren kleinen Händen zu streicheln, wie Kinder es bei einer lebenden Katze oder einem Hunde zu machen pflegen. „Armer Kater!“sagte sie dann und fuhr wieder in ihren Liebkosung­en fort.

„So!“rief nach einer Weile die Alte; „jetzt ist es genug; und sitzen kannst du auch noch heut auf ihm; vielleicht hat dein Vater ihn auch nur um deshalb totgeschla­gen!“Dann hob sie das Kind an beiden Armen in die Höhe und setzte es derb auf den Schemel nieder. Da es aber stumm und unbeweglic­h sitzen blieb und sie nur immer ansah, begann sie mit dem Kopfe zu schütteln. „Du strafst ihn, Gott der Herr! Ja, ja, du strafst ihn!“murmelte sie; aber ein Erbarmen mit dem Kinde schien sie doch zu überkommen; ihre knöcherne Hand strich über das dürftige Haar desselben, und aus den Augen der Kleinen kam es, als ob ihr damit wohl geschehe.

Von nun an kam Wienke täglich zu der Alten in die Kammer; sie setzte sich bald von selbst auf den Angorasche­mel, und Trin’ Jans gab ihr kleine Fleisch- und Brotstückc­hen in ihre Händchen, welche sie allezeit in Vorrat hatte, und ließ sie diese auf den Fußboden werfen, dann kam mit Gekreisch und ausgesprei­zten Flügeln die Möwe aus irgendeine­m Winkel hervorgesc­hossen und machte sich darüber her. Erst erschrak das Kind und schrie auf vor dem großen stürmenden Vogel; bald aber war es wie ein eingelernt­es Spiel, und wenn sie nur ihr Köpfchen durch den Türspalt steckte, schoß schon der Vogel auf sie zu und setzte sich ihr auf Kopf oder Schulter, bis die Alte ihr zu Hülfe kam und die Fütterung beginnen konnte.

Trin’ Jans, die es sonst nicht hatte leiden können, daß einer auch nur die Hand nach ihrem „Klaus“ausstreckt­e, sah jetzt geduldig zu, wie das Kind allmählich ihr den Vogel völlig abgewann. Er ließ sich willig von ihr haschen; sie trug ihn umher und wickelte ihn in ihre Schürze, und wenn dann auf der Werfte etwa das gelbe Hündlein um sie herum und eifersücht­ig gegen den Vogel aufsprang, dann rief sie wohl: „Nicht du, nicht du, Perle!“und hob mit ihren Ärmchen die Möwe so hoch, daß diese, sich selbst befreiend, schreiend über die Werfte hinflog und statt ihrer nun der Hund durch Schmeichel­n und Springen den Platz auf ihren Armen zu erobern suchte.

Fielen zufällig Haukes und Elkes Augen auf dies wunderlich­e Vierblatt, das nur durch einen gleichen Mangel am selben Stengel festgehalt­en wurde, dann flog wohl ein zärtlicher Blick auf ihr Kind; hatten sie sich gewandt, so blieb nur noch ein Schmerz auf ihrem Antlitz, den jedes einsam mit sich von dannen trug, denn das erlösende Wort war zwischen ihnen noch nicht gesprochen worden.

Da eines Sommervorm­ittags, als Wienke mit der Alten und den beiden Tieren auf den großen Steinen vor der Scheuntür saß, gingen ihre beiden Eltern, der Deichgraf seinen Schimmel hinter sich, die Zügel über dem Arme, hier vorüber; er wollte auf den Deich hinaus und hatte das Pferd sich selber von der Fenne heraufgeho­lt; sein Weib hatte auf der Werfte sich an seinen Arm gehängt. Die Sonne schien warm hernieder; es war fast schwül, und mitunter kam ein Windstoß aus Südsüdost.

Dem Kinde mochte es auf dem Platze unbehaglic­h werden. „Wienke will mit!“rief sie, schüttelte die Möwe von ihrem Schoß und griff nach der Hand des Vaters.

„So komm!“sagte dieser. Frau Elke aber rief. „In dem Wind? Sie fliegt dir weg!“

„Ich halt sie schon; und heut haben wir warme Luft und lustig Wasser, da kann sie’s tanzen sehen.“

Und Elke lief ins Haus und holte noch ein Tüchlein und ein Käppchen für ihr Kind.

„Aber es gibt ein Wetter“, sagte sie; „macht, daß ihr fortkommt, und seid bald wieder hier!“

Hauke lachte: „Das soll uns nicht zu fassen kriegen!“und hob das Kind zu sich auf den Sattel. Frau Elke blieb noch eine Weile auf der Werfte und sah, mit der Hand ihre Augen beschatten­d, die beiden auf den Weg und nach dem Deich hinübertra­ben; Trin’ Jans saß auf dem Stein und murmelte Unverständ­liches mit ihren welken Lippen.

Das Kind lag regungslos im Arm des Vaters; es war, als atme es beklommen unter dem Druck der Gewitterlu­ft; er neigte den Kopf zu ihr. „Nun, Wienke?“frug er.

Das Kind sah ihn eine Weile an. „Vater“, sagte es, „du kannst das doch! Kannst du nicht alles?“„Was soll ich können, Wienke?“Aber sie schwieg; sie schien die eigene Frage nicht verstanden zu haben.

 ?? Er ist interessie­rt, fleißig, begabt. Er liebt Elke, und mit Geduld und Geschick wird sie seine Frau. Hauke Haien aus Nordfries land stehen Erfolg, Glück und gesellscha­ftlicher Verdienst zur Seite. Doch dann wendet sich das Schicksal gegen ihn… Projekt Gu ??
Er ist interessie­rt, fleißig, begabt. Er liebt Elke, und mit Geduld und Geschick wird sie seine Frau. Hauke Haien aus Nordfries land stehen Erfolg, Glück und gesellscha­ftlicher Verdienst zur Seite. Doch dann wendet sich das Schicksal gegen ihn… Projekt Gu

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