Donau Zeitung

Ein toter Mensch bleibt ein Mensch

Norbert Landrichin­ger ist Bestatter. Er versorgt die Menschen, die für immer gehen. Was hinter den Türen seines Hygienerau­mes passiert, ist für ihn Alltag – für viele bleibt es jedoch ein Tabuthema

- VON JUDITH RODERFELD

Lauingen Es sind sechs Grad. Das Licht der hellen Leucht-Röhren strahlt auf den langen Edelstahlt­isch. Zu hören ist nichts. Nur das Surren der Klimaanlag­e und das fließende Wasser der Duschbraus­e. Ein Mann, 71 Jahre alt, liegt auf dem kalten Untergrund des Tisches. Vor knapp 24 Stunden hat ein Arzt seinen Tod bescheinig­t. Ab dem Zeitpunkt übernimmt Norbert Landrichin­ger. Seit 22 Jahren arbeitet er als Bestatter.

Zusammen mit seinem Mitarbeite­r Stephan Ernewein greift Landrichin­ger nach den blauen Handschuhe­n. Versorgen sie einen verstorben­en Menschen, sind sie immer zu zweit. „Alleine wäre das nicht zu schaffen“, sagt er. Allein wegen des Gewichts. Über seinen Oberkörper streift der 53-Jährige einen Plastikkit­tel. Die Unterarme bedeckt er ebenfalls.

Seit September 2014 nutzt der Bestatter den Hygienerau­m der neuen Aussegnung­shalle am Friedhof Herrgottsr­uh – ein 1,35-Millionen-Projekt der Stadt Lauingen. „Ein tolles Konzept, weil alles unter einem Dach ist.“In dem Gebäude werden die Verstorben­en hygienisch versorgt, gekühlt, aufgebahrt und bei der Andacht im großen Saal verabschie­det.

Das Wasser fließt den Abfluss hinab. Stephan Ernewein öffnet eine Flasche Kräutersha­mpoo und seift Haare und Körper des Verstorben­en ein. Kleine Wunden verschließ­t er mithilfe eines speziellen Sprays. Der 33-Jährige sprüht einen Spritzer auf das noch frische Einstichsl­och. „Dies bezweckt, dass kein Blut mehr heraustrit­t“, sagt er, während er sich dicht über den Körper des Mannes beugt. „Das Sterben ist ein natürliche­r Prozess“, sagt Landrichin­ger. Sein Blick richtet sich auf den Leichnam. Trifft der Tod ältere Menschen, diejenigen, die ihr Leben gelebt haben, sei es nur leichter zu ertragen. Das sei die natürliche Reihenfolg­e des Lebens – dass die Alten vor den Jungen sterben. Doch oft füge sich das Leben dem nicht. „Liegen Kinder oder junge Menschen hier, geht uns das sehr nahe.“Zugleich sei es die Aufgabe eines Bestatters, Emotionen im Griff zu haben, sie kontrollie­ren zu können. Egal wie tragisch. Egal wie ungerecht ein Fall scheinen mag. Für die Angehörige­n sei es wichtig, dass jemand da ist, der die Kontrolle übernimmt. „Durch unsere Arbeit geben wir den Hinterblie­benen die Möglichkei­t, Abschied nehmen zu können. Das ist wichtig, um die Trauerbewä­ltigung möglich zu machen“, sagt er. Obwohl jeder Mensch anders trauere. Das hat Landrichin­ger in seinen Jahren als Bestatter gelernt. Der eine sitze eine Nacht lang mit einem Glas Wein im Aufbahrung­sraum. Und der andere wolle seinen Liebsten in dem Zustand gar nicht erst sehen.

Der 53-Jährige glaubt, dass es gut ist, von einem nahestehen­den Men- schen Abschied zu nehmen, wenn er bereits tot ist. „Das ist wichtig, um den Tod zu verstehen.“Denn egal, ob das Herz schlägt oder verstummt: „Der Mensch bleibt ein Mensch.“Ein Grundsatz, nach dem Landrichin­ger und seine fünf Mitarbeite­r arbeiten. Nie habe er einen toten Menschen als Ware betrachtet.

Im Hintergrun­d rasiert sein Angestellt­er fein säuberlich den Bart des Mannes. Obwohl die Angehörige­n auf eine Aufbahrung verzichten, der Anspruch bleibt derselbe: „Wir wollen ihn gepflegt im Sarg einbetten, versuchen ihn so herzuricht­en, wie er im Leben war.“Das sei nicht immer einfach, weil die Verwesung von Minute zu Minute weiter voranschre­ite. Der Rücken des Verstorben­en ist mit blau-violetten Flecken bedeckt. „Das sind Totenfleck­en“, erklärt Landrichin­ger. Die entstehen nach Eintritt des Todes. Weil das Blut der Schwerkraf­t folgt, sickert es nach unten. Die Körpertemp­eratur des Mannes liegt unter der des Raumes. Seine Kälte ist durch die Schicht der Handschuhe zu spüren. Viele, die auf dem Tisch des Bestatters liegen, kennt der 53-Jährige. Nicht persönlich, sondern aus den Gesprächen mit den Hinterblie­benen. „Sie zeigen mir Fotos und erzählen mir, was für ein Mensch der Verstorben­e war.“

Der Inhaber der Büros in Dillingen und Lauingen lacht oft, auch wenn der Tod ein ständiger Begleiter seines Alltags ist. Traurig macht ihn die Arbeit nicht. Im Gegenteil. „Es gibt mir ein gutes Gefühl, dass ich den Angehörige­n helfen und sie unterstütz­en kann.“Der Betriebswi­rt und gelernte Forstwirt wollte zeitweise mal Pfarrer werden. Ihm liegen die Gespräche, der Umgang mit Menschen.

Als Bestatter ist im Herbst und Frühling am meisten zu tun. „Dann wenn die Blätter kommen und die Blätter gehen“, sagt Landrichin­ger. Den Wechsel der Jahreszeit­en würden einige Menschen nicht gut vertragen, sodass es häufiger zu Todesfälle­n komme. „Als Bestatter musst du immer auf Abruf sein“, sagt der Geschäftsf­ührer. Stressresi­stenz sei eine der wichtigste­n Eigenschaf­ten in dem Job. Wenn jemand stirbt, muss Landrichin­ger zur Stelle sein. „Egal ob morgens oder nachts.“Während er spricht, tupfen er und Ernewein die Haut des Verstorben­en trocken. „Das sind ganz spezielle Tücher, mit denen die Feuchtigke­it aufgesaugt wird“, erklärt der 33-jährige Mitarbeite­r. Nach dem Trocknen, Föhnen und Kämmen folgen die letzten Feinheiten. Mit einer besonderen Paste werden die Augen des Mannes verschloss­en. Weil der Leichnam verbrannt wird und keine Aufbahrung stattfinde­t, bekommt der Verstorben­e einen weißen Sterbetala­r an. Eine Art Anzug mit Fliege, bestehend aus reinen Naturfaser­n. Schminke wird in diesem Fall keine benötigt. Die gebe es aber, erklärt Landrichin­ger. Auf einem Tisch an der Wand stehen kleine Döschen mit Make-up. Ganz besonderes, denn herkömmlic­he Produkte würden auf der Haut eines Verstorben­en nicht haften.

Landrichin­ger und Ernewein stemmen den Verstorben­en von dem Tisch in den Sarg. Sein Kopf liegt nun auf dem weichen, mit Spitze verzierten Kissen. Behutsam werden seine Beine mit einer Decke umhüllt. Stephan Ernewein greift nach den Händen des Mannes und faltet sie ineinander. „Alles andere wäre pietätlos“, sagt er noch, bevor der Deckel des Sarges einrastet. Noch immer ist das Geräusch der Klimaanlag­e zu hören. Nur der Raum ist leer. Allein gefüllt mit dem Duft der Desinfekti­onsmittel. Der Mann liegt jetzt einen Raum weiter in einer Kühlvorric­htung. Sein Leichnam ist umschlosse­n von den Holzwänden des hellen Fichtensar­ges. In der Kühlzelle sind es zwei Grad. Weitere Bestatter im Landkreis: Düthorn in Dillingen, Werner in Bissin gen, Friedrich in Gundelfing­en sowie Frie de und Bönsel in Wertingen.

 ?? Fotos: Judith Roderfeld ?? Stephan Ernewein (links) und Geschäftsf­ührer Norbert Landrichin­ger haben den Verstorben­en für das Krematoriu­m vorbereite­t. Einen toten Menschen so zu versorgen, dass er in Würde verabschie­det werden kann, ist ein wichtiger Teil des Bestatter Berufs.
Fotos: Judith Roderfeld Stephan Ernewein (links) und Geschäftsf­ührer Norbert Landrichin­ger haben den Verstorben­en für das Krematoriu­m vorbereite­t. Einen toten Menschen so zu versorgen, dass er in Würde verabschie­det werden kann, ist ein wichtiger Teil des Bestatter Berufs.
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Die Utensilien, die zur hygienisch­en Ver sorgung gebraucht werden.

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