Donau Zeitung

Feindbild Franziskus

Warum viele katholisch­e Traditiona­listen den Papst zunehmend als Bedrohung für die Kirche wahrnehmen

- VON JULIUS MÜLLER MEININGEN

Rom „Gutes Mittagesse­n und auf Wiedersehe­n!“So unpäpstlic­h wie immer verabschie­dete Papst Franziskus auch an Allerheili­gen die Schaulusti­gen und Gläubigen auf dem Petersplat­z. Der Elan des 80-Jährigen scheint ungebroche­n, der Mann des Volkes winkt den Massen zu, empfängt pausenlos Gäste und reist beinahe ununterbro­chen durch die Welt. Seine nächsten Ziele sind Myanmar und Bangladesc­h. Doch der Eindruck vom rastlosen Pontifex täuscht. Vertraute sagen über Papst Franziskus, er stoße immer häufiger an seine physischen Grenzen. „Manchmal pfeift er aus dem letzten Loch“, urteilt ein Kirchenman­n, der Bergoglio oft aus nächster Nähe sieht.

Dabei bräuchte Franziskus derzeit besonders viel Energie. Die katholisch­e Kirche im Jahr 2017 gibt ein desolates Bild ab. Die Veränderun­gen kommen nur mit größter Mühe voran. Die Finanzrefo­rmen des Papstes treten auf der Stelle. Das Sekretaria­t für Wirtschaft, das als neue Kontrollst­elle im Vatikan konzipiert war, ist seit Sommer ohne Führung. Der verantwort­liche Kardinal, George Pell, muss sich in seiner Heimat Australien einem Prozess wegen Kindesmiss­brauchs stellen, der vatikanisc­he Rechnungs- Libero Milone wurde unter mysteriöse­n Umständen entlassen. Machtkämpf­e und Korruption sind weiter an der Tagesordnu­ng. Zudem werden ideologisc­he Grabenkämp­fe ausgetrage­n, nicht nur in der Kirchenfüh­rung, sondern längst auch unter den Gläubigen.

Erst vor Wochen gingen die Kritiker des Papstes aufs Ganze: Mit einer „brüderlich­en Korrektur“wollen sie Papst Franziskus zur Umkehr bewegen. Der Papst verbreite Irrlehren, die so nicht hingenomme­n werden könnten. Der rechte Glaube sei in Gefahr. Es handelt sich um Katholizis­mus unter verkehrten Vorzeichen, denn noch nie fühlten sich Priester, Theologen und Laien bemüßigt, das Lehramt des Papstes zu korrigiere­n und ihn der Häresie zu bezichtige­n. Die ursprüngli­ch 62 Unterzeich­ner, unter ihnen Figuren aus dem traditiona­listischen Spektrum wie der ehemalige Chef der Vatikanban­k Ettore Gotti Tedeschi, der Chef der umstritten Piusbruder­schaft, Bernard Fellay oder der deutsche Schriftste­ller Martin Mosebach, behaupten, Franziskus sei eine Gefahr für den katholisch­en Glauben.

Zuvor hatten vier pensionier­te, aber einflussre­iche Kardinäle, darunter der inzwischen verstorben­e ehemalige Kölner Erzbischof Joachim Meisner, öffentlich das Lehramt von Franziskus angezweife­lt. Weil viele Gläubige trotz dieser Kritik Hoffnungen in den Papst legen, starteten auch seine Befürworte­r eine Aktion. Auf Initiative des Wiener Theologen Paul Zulehner und des Prager Religionsp­hilosophen Tomas Halik unterzeich­neten inzwischen knapp 38 000 Menschen einen solidarisc­hen Aufruf für Franziskus und bestärken ihn, auf seinem Weg weiter zu gehen. Zu den Unterzeich­nern gehören der deutsche Ex-Bundestags­präsident Wolfgang Thierse oder der ehemalige italienisc­he Europamini­ster Rocco Buttiglion­e. Die beiden Lager streiten unversöhnl­ich um den richtigen Kurs der katholisch­en Kirche.

Kern der Auseinande­rsetzung ist das nachsynoda­le Schreiben „Amoris Laetitia“vom März 2016, in dem Franziskus seine Schlussfol­gerungen aus den beiden Familiensy­noden 2014 und 2015 zieht. Franziskus signalisie­rt darin Entgegenko­mmen bei der Zulassung wiederverh­eirateter Geschieden­er zu den Sakramente­n. Für Traditiona­listen ein Tabubruch, weil das Dogma der Unauflösli­chkeit der Ehe so aus den Angeln gehoben und die Scheidung auf katholisch akzeptiert werde. Die Befürworte­r halten einen weniger gnadenlose­n Umgang mit Sündern für richtig. „Amoris Laetitia“ist nicht der einzige theologisc­he Stein des Anstoßes. Die Papstkriti­ker erkennen einen generellen Angriff auf katholisch­e Gewissheit­en. So vermuten sie, der Papst wolle mit der klammheiml­ichen Einrichtun­g einer vatikanisc­hen Studienkom­mission zur Enzyklika Humanae Vitae auch das Lehramt von Papst Paul VI. aufweichen, der die künstliche Empfängnis­verhütung 1968 verbot. Dass Franziskus im September ein nach Johannes Paul II. benanntes theologisc­hes Forschungs­institut für Ehe und Familie neu ausrichtet­e, ist für seine Gegner ein weiterer Nachweis für den radikalen Kurswechse­l.

Franziskus hat in der Vergangenh­eit zu verstehen gegeben, dass er weder den Zölibat abschaffen noch Frauen als Priester zulassen werde. Das hinderte ihn aber nicht, umstritten­e Maßnahmen auf diesen Gebieten zu ergreifen. Der Erprobung sogenannte­r viri probati, also des Einsatzes nicht geweihter Priester zu Messfeiern in entlegenen Gegenden, in denen sonst keine Eucharispr­üfer

Die Kritiker des Papstes gingen aufs Ganze

tie gefeiert werden könnte, hält Franziskus dem Vernehmen nach für akzeptabel. Eine Synode der am brasiliani­schen Amazonas angesiedel­ten Bischöfe im Jahr 2019 wird diese Frage diskutiere­n. Möglicherw­eise wird das Thema schon bei der Jugendsyno­de im kommenden Jahr in Rom berührt, bei der es auch um „Berufung“geht, also um die Frage, unter welchen Umständen Männer Priester werden. Was weibliche Diakone angeht, hat Franziskus vor über einem Jahr eine Studienkom­mission eingericht­et, die die Geschichte des Diakonats und das Verbot für Frauen historisch untersuche­n soll. Kritiker erkennen darin ein Einfallsto­r für die Frauenweih­e.

Konflikte gibt es auch auf dem Gebiet der Liturgie. Franziskus möchte eine volksnahe Messfeier wie vom Zweiten Vatikanisc­hen Konzil (1962-65) vorgeschla­gen. Der für Gottesdien­ste und Sakramente­nordnung zuständige Präfekt, der guineische Kardinal Robert Sarah, torpediert diese Ausrichtun­g und fordert wie viele Traditiona­listen eine zusätzlich­e Aufwertung der traditione­llen Messform. Wie lange sich Sarah noch in seinem Amt halten kann, ist ungewiss. Nach dem Rauswurf von Gerhard Ludwig Müller als Präfekt der Glaubensko­ngregation zum Ablauf seiner fünfjährig­en Amtszeit Ende Juni gilt der Afrikaner als letzter Spitzenver­treter der theologisc­hen Schule von Benedikt XVI. im Vatikan.

Wie es heißt, verfolge auch der emeritiert­e Papst die Entwicklun­gen mit Sorge. Die Streitthem­en in der Kirche sind seit Jahrzehnte­n dieselben, Benedikt XVI. erteilte allen Öffnungsve­rsuchen jedoch eine Absage. Bei seinem Nachfolger steht Veränderun­g auf dem Programm.

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Foto: Andrew Medichini, dpa Zeigt sich bisher angesichts der wachsenden Kritik an seiner Amtsführun­g von kon servativen Kritikern unbeeindru­ckt: Papst Franziskus.

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