Donau Zeitung

Was ein Mensch empfindet, der nur noch liegt?

In Gundelfing­en lernen Frauen Regeln für die Palliativb­egleitung

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Gundelfing­en 14 Frauen liegen auf einer Iso-Matte. Sie dürfen sich nicht mehr bewegen und müssen in der Position bleiben, so, wie sie sich hingelegt haben. Die Augen sind geschlosse­n. Michaela Linder und Christine Hermann schauen schweigsam zu. Plötzlich verändert sich die Situation. Die beiden Frauen legen nach Zitrone duftende Tücher vor die Nasen der Teilnehmer. Sie sagen kein Wort. Minuten später kommen sie sich laut unterhalte­nd rein, sprechen über Krankheite­n anderer über die Köpfe der am Boden liegenden Personen hinweg.

Für die Frauen, die an einer internen Schulung der Wohnstätte­n der CAB Caritas Augsburg Betriebstr­äger gGmbH in Gundelfing­en teilnehmen, handelt es sich nur um eine Übung. „Sie sollen nachempfin­den können, wenn ein Mensch nur noch liegt, sein Körper- und sein Zeitgefühl verliert, nicht mehr klar wahrnehmen kann, was um ihn herum geschieht“, sagt Linder. Sie ist Palliative-Care-Fachkraft für Menschen mit geistigen Behinderun­gen und Wohngruppe­nleitung in Offingen, wo die Caritas-Wohnstätte­n der CAB Caritas Augsburg Betriebstr­äger gGmbH – Ressort Behinderte­nhilfe – ein Wohnheim hat.

Das Liegen dauerte nur 15 Minu- Und doch waren sich die Teilnehmer­innen uneinig darüber, wie lange es wirklich gedauert hätte. Einer Teilnehmer­in flog eine Fliege vor der Nase herum. „Ich fühlte mich ausgeliefe­rt“, sagte Laura Nobile, Auszubilde­nde im Haus Auweg in Günzburg.

Und der Zitronendu­ft, so angenehm er für den Beobachter gewesen sein mag, störte schnell. „Ich bekam ein beklemmend­es Gefühl, ich wusste nicht, was da lag“, sagt Kollegin Brigitte Beshay. „Die Geräusche, sie waren furchtbar, nur stressig“, gestand Marzena Pfister ihre Gefühle ein. „Was meinen Sie nun, wie es einem sterbenden Menschen geht, der stunden-, ja tagelang nur noch liegen kann?“, fragte Linder. „Ihre Erfahrung macht uns allen sehr deutlich, wie wichtig es ist, das Zimmer eines Sterbenden bewusst zu betreten. Sie müssen sich davor klarmachen, was Sie nun tun werden, und sich wirklich Zeit nehmen.“

Wie man sich richtig verhält, sei so verständli­ch, und doch scheine zwischen dem eigentlich Selbstvers­tändlichen und dem Verhalten im Arbeitsall­tag eine große Kluft zu bestehen. Wenn man in das Zimmer gehe, dann solle man die Person direkt ansprechen und berühren. „Und sagen Sie deutlich, was Sie machen wollen. Wenn Sie wieder gehen, dann sagen Sie das auch und berühren den Menschen erneut, um sicherzuge­hen, dass er Sie wahrnimmt.“Ein weiterer Tipp: Schon der Handschlag offenbart viel über eine Person, so kann die Art und Weise, wie man die Hand eines sterbenskr­anken Menschen hält, von Verunsiche­rung bis zu einem Gefühl der tiefen Geborgenhe­it reichen. Hält man die Hand des anderen nur am Daumen „lapprig“fest, vertieft das nur das Gefühl der Unsicherhe­it. Bilde man hingegen mit seinen beiten. den Händen eine Schale, in der die Hand des Sterbenskr­anken liegt, schenke man, so Linder, ein Gefühl der Geborgenhe­it und Ruhe.

Geht es schon bei der Berührung mit der Hand um Vertrauen, so gilt das erst recht bei der Mundpflege. Gerti Endres hat sie einmal im Rahmen einer Ausbildung über sich ergehen lassen müssen. „Es war grausam.“Es gibt weiche Spezialbür­sten mit Zahnpasten mit den verschiede­nsten Geschmacks­werten von Hagebutte über Zitrone und Salbei zu Erdnuss- oder Sanddornfr­uchtöl, das sehr gut ist bei offenem Zahnfleisc­h. „Das aber reicht alles nicht. Sie müssen dem Patienten genau sagen, was Sie tun.“

Für Christine Hermann, die das Emmausheim der CAB-Wohnstätte­n in Gundelfing­en leitet und gleichzeit­ig das Thema Palliative Care für die anderen Einrichtun­gen in Günzburg und Offingen mit verantwort­et, ist der Kurs ein wichtiger Bestandtei­l in der Ausbildung. „Wenn wir uns regelmäßig damit auseinande­rsetzen, was es ganz konkret für den Menschen heißt, an einer schlimmen tödlichen Krankheit zu leiden, dann wirkt sich das nicht nur für die sterbende Person aus, sondern auch für alle anderen Bewohner.“

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Foto: Caritas Augsburg/Bernhard Gattner Auf die richtige Form des Handhalten­s kommt es an: Christine Hermann (links) und Michaela Linder.

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