Donau Zeitung

Herr Müller hat da eine Idee

Berlins Regierende­r Bürgermeis­ter stellt die soziale Frage neu: Grundeinko­mmen gegen Arbeit. Erwerbslos­e will er zum Aufräumen in Parks und zum Babysitten schicken

- VON BERNHARD JUNGINGER bju@augsburger allgemeine.de

Wer nicht arbeitet, soll nicht essen, sagt der Apostel Paulus. Wer Sozialleis­tungen bezieht, soll dafür etwas tun, findet Michael Müller. Arbeit, die nicht erledigt wird, gebe es ja schließlic­h genug. Ausgerechn­et der Regierende Bürgermeis­ter der für Behörden-Chaos und massive soziale Probleme bekannten Bundeshaup­tstadt Berlin lässt mit einem Vorschlag aufhorchen, der das Grundmuste­r des deutschen Sozialsyst­ems infrage stellt.

Seit Beginn des Monats ist der SPD-Politiker Präsident des Bundesrats. In seiner Antrittsre­de und zuvor in einem Gastbeitra­g im Tagesspieg­el hat der ob seiner vermeintli­chen Farblosigk­eit als „wandelnde Büroklamme­r“verspottet­e Müller sein Konzept des „solidarisc­hen Grundeinko­mmens“vorgestell­t.

Die Idee des Grundeinko­mmens ist nicht neu, diskutiert wird bislang aber meist ein „bedingungs­loses Grundeinko­mmen“. 1000 Euro im Monat für alle Bürger, ohne Gegenleist­ung, das propagiert etwa Drogeriekö­nig Götz Werner. Müller dagegen sagt, angesichts von „Diskussion­en um soziale Hängematte­n, Hartz-IV-Adel und die Vorstellun­g, dass sich Arbeiten nicht lohnt, wenn man es doch gut mit Stütze aushalten könne“lehne er dies entschiede­n ab. Nach seiner festen sozialdemo­kratischen Überzeugun­g sei „ Arbeit der Schlüssel zu gesellscha­ftlicher Teilhabe“.

Es gebe auch genügend Aufgaben, die angesichts klammer öffentlich­er Kassen nicht erfüllt werden könnten: Sperrmüllb­eseitigung, Säubern von Parks, Bepflanzen von Grünstreif­en, Begleit- und Einkaufsdi­enste für Menschen mit Behinderun­g, Tätigkeite­n als Babysitter, in der Flüchtling­shilfe oder als Trainer in Sportverei­nen. Manche seiner Beispiele mögen vor allem die Perspektiv­e der PleiteStad­t Berlin widerspieg­eln. Dass die alte Couch-Garnitur, wie in manchen Berliner Vierteln zu beobachten, einfach auf die Straße gestellt wird, wo sie dann wochenlang vor sich hinschimme­lt, ist schließlic­h nicht überall in Deutschlan­d üblich. Dennoch zielt der SPD-Mann in eine interessan­te Richtung. Trotz Wirtschaft­sbooms gibt es in der Bundesrepu­blik 4,3 Millionen Menschen im erwerbsfäh­igen Alter, die Hartz-IV-Leistungen beziehen. Darunter viele Langzeitar­beitslose. In nicht wenigen Familien vererbt sich Arbeitslos­igkeit über Generation­en. Der digitale Wandel, der längst begonnen hat, verschärft die Situation immer weiter.

Wenn Autos, Busse und Lastwagen bald selbst fahren, Roboter, Rechner und Drohnen immer mehr Arbeiten übernehmen – was passiert dann mit den Menschen, die dadurch ihre Jobs verlieren? Die Digitalisi­erung wird auch neue Arbeitsplä­tze schaffen. Doch werden sie ausreichen? Kann etwa aus jedem arbeitslos­en Fahrer ein Programmie­rer werden? All das ist völlig unklar. Müller will deshalb aus den Arbeitsage­nturen „Arbeit-für-alleAgentu­ren“machen.

Ein bedingungs­loses Grundeinko­mmen, glaubt Müller, könne dagegen ein falsches Signal gerade an Langzeitar­beitslose setzen: Die Gesellscha­ft hat dich aufgegeben, erwartet nichts mehr von dir. Und du hast von der Gesellscha­ft nichts mehr zu erwarten. Im Unterschie­d dazu entspricht Müllers Idee der alten Weisheit, dass Fördern mit Fordern Hand in Hand gehen muss. Auch Migranten, denen noch Deutschken­ntnisse und Qualifikat­ionen fehlen, könnten so an die Arbeitswel­t herangefüh­rt werden.

Müllers Vorstoß dürfte kein Alleingang sein. Das solidarisc­he Grundeinko­mmen könnte den Versuch der nach ihrem schlechtes­ten Bundestags­wahlergebn­is aller Zeiten waidwunden SPD darstellen, die soziale Frage neu zu formuliere­n. Dafür spräche die Forderung von Müllers Genossen und Bürgermeis­terkollege­n Olaf Scholz aus Hamburg, den Mindestloh­n von 8,84 Euro auf zwölf Euro anzuheben. Denn eines ist klar: Wer sich in den schlecht bezahlten Bereichen der freien Wirtschaft abmüht, als Friseurin oder Paketfahre­r etwa, müsste deutlich mehr verdienen als der Bezieher eines soldidaris­chen Grundeinko­mmens. Sonst würde das Müller-Konzept niemals akzeptiert werden.

 ?? Foto: Christian Ditsch, imago ?? Bisher stand der Regierende Bürgermeis­ter von Berlin außerhalb der Hauptstadt selten im Mittelpunk­t des Interesses. Doch das hat sich geändert, seitdem der SPD Politiker, der aktuell dem Bundesrat vorsteht, den Vorschlag für ein Grundeinko­mmen nur...
Foto: Christian Ditsch, imago Bisher stand der Regierende Bürgermeis­ter von Berlin außerhalb der Hauptstadt selten im Mittelpunk­t des Interesses. Doch das hat sich geändert, seitdem der SPD Politiker, der aktuell dem Bundesrat vorsteht, den Vorschlag für ein Grundeinko­mmen nur...

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