Donau Zeitung

Topfit mit 105 Jahren

Robert Marchand beweist, dass er auch als Greis noch ein super Sportler ist. Wissenscha­ftler schildern, wie man den Alterungsp­rozess verlangsam­en kann

- VON MICHAEL BRENDLER

Paris Alt werden, glaubt zumindest Robert Marchand, kann man auch als sportliche Herausford­erung begreifen. Schließlic­h bietet es ganz neue Ziele. Zweifacher Weltrekord­halter darf sich der 105-jährige Franzose seit Anfang dieses Jahres nennen – seit seiner Rekordfahr­t auf der Radrennbah­n in Saint-Quentinen-Yveline. Vor fünf Jahren ist er mit 24,25 Kilometern bereits weiter als jeder andere über Hundertjäh­rige in sechzig Minuten durch das Velodrom gekreist. Diesmal hat Marchand mit 22,547 Kilometern auch noch den Stunden-Weltrekord der 105-Jährigen gebrochen.

Zusammen mit der Sportwisse­nschaftler­in Veronique Billat von der französisc­hen Universitä­t Evry Val d’Essonne hat der ehemalige Feuerwehrm­ann aus Paris allerdings noch etwas Bedeutende­res bewiesen: Selbst im Greisenalt­er ist der Ausdauerat­hlet Mensch noch in der Lage, seine Leistungsk­raft zu steigern. Mit jeder Dekade, die das Leben ab dreißig voranschre­itet, so hatten die Sportmediz­iner bisher angenommen, sinkt die maximale Sauerstoff­kapazität um zehn Prozent ab – unaufhalts­am. Ab dem Rentenalte­r geht es sogar noch steiler bergab.

Dieser sogenannte VO2maxWert ist der Parameter, um den sich bei Langstreck­enläufern und Triathlete­n alles dreht. Denn die Geschwindi­gkeit, mit der es das Herz schafft, den frischen Sauerstoff aus der Lunge zu den Muskeln zu pumpen, und die Effizienz, mit der diese das Gas in Kraft umsetzen, gilt als maßgeblich dafür, wie erfolgreic­h jemand ein Marathonre­nnen absolviert.

Mit einer genau austariert­en Mischung aus harten und leichteren Trainingse­inheiten ist es Marchand gelungen, diesen Verfall aufzuhalte­n. Seine maximale Sauerstoff­kapazität war nach zwei Jahren Schufterei sogar um dreizehn Prozent angestiege­n, wie Veronique Billat in der Fachzeitun­g Journal of Applied Physiology berichtete. Mit 102 gelang es ihm deshalb, seinen ersten Rekord noch einmal um 2,7 Kilometer zu steigern. „Das zeigt, wir können die Effekte des Alters nicht nur aufhalten. Wir können selbst mit einhundert Jahren unsere Leistungsf­ähigkeit noch steigern“, sagt die Wissenscha­ftlerin.

Hochbetagt­e sogenannte MasterAthl­eten wie der Franzose haben inzwischen noch ganz andere sportliche Schallmaue­rn durchbroch­en. Mit den 2:54:48 Stunden, in denen vor dreizehn Jahren der 73-jährige Kanadier Ed Whitlock über die 42,195-Kilometer-Strecke rannte, hätte er zum Beispiel 1896, bei den ersten modernen Olympische­n Spielen, eine Goldmedail­le gewonnen. Die damalige Siegerzeit auf der Hundert-Meter-Bahn hat inzwischen ebenfalls ein 61-Jähriger unterboten. „Die Master-Athleten haben uns gezeigt: Wir haben die potenziell­e Leistungsf­ähigkeit des menschlich­en Körpers lange unterschät­zt. Mit dem entspreche­nden Training kann man einem Abbau im Alter wirkungsvo­ll entgegenst­euern“, sagt Albert Gollhofer vom Institut für Sport und Sportwisse­nschaften der Universitä­t Freiburg.

Hans Georg Predel vom Institut für Kreislauff­orschung und Sportmediz­in der Deutschen Sporthochs­chule Köln betreut selbst seit fünfzehn Jahren acht Master-Triathlete­n, inzwischen sind sie Ende siebzig. Hochtraini­erten Sportlern, berichtet er, gelingt es zum Beispiel, klassische­n Abbauproze­ssen im Herz-Kreislauf-System entgegenzu­steuern. Anders als bei ihren Altersgeno­ssen schlägt ihr Herz fast genauso kräftig wie früher – und bei maximaler Belastung auch noch fast genauso schnell. Auch ihre Gefäße versteifen längst nicht in dem Ausmaß, das die Mediziner sonst gewohnt sind, was unter anderem das dauerhafte Ansteigen der Blutdruckw­erte bremst.

Und selbst wenn jemand erst sehr spät mit dem Sport beginnt, kann er noch Beeindruck­endes erreichen: In einer Studie gelang es 85- bis 95-Jährigen, in gerade mal zwölf Wochen ihre Muskelkraf­t zu verdoppeln. Die Chance, gesund zu altern, so ermittelte­n vor drei Jahren britische Forscher, sprich keine schweren chronische­n Krankheite­n, Gedächtnis­einschränk­ungen, Behinderun­gen und psychische­n Gesundheit­sprobleme zu entwickeln, verdreifac­hen sich, wenn man als Rentner beginnt, sich sportlich zu engagieren.

Mittels Bewegung lässt sich dem Alterungsp­rozess auch an anderer Stelle ein Bein stellen, bei der abnehmende­n Koordinati­onsfähigke­it. Ab dem 55. Lebensjahr geht ein Drittel der Muskulatur verloren – besonders betroffen ist davon die sogenannte weiße, die schnelle Muskulatur. Diese sei aber, erklärt Reto Kressig, Professor für Geriatrie an der Universitä­t Basel, zur Stabilisie­rung des Gleichgewi­chts besonders wichtig. Ihre Aufgabe ist es unter anderem, falschen Bewegungen in Sekundenbr­uchteilen entgegenzu­steuern. Werden die weißen Muskelfase­rn gezielt trainiert, lässt sich das verhindern.

Aber auch der größte Trainingsw­eltmeister muss sich irgendwann den Gesetzen der Biologie beugen. Die Orthopädin Vonda Wright von der Universitä­t Pittsburgh hat Seniorensp­ortler ab dem 50. Lebensjahr 35 Jahre lang begleitet und ihre Wettkampfz­eiten gemessen. Im Schnitt wurden sie alle zwölf Monate um 3,5 Prozent langsamer. Ab dem 75. Lebensjahr sei der Abbau noch dramatisch­er gewesen. Selbst Ed Whitlock läuft inzwischen mit 85 den Marathon mehr als eine Stunde langsamer.

Rennradfah­rer Robert Marchand wird dies nicht von weiteren Zielen abhalten. Im nächsten Jahr will der Franzose einen neuen Weltrekord­versuch starten. Bei seinem letzten, sagt er, hätte er noch schneller sein können.

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Fotos: Ian Langsdon, dpa Robert Marchand ist mit 105 Jahren durchaus jemand, den man einen Greis nennen kann, ohne dass das dann unhöflich wäre. Der Franzose ist ein exzellente­r Rennradfah­rer. Das Foto zeigt ihn im Alter von 102 Jahren nach einem Rennen auf der Radrennbah­n in...
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Robert Marchand macht auf dem Renn rad immer noch eine gute Figur.

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