Kira darf jetzt ganz Mädchen sein
Marianne Richter ermöglicht schon zum 14. Mal einem Kind aus der Ukraine eine Operation in Deutschland. Kira war zweigeschlechtlich zur Welt gekommen
Dillingen Glitzernde Pailletten an der dunklen Hose, Minnie-MausT-Shirt, rosageblümtes Jäckchen, fluffiges Kunstfell an den Schühchen. Und, ja, die eindreivierteljährige Kira, mit ihrer Puppe in der Hand, trägt sogar Ohrringe. Dass das blonde Kind ein Mädchen ist, daran wird niemand ernsthaft zweifeln. Und damit liegt er auch richtig. Ganz eindeutig ist das aber erst seit Kurzem und nur dank großzügiger Hilfe aus dem Landkreis Dillingen.
Kira wurde in der Ukraine geboren. Alles war ungewöhnlich. Es war ein 29. Februar. Und dann konnten die Ärzte nicht genau sagen, welches Geschlecht das Kind denn nun hat. Zuerst erzählten sie Kiras Mutter Olga Kovtun noch: „Das ist ein Junge.“Dann stellten sie fest, dass da etwas nicht stimmen konnte. Am zweiten Tag nach der Geburt erklärten sie dann, was los ist. Der Fachbegriff lautet Adrenogenitalies Syndrom. Das heißt, dass es eine Störung bei der Entwicklung des Geschlechtsmerkmales gegeben hat, man spricht auch von Zweigeschlechtlichkeit.
In der Ukraine zählte Kira schlicht als „invalide“. Vom Staat erhält die Familie damit 1000 Hrywnja im Monat, umgerechnet etwas mehr als 30 Euro. Damit lässt sich auch in der Ukraine nicht viel erreichen. Behinderte Kinder werden dort häufig versteckt. Ob Olga Kovtun in ihrem Freundeskreis von der Diagnose ihres Kindes berichtet habe? „Nein, das habe ich niemandem erzählt“, sagt die 25-Jährige.
Kira musste getestet werden. Einfach gesagt ging es um die Frage: Ist das Kind nun ein Mädchen oder ein Junge? Es stellte sich heraus, dass Kira genetisch klar ein Mädchen ist. Und jetzt, nach der OP, kann sie auch das ganz normale Leben eines kleinen Mädchens führen. Später, wenn sie eine Frau ist, kann sie auch selbst Kinder bekommen.
In der Ukraine ist so eine Opera- tion nicht zu machen, und eine OP im Ausland ist nur mit dem nötigen Geld möglich. Hier kommt Marianne Richter ins Spiel. Sie erklärt, dass es sehr gut war, dass Kira nicht schon in der Heimat behandelt wurde. „Ich hatte schon einmal ein Kind hier, dass dort operiert wurde. Da gab es riesige Probleme.“Richter hat Erfahrung. Kira ist das 14. Kind, dass die Kicklingerin aus der Ukraine nach Deutschland geholt hat, um ihr eine Operation zu ermöglichen. Für ihr Engagement wurde sie bereits mit der Silberdistel unserer Zeitung ausgezeichnet.
Die OP fand – wie auch die Operationen der anderen ukrainischen Kinder – in Nürnberg statt, in der Cnopf’schen Kinderklinik. Der dortige Chefarzt, Maximilian Stehr, hat alle 14 Kinder kostenfrei operiert. „Sie können in ihrem Heimatland nicht versorgt werden“, erklärt er am Telefon. Deshalb sei es für ihn selbstverständlich, zu helfen. Dass der Arzt und sein Team gratis operieren, heißt aber nicht, dass keine Kosten anfallen würden. Medikamente und OP-Material kosten Unsummen, Laborkosten und MRT- Untersuchung kamen hinzu. Auch ein einziger Tag auf der Intensivstation kostet 1300 Euro. Das Geld stammt von verschiedenen Hilfsorganisationen, mit denen Richter zusammenarbeitet.
Dieses Mal stammt ein Teil des Geldes, 2000 Euro, aus einer privaten Spende aus dem Landkreis. Richter hat das sehr geholfen – denn rund um so eine Aktion fallen auch eine Menge Kosten an, mit denen man im ersten Moment nicht rechnet. Schließlich kann ein Kleinkind nicht allein nach Deutschland kommen. Ihre Mutter reiste mit, musste die erforderlichen Dokumente auftreiben und sich für die Einreise versichern.
Am Mittwoch vergangene Woche wurde Kira dann operiert. Alles lief wie geplant, bereits am Donnerstag kam sie zurück in den Landkreis.
Richter achtet sehr darauf, die Spendengelder so sinnvoll wie möglich einzusetzen. Deswegen trifft sie sich auch vorab mit den Familien, deren Kinder für eine Operation in Deutschland infrage kommen. Im Juni war sie deswegen in Kiras Heimatstadt, Riwne, im Westen der Ukraine. Bei dem Treffen ging es vor allem darum zu überprüfen, dass der Fall so ist, wie es ihr zuvor erzählt wurde. Olga Kovtun hatte über Familien anderer Kindern, denen Richter bereits geholfen hat, von ihr erfahren. Über Dolmetscher kam der Kontakt zustande.
Kira ist jetzt wieder in der Ukraine, mit dem Autobus ging es zurück in die Heimat. Kurz vor der Rückfahrt antwortet Olga Kovtun auf die Frage, ob sie sich auf ihr Zuhause freue, mit einem deutlichen „Da“, dem ukrainischen Wort für ja. Schließlich wartet dort ihr Mann.
Die bei der Operation verwendeten Fäden lösen sich von selbst auf. Alles ist so gut verheilt, dass Kira bis auf ein tägliches Bad in Kamillentee erst einmal keine Behandlung braucht. In fünf Jahren kommt sie noch einmal nach Deutschland, zu einer Folgebehandlung. Abgesehen davon unterscheidet sie nichts mehr von anderen kleinen Mädchen.
Die Kícklingerin prüft jeden Fall vor Ort