Sie müssen miteinander ins Geschäft kommen
Leitartikel CDU, CSU, FDP und Grüne sind in der Pflicht, eine Regierung zu bilden. Die Angst vor einer Blamage befördert die notwendige Bereitschaft zum Kompromiss
Seit Wochen verhandeln CDU, CSU, FDP und Grüne darüber, ob sie überhaupt miteinander über die Bildung einer neuen Regierung verhandeln wollen. Nun endlich, da dem Publikum das ewige Sondieren und Abtasten bereits gehörig auf den Nerv geht und das Modell „Jamaika“im Wahlvolk weit weniger Applaus findet als kurz nach der Bundestagswahl, kommt Bewegung in die Gespräche. Jetzt ist Schluss mit dem Vorgeplänkel und den Muskelspielereien, jetzt geht es zur Sache. Bis zum nächsten Wochenende nämlich muss klar sein, ob sich ein hinreichend großer Vorrat an Gemeinsamkeiten für eine schwarzgelb-grüne Koalition findet.
Das große Gefeilsche um ein Arbeitsprogramm, in dem sich jede Partei mit ihren Kernanliegen und ihrer Handschrift wiederfindet, tritt in die entscheidende Phase. Solange die höchsten, auf den Feldern der Migrations-, Klima- und Steuerpolitik liegenden Hindernisse nicht abgeräumt sind, ist ein Scheitern der Verhandlungen noch möglich. Der auf den spektakulären Showdown zustrebende Machtkampf in der CSU und die zur Prinzipienreiterei neigende grüne Basis bergen weitere Risiken. Aber es sieht nicht so aus, als ob die ungleichen vier auf der Zielgeraden noch ins Straucheln geraten würden.
Es gibt ja inzwischen erste konkrete Vereinbarungen bei jenen Aufgaben, die im Grunde unstrittig sind und um Stichworte wie Internet-Ausbau, sozialen Wohnungsbau oder Bildung kreisen. Und vor allem ist da der feste Wille, trotz aller Animositäten und inhaltlicher Differenzen miteinander ins Geschäft zu kommen. Wo ein Wille ist, da ist bekanntlich (meist) auch ein Weg. Und im Zweifelsfall hilft die gemeinsame Angst vor einer Blamage und den Untiefen einer Neuwahl der notwendigen Kompromissbereitschaft auf die Sprünge.
So verständlich der Unmut vieler Bürger über die zäh vorankommenden, mit dem üblichen Theaterdonner in Szene gesetzten „Sondierungen“ist, so konnte doch niemand im Ernst mit einer raschen Einigung rechnen. Keine der vier Parteien hatte „Jamaika“auf dem Wunschzettel, keine war auf dieses Experiment vorbereitet. CSU und Grüne, FDP und Grüne liegen, wenn es etwa um die Begrenzung der Zuwanderung oder den Ausstieg aus der Produktion von Verbrennungsmotoren geht, meilenweit auseinander. Hier soll zusammenfinden, was in vielem nicht zueinanderpasst. Das ist ein mühseliges, viel Kompromissbereitschaft erforderndes Geschäft. Die Moderationskünstlerin Merkel, die dieses Bündnis um ihres Machterhalts willen zustande bringen muss, ist da in ihrem Element. Man weiß allerdings – wie so oft – nicht, wofür die Kanzlerin in der Sache steht und wo die Reise hingehen soll. CSU, FDP und Grüne haben Positionen und verteidigen sie; die CDU erweckt den Eindruck, als ob es ihr in erster Linie um die Verteidigung des Kanzleramts und um den kleinsten gemeinsamen Nenner gehe. Sollte jedoch Merkel insbesondere den Grünen zu weit entgegenkommen und ihrer konservativen Stammkundschaft zu viel zumuten, wird „Jamaika“den Niedergang der zur Stunde noch bei 30 Prozent notierten Union eher beschleunigen als stoppen.
Neuwahlen sind nur um den Preis fragwürdiger verfassungsrechtlicher Spielchen zu bekommen und würden dem Ansehen der Demokratie ganz gewiss nicht guttun. Und soll ausgerechnet Deutschland, dieser Hort an Stabilität, in diesen turbulenten Zeiten in instabile Verhältnisse schlittern? Nein, Schwarz-Gelb-Grün ist die einzige realistische Regierungsoption. Also stehen CDU/CSU, FDP und Grüne in der Pflicht, eine handlungsfähige Koalition zu bilden und die Probleme anzupacken.
Wo steht die Kanzlerin in der Sache?