Menschen wehren sich gegen die Betonflut
Der Fraktionsvorsitzende der bayerischen Landtagsgrünen besucht das Zusamtal. Viele unterschreiben auf dem Wertinger Marktplatz noch vor Ludwig Hartmann dort eintrifft. Dieser will Bayerns Landschaft und Qualität schützen
Wertingen/Pfaffenhofen 18 Fußballfelder. Eine Fläche dieser Größenordnung verschwindet in Bayern täglich unter Asphalt und Beton. Das finden die Grünen eindeutig zu viel und haben deshalb ein Volksbegehren gestartet. Dessen Sprecher ist Ludwig Hartmann. Der 40-jährige Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bayerischen Landtag besuchte am vergangenen Freitag Wertingen, stellvertretend für den Landkreis Dillingen.
Ab 16 Uhr war der Grünen-Politiker am Infostand auf dem Wertinger Marktplatz angekündigt. Aufgrund einer Zugverspätung verzögerte sich sein Eintreffen. Doch das hinderte die Passanten keineswegs daran, sich schon mal in die ausgelegten Unterschriftenlisten einzutragen. Ganz im Gegenteil – irgendwann gehen Ulrich Demmer vorübergehend gar die Listen aus.
Eva Birkholz beispielsweise ist eigens aus Zusamaltheim nach Wertingen gekommen, um sich einzutragen. Die 54-Jährige findet es erschreckend, dass so viel Fläche verloren geht und dass mit unserer Landschaft so leichtfertig umgegangen werde. „Boden ist endlich“, sagt sie. Die Unterschriften findet die Zusamaltheimerin auch insofern wichtig, dass die Bayerische Staatsregierung erkennt, dass es Menschen gibt, denen der Umgang mit der Natur wichtig ist. „Es ist unser aller Lebensraum“, erinnert der 36-jährige Thomas Schmalz aus Binswangen. Er vergleicht die freien Flächen mit einem großen Stück Kuchen, das immer kleiner werde. Sicher brauche man Bauplätze und Industrie. „Doch wir müssen schauen, dass es nicht zu viel wird“, sagt der Binswanger, der auf dem Nachhauseweg von der Arbeit ganz gezielt an dem Stand vorbeigeschaut hat. Ebenfalls aus Binswangen kommt Britta Wülfing. Die 52-Jährige hat bereits zwei ausgefüllte Listen dabei. Sie hatte in ihrem Heimatort Unterschriften gesammelt und parteiunabhängig offene Türen bei den Menschen vorgefunden.
Als es zu dämmern beginnt, trifft Ludwig Hartmann auf dem Wertinger Marktplatz ein. Der Landtagsabgeordnete hatte mit Parteikollegen aus dem Landkreis und dem benachbarten Donau-Ries auf dem Weg in die Zusamstadt noch an der Ortsverbindungsstraße vorbeigeschaut, die von Pfaffenhofen über Rettingen nach Erlingshofen führt. Rund eineinhalb Stunden verbrachte Hartmann vor Ort. Trotz des Weihnachtsmarktes bei der Bäldleschwaige könne er sagen: „Die Verkehrsbelastung rechtfertigt keineswegs einen Ausbau.“Der Landespolitiker sieht hier einen Fehler im System. „Wir brauchen die gleichen Zuschüsse für eine Sanierung wie für einen Neubau solcher Straßen!“
Mit vor Ort waren auch örtliche Vertreter des Landesbunds für Vogelschutz (LBV) und des Bundes Naturschutz (BN). Ludwig Hartmann freut sich, dass Ersterer seit Donnerstag offiziell das Volksbegehren mit unterstütze und der Bund Naturschutz auf dem Weg dorthin sei. Die beiden Verbände hätten sich ursprünglich ein weitreichenderes Volksbegehren gewünscht. Grundsätzlich gehe es bei der Eindämmung der Betonierung natürlich auch um den Artenschutz. Ehemalige Allerweltsvogelarten wie der Kiebitz oder das Rebhuhn seien mittlerweile vom Aussterben bedroht.
„Wir brauchen einen sparsame- ren Umgang mit der Fläche“, sagt Hartmann und zieht einen weiteren Vergleich heran. „Einmal im Jahr verschwindet die Fläche des Ammersees unter Beton und Asphalt.“Es sei höchste Zeit, sich zu wehren, um das traumhaft schöne Bayern mit seinen einzigartigen Landschaften und über viele Jahrhunderte gewachsenen Orte zu bewahren.
Konkret zielt das Volksbegehren darauf ab, den Flächenverbrauch von derzeit 13 Hektar pro Tag in Bayern um knapp zwei Drittel auf fünf Hektar zu reduzieren. „Wir müssten auf nichts verzichten, nur denken, bevor der Bagger kommt.“Wie das konkret aussehen könnte, erläuterte Hartmann bei einem öffentlichen Vortrag am Abend.
Discounter samt Parkplätzen würden derzeit komplett ebenerdig gebaut. Viele Hektar ausgewiesener Gewerbeflächen würden nicht bewirtschaftet, leerer Wohnraum nicht genutzt. Gleichzeitig entstünden überdimensional angelegte Straßen(kreuzungen) samt vieler Ansiedelungen im Außenbereich. Der Grünen-Abgeordnete freute sich, in Wertingen eine belebte Innenstadt vorzufinden – im Gegensatz zu vielen anderen Städten, in denen mittlerweile jedes vierte Gebäude leer stehe. Dagegen gebe es auch Orte, in denen die Kommunalpolitiker keine Ansiedlungen im Außenbereich mehr genehmigten und deren Ortskerne aufblühten.
Hartmann plädierte für mehrstöckiges Bauen von Parkdecks, Supermärkten und Firmengebäuden. Das Thema müsse auf Landesebene angegangen werden, um ein gegenseitiges Ausspielen zu umgehen. „Wir brauchen eine verbindliche Höchstgrenze.“Nur so könnten unsere Orte ihre Naturflächen und somit Lebensqualität behalten. 17 000 Menschen hätten in ganz Bayern bereits unterschrieben.
Auf nichts verzichten, dafür aber mitdenken