Marathon war gestern
Gabriel Ostermeier aus Gottmannshofen liebt das Extreme mit der Bezeichnung OCR. Wer die Wand nicht schafft, bekommt Straf-„Burpees“
Einfach nur joggen? Langweilig. 10 000 Meter im Stadion? Eintönig. Marathonlauf? Reicht nicht. Dann helfen nur noch diese drei Buchstaben: OCR. Sie stehen für das englische Obstacle Course Racing (OCR) – und damit eine gnadenlose Schinderei, wie das wohl ein unbescholtener Beobachter von der Couch aus bezeichnen würde. Aber deshalb so kluge Menschen wie Gabriel Wilhelm Ostermeier gleich einen Verrückten zu heißen, wäre unfair. Der 28-jährige Gottmannshofer steht mit beiden tätowierten Läuferbeinen fest auf nordschwäbischem Boden. Der Verkaufsberater aus der KfzBranche ist mit Leib und Seele, Haut und Haar aber auch Extremsportler.
Klar, wer das Programm der Wettkampfveranstaltung genau studiert, an welcher der junge sympathische Mann teilnimmt, kann schon mal ins Grübeln geraten: „Gettingtough – The Race“. Die im thüringischen Rudolstadt abzulegenden 24 000-Meter-Trailstrecke mögen da noch eher harmlos klingen, was gerade mal etwas mehr als einem Halbmarathon entspricht. Dazu kommen jedoch insgesamt zu überwindende 1000 Höhenmeter sowie stolze 150 Hindernisse. Schließlich sind Schlammrobben und Klettern an Monkeybars im drei Kilometer langen sogenannten „Killingfield“angesagt – das wohl deswegen so heißt, weil sich dann der innere Schweinehund melden könnte. Tauchen unter Baumstämmen und das Durchqueren der zu dieser Jahreszeit eiskalten Saale runden das sportliche Angebot ab, dem sich beim härtesten Hindernislauf Europas jedes Jahr tatsächlich tausende Starter stellen.
Und dies alles natürlich freiwillig – ein Hinweis für alle älteren Jahrgänge, die solche Übungen noch aus ihrer Wehrpflichtzeit kennen. Dort musste auch die eine oder andere Eskaladierwand erklommen werden, die schon mal mehr als zwei Meter in die Höhe ragen können. Wer daran scheitert, wird vom Hindernis-„Marshal“, einem der zahl- reichen Wettkampfhelfer, zu zehn bis 30 Straf-„Burpees“verdonnert. Das sind kräftezehrende Liegestützstrecksprünge, auf die ein durchtrainierter Wettkämpfer wie Gabriel Ostermeier gut vorbereitet daherkommt. Die fehlenden Zentimeter, die man zum Ergreifen der unüberwindbar scheinenden Maueroberkante braucht, macht der 1,71-Meter-Mann mit intensivem Sprungkrafttraining wieder wett.
Apropos: Dreimal die Woche eilt der „Extremist“ins Fitnesscenter und hält sich mit intensivem Bodyweight-Training fit, bei dem statt aufwendiger Gerätschaften nur der eigene Körper im Spiel bleibt. Wie früher halt. Er geht zum Bouldern. Hitverdächtig stellt sich auch die Anzahl seiner regelmäßigen Laufkilometer dar. So wird der Sportler ohne Grenzen immer wieder zwischen Wertingen und Mertingen gesichtet oder beim hurtigen Passieren der kühlen Zusam im anderthalb Millimeter dünnen Neoprenanzug. Dort hangelt er sich schon mal die Baumstämme hoch. Blaue Flecken, kleine Schürfwunden und einen lädierten Arm gibt es gratis dazu.
Hindernisse sind für ihn zum Überwinden da. Wie das geht, hat der Gottmannshofer vor zweieinhalb Jahren mal bei der Übertragung eines OCR-Events gesehen und sofort Feuer gefangen. Ähnlich ergeht es auch immer mehr jungen Männern und Frauen, die neue Herausforderungen suchen und hier finden. Allein in Deutschland finden mehr als ein Dutzend solcher Extrem-Touren mit illustren Namen wie etwa „Strong Viking Mud Edition“statt. „Da will ich hin“, dachte sich der Verkaufsberater, der von Dienst wegen viel Zeit im Auto sitzend verbringen muss. Da ist Gabriel der Adrenalinschub schon lieber, der ihn zwischen Wassergraben und Klettergerüst erwartet.
Dafür rennt er gerne 47 Kilometer am Stück, schleppt 20 Kilogramm schwere, mit Kies befüllte Eimer durch die Gegend oder schnappt sich einen 25-Liter-Wasserkanister. Wenn es denn sein muss. Es muss.