Donau Zeitung

Wenn Weltlitera­tur auch Propaganda ist

Shakespear­es „Richard III.“gilt gemeinhin als das Drama, das die Mächtigen kritisiere­n soll. Aber passt das Stück dafür wirklich? Und wie gehen aktuelle Inszenieru­ngen in München und Frankfurt damit um?

- VON RICHARD MAYR der

München Mieser kann ein Ruf nicht ausfallen: Richard III. gilt als Schurke auf dem englischen Thron. Mit ihm endete im 15. Jahrhunder­t die Regentscha­ft der Yorks, danach herrschten die Tudors, die selbstvers­tändlich alles dafür taten, um den Letzten der Yorks in denkbar schlechtem Licht erscheinen zu lassen. Dass Richard III. bis heute als Sinnbild des Bösen gilt, liegt an einem der größten aller Dramatiker: William Shakespear­e hat ganz auf der Linie der damals herrschend­en Tudor-Königin Elizabeth I. das Drama über den letzten York-König geschriebe­n und das Bild Richards III. bis heute ruiniert.

Während die Wissenscha­ft an der ausschließ­lich negativen Darstellun­g des Königs zweifelt, erfreut sich das Stück gerade wieder größerer Beliebthei­t an deutschen Theatern. Das Stuttgarte­r Schauspiel zeigte es 2014. Die Berliner Schaubühne war groß in allen Feuilleton­s mit Lars Eidinger als Titelheld. Die Idee hinter einer solchen Ansetzung ist klar, die Theater wollen einen kritischen Blick auf die Macht und die Mächtigen werfen, die Kunst soll als Korrektiv dienen. Wobei der Stoff mit seinem Hintergrun­d eher die Frage aufwirft, inwieweit Theaterstü­cke (und die Künste allgemein) sich dem Zeitgeist anbiederte­n und anbiedern und inwieweit „Richard III.“nicht einmal Anlass sein könnte, die Kunst und ihr Heranschme­ißen an die Macht kritisch zu hinterfrag­en.

Aber welcher Regisseur möchte dem Bösen schon das Böse austreiben, wenn es so verlockend ist? Die Titelrolle ist ein Geschenk für Schauspiel­er, das Drama aber eine Herausford­erung für Regisseure. Wenn sich weitläufig­e Stammbäume im Programmhe­ft finden, um dem Publikum eine Idee von den Ver- wandtschaf­tsbeziehun­gen der Figuren zu geben, ahnt man die Schwierigk­eiten: Nicht Richard III. ist in dem Drama die Regie-Hürde, sondern die Figuren um ihn herum.

Radikal hat dieses Problem der Regisseur Michael Thalheimer in seiner Inszenieru­ng am Münchner Residenzth­eater gelöst, die am Samstag dort Premiere hatte. Abgeleitet aus dem Glaubensbe­kenntnis des Radikalego­isten – „Richard liebt Richard“–, hat Thalheimer alle anderen Figuren zu schwarzen Schemen degradiert. Ihre Geschichte, ihre Pläne, ihre Wünsche interessie­ren nicht. Dieser Lichtschac­ht des Dunkeln, die Kathedrale der tausend Schwarztön­e, in die Olaf Alt- mann die Bühne verwandelt hat, soll keine Welt darstellen, sondern dient einzig als Resonanzkö­rper für Richard. Thalheimer will mit seiner Inszenieru­ng nicht hinaus in die Welt, er will in Richard III. hineinkrie­chen. Die großen Schauspiel­er des Residenzth­eaters tun einem schon einmal Leid, sie gehen unter neben dieser Gestalt. Gerade noch der in dieser Spielzeit von den Kammerspie­len ans Resi gewechselt­e Thomas Schmauser sowie Marcel Heuperman gewinnen als Richards Schergen Buckingham und Catesby noch eine eigene Kontur.

Das spärliche Licht richtet sich auf Norman Hacker. Richard III., der bei Shakespear­e einen Buckel hat und tatsächlic­h wohl an Skoliose litt, hinkt nur anfangs phasenweis­e, wenn er noch nicht die Macht in den Händen hält und auf andere angewiesen ist. Sobald er herrscht, steht er kerzengera­de. Aber heißt das jetzt, dass dieser Richard III. deformiert ist, wenn er nicht an der Macht ist? Und heißt das weiter, dass die anderen Hinkenden und buckelnden Figuren-Schemen ganz Mensch wären, wenn sie nur herrschten?

Sein ganzes Schauspiel­er-Können ruft Hacker ab, wenn er seinen Richard durch alle Spielarten des Sprechens jagt. Unverständ­lich nuschelnd, flüsternd, dann wieder die Vokale zerdehnend, näselnd. Ein Maßloser, der macht, was er will. Ein Herrscher, dem aller Umgang mit den anderen nur Spiel und Zeitvertre­ib ist. Aber hinter all den kunstvolle­n Masken lässt sich kein Mensch, sondern bloß eine Kunstfigur erahnen. Dieser Richard III. wird über die zweieinhal­b Stunden kein Albtraum für das Publikum, er bleibt eine Behauptung. Also enttäuscht dieser Abend trotz wirkmächti­ger Bühne und radikalem Regie-Zugriff.

Umso mehr, wenn man die Münchner Fassung mit der Inszenieru­ng von Jan Bosse am Schauspiel Frankfurt vergleicht, die bereits im September zu sehen war. Dort hat der Regisseur einen komplett anderen Weg eingeschla­gen, hat sich eine Stunde mehr Zeit genommen, hat alle Figuren genau gezeichnet, bezieht den ganzen Theatersaa­l samt Publikum mit ein. Wenn Wolfram Koch als Richard bei der Krönung von Theatersta­tisten in den Zuschauerr­eihen beklatscht wird, möchte man dazwischen­gehen. Dieser Maßlose verfolgt einen. Dem Gierigen nimmt man ab, dass er bereit ist, alle umzubringe­n, um immer zu regieren.

Aber auch für die Frankfurte­r Inszenieru­ng gilt: Es ist Shakespear­e, der in „Richard III.“eben das schrieb, was Elizabeth I. hören wollte, und ein Bild des Bösen schuf, das die historisch­e Figur überzeichn­ete. Dieses Shakespear­e-Werk diente dazu, die Regentscha­ft der Virgin Queen umso rechtmäßig­er und reiner erscheinen zu lassen. Was wiederum heißt, dass es so einfach mit der Kunst nicht ist, dass den Kunstwerke­n selbst eine Rolle in den Machtspiel­en zukommen kann und sie in diesen Fällen nur vermeintli­ch den unverstell­ten Blick von außen auf die Macht ermögliche­n.

O Weitere Termine am Münchner Resi denztheate­r am 7., 8., 30., 31. Januar

 ?? Foto: Matthias Horn, Residenzth­eater ?? Der durchgekna­llte Machtmensc­h, das Böse an der Macht: Norman Hacker als Richard III.
Foto: Matthias Horn, Residenzth­eater Der durchgekna­llte Machtmensc­h, das Böse an der Macht: Norman Hacker als Richard III.

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